Widerstandskämpfer und „Staatsfeinde“ im „Dritten Reich“

Helmut Himpel (1907–1943) – Zahnarzt im Widerstandsnetzwerk „Rote Kapelle“

Heftarchiv Gesellschaft
Sarah Wellens
,
Dominik Groß
Helmut Himpel war aktives Mitglied des Widerstandsnetzwerks „Rote Kapelle“ und kämpfte gegen das NS-Regime. Er gehört zu den wenigen Zahnärzten, deren Tätigkeit in der politischen Opposition eine gewisse öffentliche Bekanntheit erlangte.

Helmut Georg Ludwig Himpel kam am 14. September 1907 in Schönau im Schwarzwald als Sohn des Ehepaars Georg und Lina Himpel, geborene Pfeffinger, zur Welt [Groß, 2023; Kirchhoff/Heidel, 2016; Lutze, 2016; Köhn, 1994; Schwarz, 2022; Sterberegister H. Himpel, 1943]. Er entschied sich erst im zweiten Anlauf für den Zahnarztberuf. Tatsächlich begann er seine Laufbahn zunächst mit einem Studium der Elektrotechnik an den Universitäten Karlsruhe und München. Um 1930 vollzog er dann einen Fachwechsel und schrieb sich für das Studium der Zahnheilkunde ein – anfänglich an der Universität München und später an der Universität Freiburg im Breisgau. Während seines Studiums in Freiburg lernte er seine spätere Lebensgefährtin Maria Terwiel (1910–1943) kennen; fortan sollten ihre Lebenspfade und ihr weiteres Schicksal eng verwoben sein.

Terwiel wurde am 7. Juni 1910 in Boppard am Rhein geboren. Sie hatte im Unterschied zu Himpel eine jüdische Mutter und galt der NS-Ideologie zufolge als „Halbjüdin“, wenngleich sie und ihre Geschwister katholisch erzogen wurden [Meyer-Wilmes, 2023]. 1931 hatte sie in Stettin das Abitur abgelegt und sich dann entschlossen, Rechtswissenschaften in Freiburg und München zu studieren [GDW Terwiel, 2023, Hennig, 2020]. Allerdings wurden ihre akademischen Pläne im „Dritten Reich“ durchkreuzt, da im Jahr 1934 die „arische Abstammung“ zur Voraussetzung für die Zulassung zur juristischen Prüfung gemacht wurde [Meyer-Wilmes, 2023]. Terwiel erhielt aufgrund ihrer „nichtarischen“ Herkunft keinen Referendariatsplatz; somit war sie gezwungen, ihr Studienziel aufzugeben. Sie kehrte zu ihrer Familie zurück, die in der Zwischenzeit nach Berlin gezogen war [GDW Terwiel, 2023, Hennig, 2020].

Himpel erging es zunächst besser: Er konnte 1933 die zahnärztliche Approbation entgegennehmen [Köhn, 1994]. Anders als verschiedentlich angegeben erlangte er jedoch keine Doktorwürde. Nach Beendigung seines Studiums zog Himpel ebenfalls nach Berlin. Dort wechselte er mehrmals seine Adresse. Zunächst lebte er alleine im Borsigwalder Weg 4 [DZB, 1935]. Es ist anzunehmen, dass er zu dieser Zeit in einer bestehenden Zahnarztpraxis als Assistent tätig war – jedenfalls führte er zu diesem Zeitpunkt noch keine eigene Praxis. Erst um 1937 machte sich Himpel in Berlin als Zahnarzt selbstständig [Kirchhoff/Heidel, 2016]. Im „Deutschen Zahnärzte-Buch“ des Jahres 1938 ist er mit der Xantener Straße in Berlin-Wilmersdorf angegeben [DZB, 1938]. 1941 ist dann als Wohnsitz die Lietzenburger Straße in Berlin-Charlottenburg vermerkt [DZB, 1941].

