Widerstandskämpfer und „Staatsfeinde" im „Dritten Reich“

Hellmuth Elbrechter (1895–1971) – Hitler-Gegner und einflussreicher Politikberater

Dominik Groß
Der Zahnarzt und Arzt Hellmuth Elbrechter führte ein Leben, das sich als Drehbuch für einen Hollywood-Film eignen würde. Anfang der 1930er-Jahre fungierte er als Vertrauter und politischer Ratgeber von Gregor Strasser und Kurt von Schleicher, die beide 1934 auf Weisung Hitlers im Kontext des vermeintlichen „Röhm-Putsches“ ermordet wurden. Elbrechter selbst entging der Mord-Aktion nur durch einen Zufall.

Hellmuth Carl Elbrechter wurde am 19. Januar 1895 in Elberfeld geboren [AZD, 1925/26 und 1929; Passagierlistenindex H. Elbrechter, 1926; DZB, 1932/33 und 1935; Heiratsindex H. Elbrechter, 1938; LA NRW, BR 3008; Hellmuth Carl Elbrechter, 1971; Groß, 2023]. Er war der Sohn des Rektors Karl Elbrechter und dessen Ehefrau Auguste Elbrechter, geb. Breuer. Am humanistischen Gymnasium in seiner Geburtsstadt erlangte er das Abitur und schrieb sich Ostern 1914 für das Studium der Germanistik und der Kulturgeschichte an der Universität Erlangen ein. Nach nur einem Semester wurde er zum Kriegsdienst einberufen. Dort kam er unter anderem im 19. bayerischen Infanterieregiment, in einem Jäger-Regiment zu Pferd und als Jagdflieger zum Einsatz.

Nach dem Krieg entschied Elbrechter sich zu einem Studienfachwechsel: Im Februar 1919 immatrikulierte er sich an der Universität Münster für das Studium der Zahnheilkunde. Im Sommersemester 1919 wechselte er an die Universität Freiburg i. Br. und legte dort im Januar 1920 das zahnärztliche Physikum ab. Anschließend belegte er ein Semester an der Universität Leipzig und kehrte dann nach Freiburg zurück. Im Frühjahr 1921 bestand Elbrechter dort die zahnärztliche Prüfung und erlangte die Approbation. Ein gutes Jahr später – im Juni 1922 – promovierte er in Freiburg „Ueber üble Zufälle bei Zahnextraktionen und die Verantwortlichkeit des Operateurs“ zum Dr. med. dent. Doktorvater war der Direktor des Freiburger Zahnärztlichen Instituts, Wilhelm Herrenknecht (1865–1941) [Groß, 2022; Elbrechter, 1922].

Ende 1922 ließ sich Elbrechter in eigener Praxis in Elberfeld (Kolk) nieder. 1926 zog er nach Berlin um, wo er zunächst die Praxis eines verstorbenen Kollegen übernahm. In der Hauptstadt konnte er in kurzer Zeit eine exklusive, mondäne und profitable Zahnarztpraxis etablieren, in der „in der Haupt­sache Diplomaten und ihre Familienangehörigen“ verkehrten, wobei Elbrechter eigenen Angaben zufolge in den Jahren 1930 bis 1933 ein jährliches Durchschnittseinkommen von jeweils circa 30.000 bis 35.000 Reichsmark erzielte [LA NRW, BR 3008, Nr. 10984]. Da er aus später auszuführenden Gründen von den Nationalsozialisten politisch verfolgt wurde, flüchtete Elbrechter im Sommer 1934 als „Staatsfeind“ ins Ausland, wo er in den Niederlanden und später in England untertauchte.

Anfang der 30er-Jahre läuft seine Praxis exzellent

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hielt sich Elbrechter wieder in den Niederlanden auf. Von dort wurde er im Mai 1940 nach Deutschland abgeschoben. Er wurde inhaftiert und erst nach mehrmonatiger Festsetzung entlassen. In der Folgezeit lebte er im Raum Hamburg. Dort bestritt er seinen Lebensunterhalt notdürftig mit fachfremden Tätigkeiten – insbesondere mit dem Verkauf von Tiefkühlprodukten und Sojabohnenerzeugnissen. Bis zum Ende des „Dritten Reiches“ war es Elbrechter nicht mehr möglich, zahnärztlich tätig zu werden. Es gelang ihm jedoch, sich 1941 für das Fach Medizin zu immatrikulieren und Ende 1946 die ärztliche Approbation zu erlangen. 1948 promovierte er dann an der Universität Hamburg mit der Schrift „Übersicht über das Carcinom im Kindesalter“ bei Johann Baptist Mayer (1907–1981) zum Dr. med. [Elbrechter, 1948]. Seit 1948 wirkte er als praktischer Arzt in Düsseldorf – zunächst als Praxisvertreter und seit Ende 1953 in selbstständiger Position.

