Aus der Wissenschaft

Erosiver Zahnhartsubstanzverlust

Es ist allgemein bekannt: Saures kann die Zahnhartsubstanz zerstören. Aber allein auf den pH-Wert kommt es nicht an – an der Entstehung von Erosionen sind viele Faktoren beteiligt und die zugrunde liegenden Mechanismen sind keineswegs in toto geklärt. Die Schweizer Arbeitsgruppe um Prof. Adrian Lussi hat nach 2019 nun ein zweites Mal das erosive Potenzial von handelsüblichen Produkten untersucht.

Die Prävalenz nicht kariöser Zahnhartsubstanzveränderungen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Speziell erosive Veränderungen sind vermehrt zu beobachten. Insbesondere führen der häufige Genuss von sauren Nahrungsmitteln und Getränken, aber auch Erkrankungen, die mit Reflux einhergehen, zu einem erosiv bedingten Verlust von Zahnhartsubstanz. Allerdings kann vom pH-Wert der zugeführten Substanzen nicht einfach auf eine mögliche erosive Wirkung geschlossen werden. Neben dem pH-Wert spielen nämlich auch andere Faktoren eine wichtige prädisponierende Rolle für die Entstehung von Erosionen.

Die vorliegende Untersuchung der Schweizer Arbeitsgruppe um Prof. em. Adrian Lussi (Bern) hatte das Ziel, mit einem zuverlässigen Verfahren das erosive Potenzial von Nahrungsmitteln und Getränken, aber auch von Medikamenten beziehungsweise Mundspüllösungen zu untersuchen.

Material und Methode

226 Substanzen wurden bezüglich ihrer Inhaltsstoffe, des pH-Wertes und der Veränderung der Mikrohärte nach zwei Minuten Immersion in den entsprechenden Lösungen untersucht. Dabei wurden 1.578 menschliche Prämolaren und 300 Milchmolaren verwendet, bei denen die Oberflächenhärte primär und nach den entsprechenden Immersionen bestimmt wurde. Zur Bestimmung der Oberflächenhärte kam der Härtetest nach Vickers zum Einsatz (Einwirkung einer Kraft von 50 mN für 15 s auf die Zahnoberfläche mittels Vickers-Diamanten und Messung der Eindrücke). Um Variationen der Härte innerhalb eines Zahnes zu berücksichtigen, wurden insgesamt sechs Baseline-Eindrücke in Abständen von 70 μm durchgeführt. Die Schmelzkörperproben waren mit einer 3-h-Pellikel aus menschlichem Speichel bedeckt.

Ergebnisse

Aus der Vielzahl von Resultaten seien hier nur einige interessante Befunde erwähnt (die vollständige Studie mit allen Ergebnissen kann unter dem unten angegebenen Link frei heruntergeladen werden): Mineralwasser, das üblicherweise leicht sauer ist, führte nicht zu einer Erweichung der Schmelzoberfläche. Das könnte auf den Kalziumgehalt des Getränks zurückzuführen sein. Wurde allerdings Zitronensäure hinzugegeben, kam es zu einer erosiven Veränderung der Schmelzoberfläche. Während die meisten Sportgetränke ein erosives Potenzial besaßen, gab es einige Produkte, die aufgrund ihres Kalziumgehalts nicht erosiv waren. Karottensaft besitzt einen pH-Wert von 4,2, hatte aber nahezu keine erosive Wirksamkeit. Auch saure Milchprodukte besaßen kein erosives Potenzial. Bier (mit einem pH-Wert zwischen 4,1 und 4,4) führte nicht zu einer Erosion, während Medikamente und Bonbons mit tiefen pH-Werten ein erhebliches erosives Potenzial besaßen. Auch Mundspülungen können zu einer Erweichung des Zahnschmelzes führen.

Die Auflistung der unterschiedlichen Substanzen in einer Übersichtstabelle bietet dem Leser eine gute Möglichkeit, einen Überblick über das erosive Potenzial unterschiedlicher Substanzgruppen zu erhalten.