Zu seinen Patienten zählte auch Heinz Rühmann

Himpel war ein äußerst erfolgreicher, fachlich angesehener Zahnarzt. Zu seinen Patienten zählten Mitglieder des diplomatischen Korps, Schauspieler und Künstler, darunter prominente Persönlichkeiten wie etwa Heinz Rühmann (1902–1994) [Bezirksamt, 2012; Schwarz, 2022].

Um 1939 kam Himpel über den Journalisten und Patienten John Graudenz (1884–1942) in Kontakt mit der „Roten Kapelle“, einem illegalen Netzwerk von politischen Widerstandskämpfern [GDW Himpel, 2023; Hennig, 1999; Roloff, 2002, Tuchel, 1993, Tuchel, 1994]. Führende Mitglieder der „Kapelle“ waren Arvid Harnack (1901–1942), Nationalökonom und zeitweilig Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, und Harro Schulze-Boysen (1909–1942), Oberleutnant der Luftwaffe im Reichsluftfahrtministerium.

Entgegen der Behauptung der Gestapo wurde die „Rote Kapelle“ nicht von Kommunisten gelenkt. Ebenso wenig handelte es sich um eine einheitliche Organisation, sondern vielmehr um ein eher loses Netz von Personen(gruppen) aus unterschiedlichen Regionen – allerdings mit einem Schwerpunkt in Berlin. Nun wurde auch Himpel ein Teil der Bewegung. Zu den Schwerpunkten der Kapelle gehörte die Aufklärung über das NS-Regime und dessen Kriegsführung im 1939 begonnenen Zweiten Weltkrieg mittels Flugschriften; besagte Flugblätter wurden illegal gedruckt und vertrieben. Des Weiteren wurden die Verbrechen des NS-Regimes dokumentiert und öffentlich gemacht. Auch das Sammeln und die Weitergabe wichtiger wirtschaftlicher und militärischer Informationen an die Alliierten gehörten zu den Zielen der „Roten Kapelle“. Außerdem leisteten ihre Vertreter verfolgten Juden und in Schwierigkeiten geratenen Oppositionellen Hilfestellung.

Himpel und Terwiel spielten alsbald eine aktive Rolle in diesem Netzwerk [Tuchel, 1993; Tuchel, 1994]. Sie hatten sich 1940 verlobt. Da Terwiel nach Lesart des NS-Regimes keine „Arierin“ war, durfte das Paar aufgrund der damaligen „Rassengesetze“ nicht heiraten [Bezirksamt, 2012; Köhn, 1994; Hennig, 1999]. Nach der Verlobung zog Terwiel in Himpels Wohnung [Kirchhoff/Heidel, 2016] in der Lietzenburger Straße 72 in Berlin-Charlottenburg [Bezirksamt, 2012].

In der Folgezeit druckten und verbreiteten Himpel und Terwiel Flugblätter und Schriften, darunter die berühmte Predigt des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen (1878–1946), der im Sommer 1941 die systematischen Morde an psychisch Kranken anprangerte und dazu aufrief, diese Verbrechen zu stoppen [Köhn, 1994]. Darüber hinaus halfen sie Juden, sich zu verstecken und besorgten gefälschte Papiere und Lebensmittelkarten für Personen, die sich der Deportation entzogen hatten und untergetaucht waren [Bundeszentrale für politische Bildung, 2016; Hennig, 2020].

Für geheime Treffen stellte er seine Praxis zur Verfügung

Himpel war nach heutiger Kenntnis – neben dem Dentisten Paul Rentsch (1898–1944) [Wellens/Groß, 2023] – der einzige nichtjüdische Zahnbehandler in Berlin, der sich im politischen Widerstand betätigte [Köhn, 1994]. Er konnte aufgrund seines Berufs spezifische Aktivitäten ergreifen [Bezirksamt, 2012; Hennig, 2020; Lutze, 2016; Schwarz, 2022]: So stellte er seine Praxisräume für geheime Treffen seiner Widerstandsgruppe zur Verfügung. Er machte zudem Hausbesuche und versorgte jüdische Patienten – auch solche, die weit entfernt wohnten – kostenlos in deren Wohnungen, nachdem diese seine Praxis nicht mehr aufsuchen konnten. Außerdem nahm er Einfluss auf Untersuchungen zur Wehrtauglichkeit und verhalf so manchen zu einer Befreiung von der Wehrpflicht. Überdies versuchte er, weitere Personen für die Arbeit im Widerstand zu gewinnen.