Elbrechter war zweimal verheiratet – in erster Ehe seit Juli 1921 mit Cadtie Erna Gertrud Elbrechter, geb. Nobiling (geb. 1896); das Paar wurde 1938 geschieden. Im Dezember desselben Jahres heiratete er die in Concepción (Chile) geborene Carmen Margarete Elfriede Elbrechter, geb. Wünkhaus (1905–1967). Hellmuth und Carmen Elbrechter hatten den gemeinsamen Sohn Michael (geb. 1944), lebten aber über viele Jahre getrennt. Carmen Elbrechter verstarb 1967, Hellmuth Elbrechter am 10. August 1971 in Düsseldorf [Hellmuth Carl Elbrechter, 1971].

Ausgeklammert blieb bisher die Frage, warum Elbrechter zur Gruppe der zahnärztlichen Widerstandskämpfer und „Staatsfeinde“ zählt und in dieser zm-Reihe besprochen wird. Um diese Frage zu beantworten, ist es erforderlich, bis in die Mitte der 1920er-Jahre zurückzugehen: Elbrechter fungierte seit etwa 1926 als behandelnder Zahnarzt, Vertrauter und politischer Berater von Gregor Strasser (1892–1934), der sich in diesen Jahren zu einem parteiinternen Rivalen von Adolf Hitler entwickelte. Über Strasser erhielt Elbrechter, der selbst der NSDAP fernblieb, Zugang zum Freundeskreis von Gauleiter Karl Kaufmann (1900–1969). Über Kaufmann lernte lernte Elbrechter auch den damaligen Gaugeschäftsführer Joseph Goebbels (1897–1945) kennen. Elbrechter und Goebbels entwickelten mit der Zeit ein sehr konflikthaftes Verhältnis. Goebbels nimmt in seinen Tagebüchern an zahlreichen Stellen auf Elbrechter Bezug – in teilweise sehr emotionaler und diskreditierender Art und Weise („Elbrechter ist Kaufmanns böser Dämon“; „Verdammter Blutegel Elbrechter“; „Dr. Elbrechter und die ganze Freimaurermischpoke“) [Fröhlich, 2005, 58, 62, 82].

Seit 1929 gehörte Elbrechter zudem zum kleinen Kreis von circa sechs Personen, die die jungkonservative Monatsschrift „Die TAT“ prägten. Für jenes Journal wie auch für die „Tägliche Rundschau“ verfasste er diverse journalistische Beiträge, so zum Beispiel „Die äußere Politik“ (1929), „Gesicht unserer Zeit“ oder „Die Konservative Volkspartei“ [Elbrechter, 1929a, 1929b, 1930].

„Publizierender Zahnarzt mit mannigfachen Verbindungen“

Elbrechter galt in dieser Zeit als „publizierender Zahnarzt […] mit mannigfachen Verbindungen“ [Demant, 1971, 33 (Zitat), 57]. Über seinen Berliner Zirkel lernte er auch Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher (1882–1934) kennen, der sich in jenen Jahren – ähnlich wie Strasser – zu einem politischen Gegner Hitlers entwickelte. Schleicher sollte von Anfang Dezember 1932 bis Ende Januar 1933 der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik sein. Elbrechter wurde dessen Berater und lud zu vertraulichen Treffen in seine Berliner Wohnung (Schaperstraße) ein. Hierzu notierte Demant mit Bezugnahme auf Elbrechter: „Seine eigentliche Bedeutung lag […] darin, daß er in engem Kontakt zu Schleicher stand und so zwischen TAT-Redaktion und Reichswehrministerium als Vermittler und Überbringer auftreten konnte“ [Demant, 1971, 69]. Ähnlichen Einfluss nahm Elbrechter auf Strasser: Der vielbeachtete „Arbeitsbeschaffungsplan“, den Strasser am 10. Mai 1932 im Reichstag öffentlich vorstellte, dürfte „vor allem von Elbrechter“ verfasst worden sein [Kissenkoetter, 1978, 11]. Kissenkoetter konstatiert weiter, dass Elbrechter „in den Wochen des Spätsommers und Herbsts 1932 so etwas wie eine ‚graue Eminenz‘ wurde, die in Berlin hinter den Kulissen wirkte“ [Kissenkoetter, 1978, 147].

