KZBV-Vertreterversammlung in Bonn

„Das ist ein Armutszeugnis für diesen Bundesgesundheitsminister!“

Sparen auf Kosten der Patienten? Die Delegierten der Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) sind sich sicher: Das BMG nimmt eine schlechtere Gesundheit der Bevölkerung als Folge einer ausbleibenden Finanzierung billigend in Kauf. Bestes Beispiel: die Wiedereinführung der strikten Budgetierung im Rahmen des GKV-FinStG.

Die Wertschätzung der Selbstverwaltung und ihrer Expertise sei heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr, stellte der KZBV-Vorsitzende Martin Hendges zu Beginn der Veranstaltung am 8. November in Bonn fest. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es jemals ein Gesundheitsminister geschafft hat, die gesamten Heilberufe im ambulanten und im stationären Sektor so geschlossen gegen sich aufzubringen!“

„Was Herr Lauterbach von uns als Freiberufler hält, kann man den Gesetzen aus seinem Haus entnehmen. Dieser Gesundheitsminister setzt alles daran, die Freiberuflichkeit weiter auszubooten. Wir bewegen uns immer mehr Richtung Staatsmedizin“, betonte Hendges. Das zeige das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) in aller Deutlichkeit, aber auch die beiden Digitalgesetze seien „eine unverhohlene Diffamierung der Selbstverwaltung“. Man wisse, dass die Krankenhausreform ein zentrales Versorgungsthema ist, aber das dürfe nicht dazu führen, dass der ambulante Bereich komplett ignoriert wird.

So habe Lauterbach seine Ankündigung, die Primär- und die Sekundärprävention in der zahnärztlichen Versorgung „deutlich verbessern“ zu wollen, durch den Entzug der finanziellen Mittel für die neue Parodontitisstrecke geradezu konterkariert. Die verheerenden Auswirkungen des im vergangenen Jahr in Kraft getretenen GKV-FinStG auf die Parodontitisversorgung hat die KZBV soeben erst in einem gemeinsamen Bericht mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie herausgestellt.

Das GKV-FinStG: „Diffamierung der Selbstverwaltung!“

Damit widersprach die KZBV einer 5,5-seitigen Veröffentlichung des BMG, wonach „eine Verschlechterung der Versorgung von Versicherten mit PAR-Leistungen nicht festgestellt werden kann“. Wie Hendges ausführte, sei das genaue Gegenteil der Fall: In ihrem Bericht weise die KZBV dezidiert nach, wie eklatant der Einbruch bei Neubehandlungsfällen seit 2023 ist, bundesweit gingen diese seit September um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Klar sei: „Dieser Trend wird anhalten, wenn eine Gesetzesänderung ausbleibt!“

„Unser Evaluationsbericht belegt Schwarz auf Weiß, dass sich die Politik mit dem GKV-FinStG klar gegen die Gesundheitsförderung und die Patientenversorgung gestellt hat.“

Martin Hendges,
Vorsitzender des Vorstands der KZBV

Damit stünden für Neubehandlungsfälle 2024 kaum noch Mittel zur Verfügung, machte Hendges deutlich: „Wenn Herr Lauterbach behauptet, dass unter seiner Sparpolitik keine Leistungskürzungen stattfinden, ignoriert er offenbar die Konsequenzen seines Handelns oder – noch schlimmer – nimmt sie billigend in Kauf. Und das ist Sparen auf Kosten der Patienten. Das ist ein Armutszeugnis für diesen Bundesgesundheitsminister!“

„Unser Evaluationsbericht belegt damit Schwarz auf Weiß, dass sich die Politik mit dem GKV-FinStG klar gegen die Gesundheitsförderung und die Patientenversorgung gestellt hat. Leistungskürzungen sind somit unausweichlich, finden jetzt schon statt und werden weiter zunehmen in 2024.“

Hendges appellierte daher noch einmal an die Politik, die Parodontitistherapie noch in diesem Jahr aus der Budgetierung herauszunehmen. Alle bereits verabschiedeten und geplanten Gesetze der Ampel zeigten demnach starke Tendenzen eines Systemwandels in Richtung Zentralisierung und zunehmender Verstaatlichung des Gesundheitssystems.