Diskussion

In der Diskussion gehen die Autoren auf unterschiedliche Faktoren ein, die einen zusätzlichen Effekt bei einer Erosionsentstehung haben können. So gibt es Faktoren auf der Patientenseite, etwa Ess- und Trinkgewohnheiten, das Zähneputzen oder möglicherweise vorhandene Refluxerkrankungen. Dabei wird herausgestellt, dass die Wiedererhärtung einer erosiv veränderten Zahnoberfläche ein langsamer Prozess ist. Während in vitro bei der Verwendung von künstlichem Speichel eine relativ rasche „Ausheilung“ einer Erosion nachgewiesen wurde, gilt dies für natürlichen Speichel der Mundhöhle nicht. Hier hemmen spezielle Proteine die Remineralisation durch Kalzium. Studien konnten zeigen, dass es Tage bis Wochen dauert, bis in der Mundhöhle eine Remineralisation der Schmelzoberfläche festzustellen ist. Deshalb gehen die Autoren davon aus, dass man nach dem Genuss von sauren Nahrungsmitteln beziehungsweise Getränken nicht mit dem Zähneputzen warten muss. Allerdings wird die aufgeweichte Zahnhartsubstanz, sowohl beim Zähneputzen als auch beim Kontakt von Weichgeweben mit der Zahnoberfläche, abgetragen – aufgrund der ohnehin langen Remineralisationszeiten fällt der durch den Wegfall des Wartens zusätzlich entstehende Substanzverlust kaum ins Gewicht. Die Autoren stellen daher die Bedeutung der primären Prävention heraus: Erosionen sollten – wo immer es durch eigenes Verhalten möglich ist – von vornherein vermieden werden.

Weiterhin gehen die Autoren in der Diskussion intensiv auf das Erosionsrisiko bei Patienten mit Refluxerkrankungen ein. Sie empfehlen, nach dem Erbrechen den Mund mit Wasser oder einer nicht erosiven Mundspüllösung zu spülen, um die vorhandene Magensäure zu verdünnen. Erosionen können dabei auch einen Hinweis auf bislang unentdeckte Refluxerkrankungen geben. Die Autoren zitieren eine Untersuchung, in der bei fast jedem fünften Patienten mit Erosionen und ohne signifikante Refluxsymptome endoskopisch eine Entzündung der Speiseröhre nachgewiesen werden konnte [Wilder-Smith et al., 2015].

Sie weisen auch darauf hin, dass Medikamente, die zu einer Reduktion der Speichelfließrate führen, die Ursache für die Entstehung von Erosionen sein können. Insbesondere führt auch die Einnahme von Antidepressiva zu einer erhöhten Erosionsanfälligkeit.

Zu den Faktoren auf der Ernährungsseite zählen der Säuretyp, der pH-Wert, die Pufferkapazität, der Anteil von Peptiden und Proteinen, die Adhäsionsfähigkeit, der Gehalt an Kalzium und Fluorid sowie die Viskosität von Nahrungsmitteln. Dabei ist nicht der pH-Wert an sich für die erosive Kapazität entscheidend, sondern der Sättigungsgrad gelöster Kalzium- und Phosphationen in der Flüssigkeit, die mit den Zähnen in Berührung kommt. Ist die Flüssigkeit gesättigt, kann sie keine zusätzlichen Ionen aus dem Zahnschmelz aufnehmen und es kommt nicht zur Erosion. So können hohe Konzentrationen von Kalzium auch bei niedrigem pH-Wert erosiven Veränderungen entgegenwirken – wie beispielsweise bei Joghurt oder bei mit Kalzium versetztem Orangensaft.

Zusammenfassend stellen die Autoren fest, dass eine exakte Anamnese, eine frühzeitige Diagnostik sowie die Bestimmung der ätiologischen Faktoren wichtig sind, um Erosionen zu vermeiden.

Die Studie:
Lussi et al.: Die erosive Wirkung verschiedener Getränke, Speisen, Genussmittel, Medikamente und Mundspüllösungen auf den menschlichen Zahnschmelz. Swiss Dental Journal SSO VOL 133 7/8 (2023). Link: www.swissdentaljournal.org/fileadmin/upload_sso/2_Zahnaerzte/2_SDJ/SDJ_2023/SDJ_7-8_2023/457-472_T2-1-pf_lussi_D.pdf

Prof. Dr. Elmar Hellwig

Universitätsklinikum Freiburg, Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg

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