Elbrechter informierte Reichskanzler Schleicher am 5. Januar 1933 auch über die geheimen Verhandlungen, die Hitler und Franz von Papen (1878–1969) im Haus des Kölner Bankiers Kurt Freiherr von Schröder (1889–1966) führten. Dabei handelte es sich um das „historische“ Treffen, bei dem sich von Papen, der im Auftrag von Hindenburg agierte, und Adolf Hitler auf die Reichskanzlerschaft Hitlers verständigten. Da Elbrechter im Vorfeld von dem geplanten Treffen erfahren hatte, sandte er einen Vertrauten zu Schröders Anwesen – dieser konnte die Beteiligten beim Betreten des Hauses ablichten. Elbrechter war somit in der Lage, Schleicher „Beweisfotos“ von jenem geheimen Treffen vorzulegen.

Wie Elbrechter davon erfahren hatte, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Jedenfalls soll Elbrechter Schleicher den Vorschlag unterbreitet haben, auf jenes Treffen mit einem „kalten Staatsstreich“ zu antworten. Dieser hätte das Ziel gehabt, den Reichstag ohne Zustimmung des Reichspräsidenten aufzulösen, um so die Bildung einer Regierung Hitler zu verhindern und bis zu den nachfolgenden Neuwahlen eine von Strasser angeführte, mit der NSDAP konkurrierende rechte Partei aufzubauen. Schleicher schreckte jedoch schlussendlich vor der Umsetzung dieses riskanten Plans zurück – wohl auch aufgrund eines chronischen Leidens, das ihn körperlich schwächte [Demant, 1971; Höhne, 1983].

Wiederholt wurde er von der Gestapo verhört

Nach Hitlers Regierungsübernahme am 30. Januar 1933 schied Elbrechter aus der Redaktion der TAT aus, hielt jedoch weiterhin heimlich Kontakt zu Gregor Strasser, wie auch zu Heinrich Brüning (1888–1970), Reichskanzler der Jahre 1930 bis 1932. In dieser Zeitphase wurde Elbrechter wiederholt durch die Gestapo verhört. Im Dezember 1933 und im April 1934 führte die Gestapo zudem zwei „Hausdurchsuchungen“ in seiner Wohnung durch [LA NRW, BR 2182, Nr. 5029]. Offenbar blieben die Verdachtsmomente gegen Elbrechter bestehen. Jedenfalls sagte Heinrich Brüning im Jahr 1953 an Eides statt aus, dass Elbrechter zum Kreis der Personen gehörte, die am 30. Juni 1934 in Berlin als Reaktion auf den vermeintlichen „Röhm-Putsch“ in einer von Hitler veranlassten „Säuberungsaktion“ getötet werden sollten.

Doch Elbrechter war am 30. Juni 1934 zufällig nicht in Berlin, sondern weilte zu einem Krankenbesuch in Weimar. So entkam er der Mord-Aktion und flüchtete umgehend in die Niederlande [LA NRW, BR 2182; LA NRW, BR 3008]. Mitte der 1930er-Jahre begab er sich nach England. Dort suchte Elbrechter Kontakt zu dem deutschen DNVP-Politiker, Schleicher-Vertrauten und Hitler-Gegner Gottfried Reinhold Treviranus (1891–1971). Dieser war 1934 ebenfalls den Ermordungen im Kontext des „Röhm-Putsches“ entkommen und nach England geflüchtet, wo er Kontakte zu Winston Churchill (1874–1965) und weiteren englischen Politikern knüpfte und diese vor Hitlers Expansions- und Vernichtungspolitik warnte.