„Wir haben aus guten Gründen ein selbstverwaltetes Gesundheitssystem!“

In vielen Bereichen der Versorgung funktioniere die Zusammenarbeit der Zahnärzte mit der Politik in NRW, sagte der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Holger Seib, in Richtung Laumann. Aber: „Die Stimmung der Zahnärztinnen und Zahnärzte ist derzeit schlecht. Bei uns herrscht Katerstimmung!“ Denn statt die realen Probleme anzugehen, sei die Gesundheitspolitik der Ampel vor allem eins: „Versorgungsfremd und fernab von unseren Praxen!“

Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, verwies in seiner Begrüßungsrede vor dem Hintergrund der kriegerischen und gesellschaftlichen Krisen auf die finanziellen Herausforderungen für den Staat – und auch für das Gesundheitssystem. Ausdrücklich lobte er die ausgezeichnete zahnärztliche Versorgung. In NRW setze er daher darauf, dass die Zahnärzteschaft auch in der nächsten Generation in der Regel freiberuflich organisiert ist. „Es ist ja allgemein bekannt, dass ich kein großer Anhänger von investitionsgesteuerten MVZ bin und deswegen hat unser Land auch eine entsprechende Initiative in den Bundesrat eingebracht.“

Um die Freiberuflichkeit im medizinischen Bereich abzusichern, kündigte Laumann an, in NRW über das Heilberufsgesetz alle Möglichkeiten auszuschöpfen – in der Hoffnung, dass sich dann auch auf Bundesebene etwas bewegt. „Dort lassen sie es einfach laufen, aber ich glaube, wenn wir nicht bald eine klare Regelung zur Einschränkung von iMVZ haben, wird die Freiberuflichkeit leider in erheblichem Umfang abnehmen.“

„Es ist ja bekannt, dass ich kein Anhänger von iMVZ bin!"

Sehr gut kam in Laumanns Ministerium die KZBV-Kampagne „Zähne zeigen“ zum Erhalt der PAR-Therapie an: „Diese Kampagne hat auf jeden Fall einen guten Nachhall in der Bevölkerung und auch in Ihrer Patientenschaft! Das merken wir anhand der Briefe und Faxe, die wir bekommen. Und man sieht einfach, dass es nicht gut ist, wenn man eine Politik macht, getreu dem Motto 'Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!'.“ Insofern sei es nicht zielführend, wenn man eine Leistung einführt, sich das ganze System der Praxen darauf einstellt, dem Wunsch der Politik nach einer stärkeren Prävention nachzukommen, und dann ein Jahr später das aber nicht mehr finanzieren will und mit irgendwelchen Tricks arbeitet: „Dann ist das nicht die verlässliche Politik, die ein Berufsstand zu Recht erwarten kann, gerade wenn er in den GKV-Leistungen in erheblichem Umfang an politische Entscheidungen gebunden ist.“ Laumann: „Ich finde Politik muss so funktionieren, dass man schon etwas mit langem Atem arbeitet und eine gewisse Verlässlichkeit hat!“

Seine größte Kritik an der Ampel-Politik sei, dass kein vernünftiger Dialog – auch in der Gesundheitspolitik – mit den betroffenen Strukturen geführt wird. „Erstens wird man als Politiker nicht dümmer, wenn man das Gespräch sucht, aber dadurch entsteht auch Vertrauen. Und dieser fehlende ehrliche Dialog ist eigentlich das größte Problem, das wir zurzeit in der Bundesgesundheitspolitik haben. Es besteht der Eindruck, dass man alles besser weiß, dass man ohnehin nicht mit anderen Leuten reden muss und dass man die Dinge einfach so, wie man sie sieht, letzten Endes auch durchsetzt. Und das ist nicht die Form, die angemessen ist. Wir haben in Deutschland kein staatliches Gesundheitssystem, wir haben aus guten Gründen ein selbstverwaltetes Gesundheitssystem!“

Tosender Applaus folgte – und KZBV-Chef Martin Hendges lag mit seiner Einschätzung sicherlich richtig: „Ich glaube, wir müssen fast gar nichts darauf erwidern, was Sie gesagt haben, denn Sie haben 100-prozentig das getroffen, was wir denken!“

Die stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Ute Maier berichtete den Delegierten ausführlich über die Arbeit der KZBV in verschiedenen Qualitätssicherungsgremien. Außerdem erläuterte sie den Sachstand beim Elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahren (EBZ). „Das EBZ läuft in allen Leistungsbereichen stabil“, erklärte Maier und verwies darauf, dass die Zahnarztpraxen inzwischen zu rund 96 Prozent mit KIM ausgestattet seien, das die Voraussetzung für das EBZ ist. Von den PVS-Herstellern werde berichtet, dass der Support beim EBZ nur noch in geringem Maße erforderlich sei. Stand Anfang November gebe es bereits über acht Millionen Anträge, die über das EBZ gelaufen sind. Es gebe einen stetigen Anstieg, der sich weiter fortsetzen werde.