So gelang es ihm Ende 1941, den Pianisten Helmut Roloff (1912–2001) anzusprechen. Jener entstammte einer bekannten Professorenfamilie in Gießen. Die Eltern waren erklärte Gegner der nationalsozialistischen Ideologie. Roloff galt als außergewöhnlich musikalisch. Im Jahr 1935 immatrikulierte sich Roloff an der Berliner Hochschule für Musik. Dort bekam er den politischen Wandel deutlich mit. Bereits 1933 hatte der Präsidialrat der Reichsmusikkammer Fritz Stein (1879–1961) die Devise ausgegeben: „Nicht Artisten wollen wir heranzüchten, sondern deutsche Künstler“ [Tagesspiegel, 2012].

Dementsprechend waren der „Lehrkörper“ im Sinne der Rassenideologie „arisiert“ und jüdische Künstler und Musikpädagogen vertrieben worden. Doch zunächst verhielt sich Roloff angepasst: Nach dem Studium der Musik begann er als Dozent am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium zu arbeiten und gab Konzerte. Erst als er im Winter 1941 auf den Musikliebhaber Himpel traf, wurde er Teil der Widerstandsaktionen der „Roten Kapelle“ [Tuchel, 1993].

Terwiel hatte unterdessen Arbeit als Schreibkraft in einem französisch-schweizerischen Textilunternehmen gefunden [Bezirksamt, 2012; Meyer-Wilmes, 2023]. Mit ihrer Schreibmaschine vervielfältigte sie weitere Flugblätter der „Roten Kapelle“, darunter die mit „AGIS“ unterzeichnete Flugschrift „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“ im Januar 1942 [GDW Terwiel, 2012; Hennig, 1999]. AGIS war zum einen der Name eines spartanischen Königs und bedeutet zum anderen auf lateinisch den Imperativ „Handele!“. Ziel des Flugblatts war die Aufklärung der Bevölkerung über die Grausamkeiten des Regimes. Am 17. und 18. Mai 1942 nahm sie zudem an einer Zettelklebeaktion gegen die nationalsozialistische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ teil [GDW Terwiel, 2012].

Im Herbst 1942 wurden zahlreiche Mitglieder der „Roten Kapelle“ von der Gestapo entdeckt und aufgegriffen. Bis 1943 wurden insgesamt mehr als 100 Mitglieder des illegalen Netzwerks festgenommen und in die Gewalt der Gestapo-Sonderkommission gebracht. Besagte Sonderkommission war vom Reichssicherheitshauptamt speziell für die „Rote Kapelle“ eingerichtet worden. Nach Abschluss der Untersuchungen wurden 56 Frauen und Männer in mehreren Prozessen vor dem Reichskriegsgericht und in zusätzlichen Verfahren vor dem Volksgericht zum Tod verurteilt.

Das Paar wurde festgenommen und hingerichtet

Auch Himpel und Terwiel wurden „enttarnt“: Am 17. September 1942 wurde das Paar in der gemeinsamen Wohnung in der Lietzenburger Straße von Mitarbeitern der Gestapo festgenommen. Am 26. Januar 1943 erging durch das Reichskriegsgericht in beiden Fällen ein Todesurteil wegen „Landesverrats“. Terwiel war zunächst im Frauengefängnis an der Kantstraße 79 inhaftiert; von dort aus wurde sie am 3. Mai in das Lazarett des Untersuchungsgefängnisses Moabit transferiert [Bezirksamt, 2012].