Elbrechters Versuche, in England beruflich Fuß zu fassen, erfüllten sich nicht: Er stellte ein Aufnahmegesuch als Zahnarzt an den britischen General Medical Council, dieses wurde jedoch 1935 abgelehnt [Zamet, 2007]. Ende der 1930er-Jahre trug er sich mit dem Gedanken, nach Chile zu emigrieren – dem Herkunftsland seiner zweiten Frau. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: Zu Kriegsbeginn hielt sich Elbrechter in den Niederlanden auf und wurde nach Deutschland abgeschoben. Er wurde noch in der Grenzstadt Emmerich am Rhein festgenommen, dann in das Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße verbracht und nachfolgend im KZ Oranienburg inhaftiert. Dort wurde er im Herbst 1940 – nach zweimonatiger Haft – aus Krankheitsgründen als „wehrunfähig“ entlassen. Anschließend verblieb Elbrechter in Deutschland – offenbar sah er sein Leben nicht länger bedroht. An eine Praxiszulassung war dennoch nicht zu denken. Stattdessen hielt er sich bis zum Ende des „Dritten Reiches“ mit fachfremden Tätigkeiten über Wasser.

Elbrechters politische Rolle in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ wird unter Zeithistorikern seit den 1960er-Jahren intensiv diskutiert, etwa in Fachbeiträgen zu Strasser, Goebbels und Schleicher [zum Beispiel Fraenkel/Manvell, 1960; Demant, 1971; Kissenkoetter, 1878; Fröhlich, 2004–2006]. Demgegenüber wurde seine Biografie im Fach Medizingeschichte bislang kaum wahrgenommen. Selbst Michael Köhn wusste offenbar nicht um Elbrechters politische Rolle im „Dritten Reich“, sondern zählte ihn in seiner ansonsten kenntnisreichen Monografie „Zahnärzte 1933–1945“ summarisch zu den Zahnärzten, „die aus den Zahnärzteverzeichnissen zwischen 1933 und 1938 verschwanden und bei denen kein Hinweis auf eine jüdische Herkunft gefunden wurde“ [Köhn, 1994, 192]. Umso lohnender erscheint eine wissenschaftliche Auswertung der verfügbaren Quellen zu Elbrechter. Teile seines Nachlasses finden sich im „Institut für Zeitgeschichte“ in München [IFZ München, Nachlass P. Schulz / A. Elbrechter]. Etliche weitere Aktenbestände sind im Landesarchiv NRW verwahrt [LA NRW, NW 205; LA NRW, NW 377; LA NRW, BR 3008; LA NRW, Gerichte Rep 120; BR 2182]. Besagte Archivalien werden derzeit im Rahmen eines medizinhistorischen Promotions­projekts an der RWTH Aachen ausgewertet.

Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geriet Elbrechters Leben nicht in ruhiges Fahrwasser. Zum einen schlug er beruflich ein neues Kapitel auf – er wechselte von der zahnärztlichen zur ärztlichen Tätigkeit und spezialisierte sich in den 1950er-Jahren auf die „Frischzellentherapie“. Zum anderen machte er als NS-Verfolgter Entschädigungsansprüche gegenüber dem Land NRW geltend: Am 4. Februar 1953 wurde er zunächst durch den Kreis-Anerkennungs-Ausschuss „als Verfolgter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anerkannt“ [LA NRW, BR 3008, Nr. 10984]. Als Belege dienten hierbei – neben Elbrechters detaillierten Angaben – eidesstattliche Erklärungen von Brüning und Treviranus [LA NRW, BR 3008, Nr. 10984].

Der Kampf um Anerkennung und Entschädigung

Am 29. Mai 1957 sprach ihm die Landesrentenbehörde auf der Grundlage einer „verfolgungsbedingten Erwerbsminderung“ rückwirkend eine „Beschädigtenrente“ ab dem 1. Januar 1945 zu [LA NRW, BR 2182, Nr. 5029]. Doch gegen diese Entscheidung erhob Elbrechter am 15. August 1957 Klage: Er stellte den Antrag, „das Land Nordrhein-Westfalen zu verurteilen, an mich eine Kapitalentschädigung zur Beschädigtenrente nicht erst ab 1.1.45, sondern ab 1. Aug. 1934 zu zahlen“. Zur Begründung gab er an, dass sein „Gesundheitsschaden“ viel früher aufgetreten sei: „Es war Ende Juli 34, anlässlich eines abendlichen Telefongesprächs in Amsterdam im Hotel Carlton, als ich die telefonische Nachricht erhielt, dass wegen meiner Flucht anlässlich der Ermordungen des 30. Juni 34 zwei Geiseln festgenommen wurden, um mich unter Druck zu setzen, nach Deutschland zurückzukehren.“ Er habe einen „derartigen Schock“ erlitten, „dass ich zum ersten Mal, wie der Laie sagt, am Telefon ‚weiche Knie‘ bekam und ich mich nur mit Mühe aufrecht erhalten konnte. Von dieser Zeit an litt ich jahrelang unter sehr starken Kopfschmerzen, Schwindel und stärkster Schlaflosigkeit. Die damals eingetretene Erniedrigung des Blutdruckes besteht praktisch jetzt noch“ [LA NRW, BR 2182, Nr. 5029].

