Therapiehund in der Praxis

Und dann kam Anouk

Donnerstag, 8 Uhr. Ein ganz normaler Arbeitstag beginnt in der Zahnarztpraxis von Dr. Ina Zöller in Gießen. Mit einer Ausnahme: Heute bekommt das Team Unterstützung durch Anouk, eine Australian-Shepherd-Hündin.

Hund im Einsatz“: Das Schild an der Praxistür von Dr. Ina Zöller weist alle Patientinnen und Patienten darauf hin, dass heute ein besonderer Tag ist – der Arbeitstag von Anouk. Einmal pro Woche in der Zeit von 8 bis 11 Uhr werden maximal zwei Patienten im Abstand von einer Stunde in die Praxis bestellt, bei deren Aufenthalt die junge Hündin anwesend ist. Das Angebot richtet sich in erster Linie an Personen mit Zahnbehandlungsangst, wie Manuela Adams.

Die 55-Jährige ist seit rund einem Jahr bei Zöller in Behandlung. Adams ist, wie sie selbst sagt, eine aufgeschlossene Frau, glücklich verheiratet, stolze Mutter einer erwachsenen Tochter und überglückliche Oma – ein Familienmensch, der offen auf andere Menschen zugehen kann. Doch sobald sie eine Arzt- oder Zahnarztpraxis betritt, reagiert sie mit starken Ängsten vor der bevorstehenden Untersuchung, egal um welche medizinische Behandlung es sich handelt.

Das Tier wird gekrault, das Zittern der Patientin lässt nach

„Woher diese Ängste kommen, kann ich mir nicht erklären“, berichtet Adams. „Aber sie wühlen mich sehr auf und strengen mich an.“ So auch heute. Eine PZR steht an. Sichtlich nervös steht Adams an der Anmeldung.

Die Zahnärztin und der Hund begrüßen die zitternde Patientin im Wartezimmer und begleiten sie ins Behandlungszimmer. Adams ist bewusst, dass das Tier während der PZR nicht im Behandlungszimmer anwesend sein kann. Dies wurde bereits bei einem Vorbesprechungstermin ausführlich erläutert. Doch für die Frau ist es schon eine große Unterstützung, dass Anouk sie ins Zimmer begleiten kann. Auf dem Behandlungsstuhl krault Adams weiter Anouk durch das Fell und entspannt sich dabei zunehmend, das Zittern lässt nach. Jetzt kann die eigentliche Behandlung beginnen.

Nach der PZR holt Anouk die Patientin im Behandlungszimmer wieder ab. Die junge Hündin sucht sofort den Kontakt zu Adams, die sichtlich erleichtert im Behandlungsstuhl sitzt. Als Zöller ihr dann das Ergebnis der PZR im Spiegel zeigt, bricht die Patientin in Tränen aus – zum einen vor Freude über das Ergebnis, zum anderen weil sie die Behandlung überhaupt geschafft hat. Auch Zöller ist den Tränen nahe. „Es war ein sehr schöner und auch sehr emotionaler Moment für mich zu sehen, dass wir mit Anouks Hilfe einer Patientin einen Schritt aus ihrer Angst helfen konnten und weitere Behandlungen nun vermutlich für die Patientin stressfreier ablaufen können“, berichtet die Zahnärztin, nachdem Adams die Praxis verlassen hat.

Die Praxisinhaberin ist von der Arbeit der ausgebildeten Therapiebegleithündin absolut überzeugt. „Anouk vermittelt durch ihre Anwesenheit Vertrauen und Sicherheit, baut eine Brücke zwischen der Zahnärztin, den wartenden Patienten und dem Personal“, erläutert die Hundeliebhaberin. „Ihre beruhigende Wirkung reduziert für Patienten mit Angststörung den Stress, senkt den Blutdruck und stärkt das Selbstvertrauen. Mein Ziel ist es, mithilfe von Anouk den Patienten mit Zahnbehandlungsangst diese Angst zu nehmen oder abzumildern und den Besuch für die Patienten angenehmer zu gestalten.“

