„Politische Drohgebärden sind nicht mehr zeitgemäß“
Herr Öttl, der FVDZ wurde vor 70 Jahren gegründet. Wie kam es dazu?
Dr. Christian Öttl: Der FVDZ ist als Notgemeinschaft deutscher Zahnärzte entstanden. Gründungsvater war Dr. Wolfgang Mzyk, ein niederbayerischer Zahnarzt; er hat den Verband 1955 mit ein paar Kollegen in Bingen am Rhein ins Leben gerufen, um allen Zahnärzten eine Kassenzulassung zu ermöglichen. Die Kassen haben sich damals Zahnärzte ausgesucht, mit denen sie zusammenarbeiten wollten, die anderen erhielten keine Zulassung. Mzyk hat sich unerschrocken mit den Kassen und der Politik angelegt. Er galt als politisches Enfant terrible.
Welche Persönlichkeiten haben den Verband noch geprägt?
Alle Bundesvorsitzenden haben besondere Schwierigkeiten bekämpft und gemeistert. Jeder hat seine Spuren hinterlassen.
Wie hat sich der Verband seit der Gründung entwickelt und verändert?
Vom Erkämpfer der Kassenzulassung ist der Verband im Laufe der Zeit zum Verteidiger der vertragszahnärztlichen Freiheit geworden. Der FVDZ tritt für freie Berufsausübung und Therapiefreiheit ein. Er hat immer versucht, den Zahnärzten so viele Freiheiten wie möglich zu verschaffen, damit sie frei von politischer Gängelei praktizieren können. Durch die große Gemeinschaft hat der Verband Schlagkraft. Die Zahl der Mitglieder ist in den 1990er-Jahren bis auf 30.000 angewachsen.
Heute hat der Verband rund 16.000 Mitglieder, darunter immer mehr angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte. Sie stehen meist an einem ganz anderen Punkt in ihrer Lebensplanung als niedergelassene ältere Kollegen – besonders, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Flexiblere Strukturen und weniger unternehmerische Verantwortung stehen dabei häufig im Mittelpunkt ihrer Planung. Damit müssen wir uns als Berufsverband auseinandersetzen und Wege für die Kolleginnen und Kollegen aufzeigen. Denn die Berufswelt der Zahnärztinnen und Zahnärzte hat sich verändert.
Was waren wichtige Meilensteine und Erfolge?
Der Verband hat viele Freiheiten erkämpft. In den 1950er-Jahren hat er dafür gekämpft, dass jeder Zahnarzt eine Kassenzulassung bekommt. In den 1970er-Jahren wurde der Zahnersatz in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen. Damals hatten die Kassen viel Geld zur Verfügung, bis Horst Seehofer (CSU) in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister in den 90er-Jahren die Budgetierung eingeführt hat.
1998 kam es zu einer weiteren Herausforderung: Plötzlich war Zahnersatz nicht mehr Teil des Leistungskatalogs, sondern musste rein privat bezahlt werden. Davon ist der Gesetzgeber aber bereits 1999 wieder abgerückt; danach wurde das System der Festzuschüsse eingeführt. Der FVDZ hat auch für die bessere Honorierung von Alternativen zum Amalgam gekämpft und erreicht, dass sich Patienten gegen Aufpreis zum Beispiel auch Keramikfüllungen einsetzen lassen können, ohne den Sachleistungsanspruch zu verlieren. Der Verband hat dafür gesorgt, dass es bei Füllungen neben einer wirtschaftlichen einfachen Versorgung auch abgestufte bessere Versorgungen gibt.
Weiterhin hat der FVDZ erreicht, dass 2007 die Zulassungssperren gefallen sind. Bei der Altersgrenze von 68 Jahren für Kassenzahnärzte hat der FVDZ sich dafür eingesetzt, dass sie aufgehoben wird – mit Erfolg. Seit 2009 können niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte so lange arbeiten, wie sie möchten und dazu in der Lage sind.
Was war schwierig?