Auf Elbrechters Klage folgte ein zweieinhalbjähriges rechtliches Verfahren, in dessen Verlauf Elbrechter zweimal ärztlich begutachtet wurde. Am 19. Juni 1959 wies die Erste Entschädigungskammer des Landgerichts in Düsseldorf dann seine Klage ab. Zum einen waren die beiden involvierten ärztlichen Gutachter Elbrechters Argumentation, dass sein Gesundheitszustand sich 1934 schlagartig verschlechtert habe, nicht gefolgt, und zum anderen hatte Elbrechter selbst an früherer Stelle erklärt, erst seit 1938 unter den besagten gesundheitlichen Einschränkungen zu leiden. Insofern wurden seine Aussagen als widersprüchlich und die spätere Forderung dementsprechend als unglaubwürdig bewertet. Elbrechter wiederum legte gegen den Bescheid Widerspruch ein – allerdings ohne Erfolg.

Überlebt – ohne fortan seine innere Ruhe wiederzufinden

Wie wäre die deutsche Geschichte verlaufen, wenn Schleicher auf Elbrechters Vorschlag eines „kalten Staatsstreichs“ eingegangen wäre oder wenn sich Schleicher beziehungsweise Strasser innenpolitisch gegen Hitler durchgesetzt hätten? Und was hätte dies für Elbrechters weiteres Leben bedeutet? Jede Antwort auf diese Fragen ist spekulativ. Fest steht, dass Elbrechters Status als Prominenten-Zahnarzt, Politikberater und „graue Eminenz“ in Berlin mit dem vermeintlichen „Röhm-Putsch“ jäh beendet war. Er überlebte zwar die Jahre der Verfolgung, fand aber fortan keine innere Ruhe mehr.

Dies sollte sich auch in der Bundesrepublik nicht mehr ändern. Hinweise auf Elbrechters Befindlichkeit in den 1950er-Jahren geben nicht nur seine juristischen Auseinandersetzungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, sondern auch weitere im Landesarchiv NRW dokumentierte, mit seiner Person verbundene Rechtsstreitigkeiten – etwa ein Verfahren und ein Berufungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung sowie ein Unterhaltsstreit mit seiner zeitweilig in Brasilien lebenden Frau [LA NRW, NW 205; LA NRW, NW 377; LA NRW, Gerichte Rep 120]. Liest man die betreffenden Aktenbestände, so drängt sich der Eindruck auf, dass es Hellmuth Elbrechter in seinen späten Jahren nicht mehr gelang, innere Ruhe zu finden und auf die Sonnenseite des Lebens zurückzukehren.

Literaturliste

  • AZD (Adreßkalender der Zahnärzte im Deutschen Reiche) (1925/26), Teil C, 152; (1929), Teil C, 17

  • DZB (Deutsches Zahnärzte-Buch) (1932/33), Teil C, 14; (1935), Teil C, 14

  • Demant (1971): Ebbo Demant, Von Schleicher zu Springer. Hans Zehrer als politischer Publizist, Mainz 1971, 33, 57, 69, 87, 92, 105, 118

  • Elbrechter (1922): Hellmuth Elbrechter, Ueber üble Zufälle bei Zahnextraktionen und die Verantwortlichkeit des Operateurs (In Sonderheit ein Fall von Unterkieferfraktur nach Zahnextraktion und seine Folgen), Diss. Med. Fak. Freiburg 1922

  • Elbrechter (1929a): Hellmuth Elbrechter, Die äußere Politik, TAT 21/7 (1929), 542-???

