Erweiterte Befugnisse der Krankenkassen durch das GDNG

Eine neue Form der Übergriffigkeit

Das kürzlich verabschiedete Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) enthält eine Neuerung: Kranken- und Pflegekassen werden berechtigt, die Daten ihrer Versicherten auszuwerten und diese bei Verdacht auf bestimmte Erkrankungen zu kontaktieren. Keine gute Idee, finden die Heilberufe. Den Kassen fehle dafür die medizinische Kompetenz. Verbraucher- und Datenschützer warnen vor Diskriminierung.

Konkret macht sich die Kritik am GDNG-Paragrafen 25b fest. Er trägt die Überschrift „Datengestützte Erkennung individueller Gesundheitsrisiken durch die Kranken- und Pflegekassen“ und soll den Gesundheitsschutz verbessern. Dahinter steckt die Idee, dass die Analyse von Versichertendaten Hinweise auf schwere Erkrankungen wie Krebs liefern kann oder aber auf Arzneimittelunverträglichkeiten und Impflücken. In solchen Fällen sollen die Kassen ihre Versicherten künftig direkt ansprechen dürfen, um ihnen weitere Schritte zu empfehlen, zum Beispiel einen Besuch beim Arzt.

Vor der Verabschiedung des GDNG im Bundestag am 14. Dezember 2023 hatten Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) gefordert, Paragraf 25b ersatzlos zu streichen. Die Intention hinter der Regelung sei zwar anerkennenswert, aber: „Da allein auf datengestützten Auswertungen ergehende Empfehlungen ohne medizinisches Korrektiv fehleranfällig sein können und wegen ihrer weitreichenden Wirkung möglicherweise die Versicherten verunsichern, müssen solche Auswertungen zwingend vor Aussprache einer Empfehlung durch einen approbierten (Zahn)Mediziner auf ihre Plausibilität überprüft werden.“

Aus Sicht der Berufsvertretungen ist zudem das Vertrauen der Patienten in ihre Zahnärztin oder ihren Zahnarzt in Gefahr, wenn aus deren Sicht – der Empfehlung der Krankenkasse zum Trotz – kein Handlungsbedarf besteht. Die Leistungserbringer könnten sich in dem Dilemma wiederfinden, dass Patientinnen und Patienten die empfohlene Leistung dennoch einfordern. Dann würden „Leistungen zur Beruhigung der Versicherten und zur Vermeidung eines seitens der Versicherten in Aussicht gestellten Praxiswechsels bei Nichtbehandlung“ denkbar, die aus medizinischer Sicht nicht notwendig sind.

Allein auf Datenanalysen gestützte Empfehlungen ohne medizinisches Korrektiv sind fehleranfällig.

Aus der Stellungnahme von KZBV und BZÄK zum GDNG

Sind die Daten gut genug?

Auch die Bundesärztekammer (BÄK) hat Vorbehalte. Vor der Verabschiedung des Gesetzes gab sie zu bedenken, dass die Empfehlungen der Kranken- und Pflegekassen auf unbereinigten Abrechnungsdaten basieren und daher von der Qualität nicht ausreichend seien.

„Eine Ableitung der Morbidität eines Patienten ist mit Abrechnungsdaten nur unzureichend möglich. Das liegt daran, dass für Abrechnungszwecke oftmals Details einer mit ICD-10 kodierten Diagnose entfallen können, weil sie für die Verrechnung einer Leistung obsolet sind oder sich Krankheitsbilder nicht exakt und abgrenzungsfrei mit diesem Code-System beschreiben lassen“, erklärte die BÄK auf unsere Nachfrage. Auf eine ähnliche Problematik habe man auch schon im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) hingewiesen: „In die ePA eines Patienten können die Krankenkassen die ihnen vorliegenden Abrechnungsinformationen einspielen. Auch hier haben wir Rückmeldungen von ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, dass dies zur Verwirrung beziehungsweise Verunsicherung bei Patienten und ihren behandelnden Ärzten führt, weil die festgestellten ärztlichen Diagnosen nicht wortgleich erkennbar sind und Falschdiagnosen bis hin zu Abrechnungsbetrug vermutet wird. Ein vertrauensvolles Patienten-Arzt-Verhältnis wird dadurch aus unserer Sicht beeinträchtigt.“ Die BÄK hätte es sinnvoller gefunden, zunächst in Pilotprojekten zu evaluieren, ob automatisierte Datenauswertungen den Gesundheitsschutz tatsächlich, wie angedacht, verbessern können.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) weist die Kritik zurück. Paragraf 25b sehe keine medizinische Diagnosestellung durch die Kranken- und Pflegekassen vor, teilte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage der zm Anfang Dezember mit. Wenn sich auf Basis der Abrechnungsdaten jedoch Anzeichen für das mögliche Vorliegen einer seltenen Erkrankung oder einer schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung ergeben, stehe den Kassen nun eine Erweiterung ihrer bereits gesetzlich geregelten Aufgabe, Versicherte zu beraten und gezielt zu informieren, zur Verfügung. „Die ärztliche Behandlungsfreiheit und die Wahlfreiheit des Versicherten wird nicht eingeschränkt. Auch die Kranken- und Pflegekassen haben kein Interesse daran, ihre Versicherten durch ungeeignete oder unbegründete Hinweise zu verunsichern und dadurch die Inanspruchnahme unnötiger Leistungen zu verursachen.“