Die KZBV werde außerdem ihre Erfahrungen aus dem EBZ in eine Arbeitsgruppe des BMG, die sich mit elektronischen Genehmigungsverfahren im Gesundheitswesen beschäftigt, einbringen, berichtete Maier weiter und hob hervor, dass es beim EBZ ein gestuftes Einführungsmodell gegeben habe, das in der Praxis ausreichend getestet wurde.

Digitalisierung: „Den Neustart sehen wir bisher nicht!“

Der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer ließ in seiner Rede kein gutes Haar an der aktuellen Gesetzgebung zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das Wort der Stunde sei „Beschleunigung“, sagte Pochhammer und fügte hinzu: „Damit Deutschland nicht den Anschluss verliere, müsse nun alles neu und anders werden. Die Botschaft hören wir, und teilen wir, den Neustart sehen wir allerdings bisher nicht.“

Er bemängelte vor allem, dass die Mitsprachemöglichkeiten der Selbstverwaltung immer weiter beschnitten würden. „Das ist das Ergebnis einer Gesundheitspolitik, deren Konzept auf eine simple Formel gebracht werden kann: weniger Mitsprache für angeblich mehr Tempo.“ Dem BMG gehe es vor allem um eine freie Hand, wenn der Minister zur Aufholjagd rufe, monierte der KZBV-Vize. Das Dilemma der Selbstverwaltung dabei sei, dass sie von den Prozessen ausgeschlossen werde, die sie umsetzen soll.

Als Beispiele für eine fehlgeleitete Digitalisierungspolitik nannte Pochhammer die elektronische Patientenakte (ePA) und das E-Rezept. Aktuell gehe es dem BMG vor allem darum, die Nutzerzahlen bei der ePA in die Höhe zu treiben. Den Fokus aber auf die reine Bereitstellung zu legen, sei aus seiner Sicht der falsche Ansatz. „Die ePA ist in der aktuellen Version noch viel zu komplex und deshalb nicht für die regelmäßige Nutzung im Versorgungsalltag geeignet“, erklärte Pochhammer. Er sieht ein Hochfahren der Nutzerzahlen in der gegenwärtigen Situation kritisch: „Wenn ich mich heute einmal oder zweimal im Quartal ärgern muss, weil die Ladezeiten zu lang sind oder die Berechtigungslogik zu kompliziert ist, kann ich darüber hinwegsehen. Muss ich das künftig aber täglich machen, weil die Nutzerzahlen gestiegen sind, dann kippt die Stimmung.“

Heftig kritisierte Pochhammer den „verordneten Paradigmenwechsel des BMG“. Aktuellstes Beispiel dafür sei der Plan von BMG und gematik, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der ePA wegfallen zu lassen. Dies diene jedoch nicht dazu, die Abläufe in den Praxen zu verbessern, sondern primär dazu „die Startbahn für eine schnelle Forschungsdatenfreigabe zu bauen. Dass dies mit der bisherigen Verschlüsselung nicht möglich ist, ist dem BMG offenbar erst jetzt aufgefallen. Und deshalb soll dies nun schnell geändert werden.“ Auch hier habe es keine Beteiligung der Selbstverwaltung gegeben. Der plötzliche Paradigmenwechsel zeige, „dass die ePA noch nicht reif für die flächendeckende Versorgung ist", so Pochhammers Fazit.

Daneben bemängelte er die verpflichtende Einführung des E-Rezepts Anfang 2024. „Anstatt die Zahnärzte weiter in ihrem eigenen Tempo Erfahrungen mit dem E-Rezept sammeln zu lassen, soll das E-Rezept nun schlagartig zum Jahreswechsel eingeführt werden. Und wer nicht mitzieht, wird mit Sanktionen bestraft.“ Das BMG ignoriere damit allerdings, „dass es bislang vor allem die Beinfreiheit war, die dem E-Rezept zum Durchbruch in den Zahnarztpraxen verholfen hat. Deshalb appelliere ich heute noch einmal an den Minister: 'Stoppen Sie diese Sanktion!'“, so Pochhammer in seiner Rede an die VV-Delegierten, die später eine Reihe von Beschlüssen zur Digitalisierung fassten.

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