Himpel wurde am 13. Mai 1943 hingerichtet. Zwei Tage vor seinem gewaltsamen Tod verfasste er noch einen Abschiedsbrief an die Eltern seiner Verlobten. Obwohl er sich seines Schicksals bewusst war, strahlt sein Schreiben eine bemerkenswerte Zuversicht und Gottvertrauen aus. So notierte er: „Liebe Ursel, lieber Gerd! Gestern war ein glücklicher Tag. Die ganze Zeit, aus undefinierbaren Gründen, war ich fabelhaft aufgelegt. Zudem waren gestern auch einige Herren Pastoren bei uns zu Besuch, und so gehen die Stunden schneller. Auch fühlt man sich durch guten Willen, der allein schon aus den Besuchern spricht, so gehoben, daß allein dadurch ein freundlicher Schein auf den Tag fällt“ [Köhn, 1994].

Terwiel hatte ihrerseits ein Gnadengesuch gestellt, das Adolf Hitler jedoch am 21. Juli 1943 ablehnte. So erlitt sie das gleiche Schicksal wie ihr Lebensgefährte. Sie wurde am 5. August 1943 in Plötzensee durch ein Fallbeil hingerichtet [Bezirksamt, 2012].

Auch Roloff war am 17. September 1942 festgenommen und in der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße befragt worden. 14 Tage später kam er in das Strafgefängnis Berlin-Plötzensee. Roloff wurde am 26. Januar 1943 überraschend aus dem Gefängnis entlassen; er hatte dem Untersuchungsrichter glaubhaft machen können, „unschuldig“ zu sein [Tagesspiegel, 2012]. Er verstarb am 29. September 2001 kurz vor seinem 89. Geburtstag in Berlin.

Zwei Stolpersteine erinnern an ihr Schicksal

Himpel gehört heute zu den wenigen Widerstandskämpfern aus den Reihen der Zahnärzte und Dentisten, die eine gewisse Bekanntheit erlangten. Wer sich näher mit ihm beschäftigt, entdeckt eine facettenreiche Persönlichkeit. Himpel war zweifellos ein außergewöhnlich mutiger Oppositioneller und ein äußerst erfolgreicher Zahnarzt, doch er hatte viele weitere Interessen und Talente. Er war ein begabter Goldschmied und verbrachte Zeit damit, kunstvolle Schmuckstücke zu schaffen. Das Kochen war eine weitere Leidenschaft, ebenso schätzte er gute badische Weine. Wie oben angedeutet, interessierte er sich intensiv für Musik, aber auch für Kunst und Kultur [Kirchhoff/Heidel, 2016]. Er hatte zudem eine tiefe Verbindung zu seiner Familie und seinen Freunden und war ein gläubiger Christ. Er hinterließ ein Zeugnis, das seine Glaubens- und Geisteshaltung am Ende seines Lebens dokumentiert: „Wenn Dir manchmal das Herz schwer wird und Du kein Ziel mehr siehst: flüchte Dich in Deine Klause, spiel etwas gute Musik und dann lies aus dem Neuen Testament den 13. Absatz des ersten Korintherbriefs!“ [Stiftung 20. Juli 1944, 2002].

Der Name Helmut Himpel steht seit einigen Jahren auf einer Gedenktafel der Berliner Zahnärzteschaft. Seit dem 13. März 1912 befinden sich zudem zwei Stolpersteine in der Lietzenburger Straße 72 in Berlin-Charlottenburg [Bezirksamt, 2012, Stolpersteine Himpel, 2012, Stolpersteine Terwiel, 2012]. Sie erinnern an das Schicksal von Maria Terwiel und Helmut Himpel.

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Sarah Wellens

Universitätsklinikum der
RWTH Aachen University MTI 2
Wendlingweg 2, 52074 Aachen
269810-flexible-1900

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß

Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Vorsitzender des Klinischen
Ethik-Komitees des UK Aachen
Universitätsklinikum der
RWTH Aachen University MTI 2
Wendlingweg 2, 52074 Aachen

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