Auch Thomas Moormann vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht Schwierigkeiten bei der Datenqualität. „Die Abrechnungsdaten sind häufig fehlerhaft, kodierte Diagnosen entsprechen oft nicht der Realität. So ist es doppelt problematisch, wenn aus Kodierfehlern zusätzlich ein Behandlungsbedarf abgeleitet wird. Und eine Benachrichtigung wird bei den Versicherten immer Ängste auslösen, nicht nur, wenn es sich um eine mögliche Krebserkrankung handelt.“ Den Nutzen der neuen Regelung zieht er auch aus dem Grund in Zweifel, dass für das Erkennen zum Beispiel unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder fehlender Impfungen eigentlich eine funktionierende ePA ausreiche. „Das wäre die viel elegantere Lösung“, betont Moormann.

Gute Versicherte, schlechte Versicherte

Thomas Müller, Referatsleiter beim BfDI (Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit), hatte im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes angemahnt, dass Paragraf 25b des SGB V-E aus seiner Sicht gegen das sozialdatenschutzrechtliche Trennungsgebot verstößt. Die Kassen würden durch das Gesetz ermächtigt, alle ihnen vorliegenden Sozialdaten sektorenübergreifend auszuwerten. „Dazu zählen neben Abrechnungsdaten aus der vertragsärztlichen Versorgung auch personenbezogene Daten, die im Zusammenhang mit Arzneimittelversorgung, stationärer Versorgung und sonstigen Leistungserbringenden erhoben wurden“, führt er aus.

Müller leitet beim BfDI das Referat Kranken- und Pflegeversicherung. „Diese Zusammenführung und Auswertung von Datensätzen könnte es den Kassen ermöglichen, Gesundheitsprofile zu ihren Versicherten zu erstellen. Dies birgt ein erhebliches Diskriminierungspotenzial. Denn wenn die Kassen die Daten kennen, ist eine Risikoselektion möglich. Sie könnten dann zum Beispiel besonders kranke Versicherte aus der Versicherung drängen.“ Auch BZÄK und KZBV hatten in ihren Stellungnahmen gefordert, dass die Erstellung von Risikoprofilen ausgeschlossen werden müsse.

Das BMG sieht diese Gefahr nicht gegeben, teilte die Sprecherin mit. Der Paragraf schließe explizit aus, dass Versicherte durch die Datenauswertungen und Hinweise bevorzugt oder benachteiligt werden dürfen. Das Gesetz stelle keine Erweiterung der technischen Möglichkeiten der Kranken- und Pflegekassen dar, unzulässige Datenauswertungen vorzunehmen. Zudem hätten die Versicherten die Möglichkeit, der Datenauswertung per Opt-out-Lösung gegenüber ihrer Krankenkasse zu widersprechen.

Aus Sicht des BfDI hätte man einen möglichen Datenmissbrauch ganz einfach umgehen können: „Eine Alternative wäre die Auswertung der Versichertendaten durch eine unabhängige Stelle gewesen, zum Beispiel durch den Medizinischen Dienst. Für die Versicherten bliebe der Nutzen der Maßnahme, aber ohne die Gefahr der Diskriminierung.“

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