  • Elbrechter (1929b): Hellmuth Elbrechter, Gesicht unserer Zeit, TAT 21/9 (1929), ?-?

  • Elbrechter (1930): Hellmuth Elbrechter, Die Konservative Volkspartei, TAT 22/6 (1930), 449-???

  • Elbrechter (1948): Hellmuth Elbrechter, Übersicht über das Carcinom im Kindesalter, Diss. Med. Fak. Hamburg 1948

  • Fraenkel/Manvell (1960): Heinrich Fraenkel, Roger Manvell, Goebbels. Eine Biographie, Köln 1960, 88f., 104, 107, 356, 359

  • Fröhlich (2004): Elke Fröhlich (Bearb.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Band 1/I München 2004, 260, 268, 289f., 304, 306, 313, 315, 317, 324-329, 331f., 340, 351, 353-355, 368, 379

  • Fröhlich (2005): Elke Fröhlich (Bearb.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Band 1/II München 2005, 48-51, 59, 60, 62f., 65, 68f., 82, 93, 95, 97, 101, 126, 133, 137-140, 153

  • Fröhlich (2006): Elke Fröhlich (Bearb.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Band 2/III München 2006, 223

  • Groß (2022): Dominik Groß, Beliebt und regimetreu: Das Leben und Werk des CVDZ-Präsidenten Wilhelm Herrenknecht, Dtsch Zahnarztl Z 77 (2022), 371-378

  • Groß (2023): Dominik Groß, Lexikon der Zahnärzte und Kieferchirurgen im „Dritten Reich“ und im Nachkriegsdeutschland. Täter, Mitläufer, Oppositionelle, Verfolgte, Unbeteiligte, Bd. 3.1, Berlin, Leipzig 2023, im Druck

  • Heiratsindex H. Elbrechter [1938]: Sammlung Niederlande, ziviler Heiratsindex, 1795-1950 (Hellmuth Carl Elbrechter), online bei Ancestry, www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3898874:61286 [03.03.2023]

  • Hellmuth Carl Elbrechter [1971]: FamilySearch Stammbaum (Hellmuth Carl Elbrechter), online bei MyHeritage, www.myheritage.de/research/collection-40001/familysearch-stammbaum [02.02.2023]

  • Höhne (1983): Heinz Höhne, Warten auf Hitler, Der Spiegel Nr. 5 (1983), 130f.

  • IFZ (= Institut für Zeitgeschichte) München, Nachlass P. Schulz (Nachlass von A. Elbrechter ist in Bd. 1 des vorgenannten Nachlasses enthalten, www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-1948.pdf)

  • Kissenkoetter (1978): Udo Kissenkoetter, Georg Strasser und die NSDAP, Stuttgart 1978, 28f., 111f, 127-129, 147f., 170f., 176, 184, 191, 205-207

  • Köhn (1994): Michael Köhn, Zahnärzte 1933-1945. Berufsverbot, Emigration, Verfolgung(= Reihe Deutsche Vergangenheit, 113), Berlin 1994, 192

  • LA (= Landesarchiv) NRW, NW 205 Nr. 151 (Berufsgerichtsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung; Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW)

  • LA NRW, NW 377 Nr. 811 (Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung; Justizministerium)

  • LA NRW, BR 3008 Nr. 70532 (Entschädigungsakte BR Düsseldorf)

  • LA NRW, Gerichte Rep 120 Nr. 1313 (Unterhaltsverfahren gegenüber seiner in Brasilien lebenden Frau)

  • LA NRW, BR 2182 Nr. 5029 und 5028 (Entschädigungsakten aus der Nachkriegszeit)

  • Passagierlistenindex H. Elbrechter [1926]: Sammlung Web: Bremen, Deutschland, Passagierlistenindex, 1907-1939, Nr. 10 (Hellmuth Elbrechter), online bei Ancestry, www.ancestry.de/discoveryui-content/view/644932:9734 [03.03.2023]

  • Zamet (2007): John Zamet, German and Austrian Refugee Dentists. The Response of the British Authorities 1933-1945, Diss. (Ph.D) Oxford 2007, Appendix 1, 277

Dominik Groß

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß

Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Vorsitzender des Klinischen
Ethik-Komitees des UK Aachen
Universitätsklinikum der
RWTH Aachen University
MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen

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