1991 hat der Verband Zahnärzte aufgerufen, aus Protest gegen die Budgets und die Einsparungsgesetze ihre Kassenzulassung abzugeben. Damit war der „Korb“ aus der Taufe gehoben. Diesem Aufruf sind viele nachgekommen, aber das notwendige Quorum, um wirksam zu werden, wurde nicht erreicht. In der Folge hat der Gesetzgeber das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) dahingehend geändert, dass Zahnärzte, die ihre Zulassung kollektiv abgeben, diese erst nach sechs Jahren wieder zurückerhalten können. Dieses Risiko ist vielen zu groß.
Früher sind Vertreter des Verbands zum Teil sehr kämpferisch aufgetreten und haben keine Konfrontation gescheut. Haben sich die Haltung und das Auftreten seitdem verändert?
Inzwischen gibt es eine größer werdende Zahl von Mitgliedern, die im Angestelltenverhältnis für die Freiberuflichkeit nicht so vehement eintreten, wie es viele Praxisinhaber tun. Zusätzlich trifft das Problem der Demografie auch die Zahnarztpraxen. Der Verband ist daher pragmatisch-realistisch geworden. Wir schauen, wie wir die Patientenversorgung auch in Zukunft mit hauptsächlich niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen möglichst überall aufrechterhalten können. Mit ausschließlich kämpferischem Auftreten können wir heute keinen Blumentopf mehr gewinnen. Politische Drohgebärden und Kampfansagen sind nicht mehr zeitgemäß und schrecken eher ab.
Wie haben sich die Rahmenbedingungen und damit die Anforderungen an die Zahnärzte verändert?
Die Infrastruktur auf dem Land fehlt, zum Beispiel die Kinderbetreuung, Schulen, der Ausbau digitaler Infrastruktur, Apotheken, Einkaufsmöglichkeiten oder Arztpraxen und auch kulturelle Veranstaltungen. Dadurch ist es für Zahnärzte nicht attraktiv genug, sich in ländlichen Regionen niederzulassen. Häufig fehlen auch die Arbeitsmöglichkeiten für den Partner oder die Partnerin. Der Staat sollte für eine bessere Infrastruktur auf dem Land sorgen, wir können ihm nicht alles abnehmen.
Ein weiteres großes Problem ist der Personalmangel: Für die Praxisinhaber ist es schwer, qualifiziertes Personal zu finden. Sie leiden außerdem unter der überbordenden Bürokratie, dem Honorarstillstand seit 37 Jahren und geringen Freiheitsgraden in der Gesetzlichen Krankenversicherung.
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Der FVDZ 2014 mit Gründungsvater Dr. Wolfgang Mzyk
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Wir erwarten, dass sie den Punktwert in der GOZ endlich an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung anpasst, damit die Patienten nicht vom medizinischen Fortschritt abgehängt werden. Die neue Bundesregierung sollte keine weiteren Leistungen in den Katalog der GKV aufnehmen und alle Budgets abschaffen.
Überdenken sollte eine neue Bundesregierung vor allem auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Sanktionierungspolitik hinsichtlich der elektronischen Patientenakte – diese halten wir in keiner Hinsicht für hilfreich. Wir fordern, dass es weiterhin keine Zulassungsbeschränkungen gibt und dass für gesetzlich und privat Versicherte Therapiefreiheit gilt. Besonders wichtig ist der Abbau von Bürokratie. Mein größter Wunsch ist es, dass das im Koalitionsvertrag angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz endlich Realität wird. Ich halte es durchaus für möglich, dass das passiert.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft des Verbands?
Wir arbeiten daran, dass wir auch künftig ein starker Verband mit starker Stimme sind. Heute haben wir einen pragmatischen Stil. Ich möchte niemandem ein Wolkenkuckucksheim versprechen. Meine Vision ist, dass wir die Versorgung aufrechterhalten – aber mit verbesserten Rahmenbedingungen.
Das Gespräch führte Anne Orth.