Dafür nimmt die Praxisinhaberin einige Mehrarbeit in Kauf. „Wenn sich Anouk in der Praxis befindet, ist dies bereits durch ein Schild deutlich für die Patienten zu erkennen“, zählt Zöller auf. „Ein jährliches Gesundheitszeugnis durch den Tierarzt, eine vierteljährliche Entwurmung und eine prophylaktische Behandlung von Ektoparasiten sind für den Hund ebenfalls angezeigt. Eine Teamunterweisung erfolgt jährlich, ebenso muss der Patient aufgeklärt werden und sein Einverständnis vorab schriftlich abgeben. Zusätzlich erstelle ich nach jedem Einsatz von Anouk ein kleines Protokoll, woraus ersichtlich ist, wer, wann, welche Behandlung erhalten hat und ob es zu irgendwelchen Zwischenfällen gekommen ist.“

Der Hund stellt kein Risiko durch Kontamination dar

Für das Hygienekonzept der Praxis hat die Anwesenheit eines Vierbeiners dagegen nur geringe Auswirkungen: „Die Hygienestandards in einer Zahnarztpraxis sind sehr hoch. Und aufgrund ihrer Größe – der Rumpf endet auf Kniehöhe – stellt Anouk kein Kontaminationsrisiko dar“, berichtet Zöller. Dennoch gebe es natürlich Räume, die Anouk nicht betreten darf, dazu gehören der Steriraum, das Labor und die sanitären Einrichtungen. „Außerdem darf Anouk die Patienten in nur eines meiner drei Behandlungszimmer begleiten. Dies ist mit einem Schild 'Hund im Einsatz' kenntlich gemacht.“

Zusätzlich zum Hygienekonzept der Praxis gibt es noch einen Hygieneplan mit der Arbeit in Anwesenheit eines Therapiebegleithundes. Danach werden die Böden nach Anouks Arbeitseinsatz von Haaren gereinigt und die Räumlichkeiten der Praxis vom Team gelüftet, erklärt die Praxischefin. „Das komplette Team wechselt nach einem Einsatz von Anouk dann auch die Arbeitskleidung.“

Viel Aufwand ist nötig

„Es ist viel Aufwand, den wir betreiben, damit Anouk in der Praxis sein darf, aber ich bin von ihrer Arbeit als Therapiebegleithündin absolut überzeugt“, beteuert die Zahnärztin. „Bei der Interaktion zwischen Mensch und Hund wird Oxytocin freigesetzt, sowohl beim Menschen als auch beim Hund. Oxytocin wird auch als Wohlfühlhormon bezeichnet und hat neurochemisch viele positive Auswirkungen auf den Organismus. Es wirkt unter anderem blutdrucksenkend, angstlösend und beruhigend. Ich bin stolz, meinen Patienten durch Anouk eine solche Behandlungsmethode anbieten zu können.“

Angstpatientin Manuela Adams ist ebenfalls überzeugt. „Anouk hat mir Sicherheit gegeben. Sie war beruhigend und lenkte mich von der Untersuchung ab. Ohne Anouk bin ich nervöser, aufgewühlter und habe innere Unruhe. Ein Besuch in der Zahnarztpraxis Dr. Zöller ist für mich daher nicht zu toppen. Ich habe nichts dagegen, wenn Anouk die ganze Zeit in der Praxis anwesend ist.“

Mittlerweile ist Anouk tatsächlich zu einem festen Bestandteil des Praxisteams geworden. „Ohne die Unterstützung meines Teams wäre die Umsetzung eines solchen Konzepts gar nicht möglich gewesen“, betont Zöller. „Jede Mitarbeiterin hat Anouk ins Herz geschlossen, so dass sie von Beginn an als vollwertiges Teammitglied angesehen wurde.“ Und auch die Reaktionen der Patienten seien durchweg positiv: „Mindestens einmal am Tag fragt ein Patient, ob Anouk nicht in der Praxis sei“, lacht die Praxisinhaberin. „Deshalb plane ich bereits einen weiteren Vormittag, an dem ich Anouk einsetzen möchte.“

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