Little Brother is watching them
Die Hersteller von Body-Worn Cameras (BWCs) versprechen mitunter, dass durch ihre Geräte die Zahl der Zwischenfälle um 53 Prozent zurückgeht und – einmal eingeschaltet – fast jede zweite Situation (47 Prozent) deeskaliert. Überprüfbar sind diese Angaben aber nicht.
Die International Association for Healthcare Security & Safety (IAHSS) wollte daher die Auswirkungen der Körperkameras im Krankenhausumfeld und die Einstellung der Beschäftigten gegenüber den Geräten genauer erfassen. An der Studie nahmen Sicherheitsteams von 53 Krankenhäusern teil, in denen BWCs eingesetzt werden, und Beschäftigte aus 57 Einrichtungen, die dies nicht tun.
Violence abroad
Im „Workplace Violence Report“ der größten US-Krankenschwesterngewerkschaft National Nurses United (NNU) von 2024 sagten acht von zehn Pflegekräften, sie hätten 2023 mindestens eine Form von Gewalt am Arbeitsplatz erlebt. Fast die Hälfte gab an, dass die Gewalt am Arbeitsplatz in ihrer Abteilung zugenommen hat, nur knapp 4 Prozent berichteten von einem Rückgang. Am häufigsten waren verbale Drohungen (68 Prozent), körperliche Drohungen (39 Prozent) sowie „Kneifen oder Kratzen“ (37 Prozent). Für Großbritannien zeigt der NHS Staff Survey vom Herbst 2024, dass 14 Prozent der NHS-Beschäftigten in den vergangenen 12 Monaten körperliche Gewalt durch Patienten oder andere Personen erfahren haben. 25 Prozent von ihnen waren mindestens einmal Opfer von Belästigung, Mobbing oder Missbrauch. Der Survey unterscheidet jedoch nicht zwischen Einrichtungen mit Body-Worn Cameras und ohne.
Da alle Angaben für wertvoll gehalten wurden, wurden auch Probanden, die einige Fragen nicht beantwortet hatten, in den Datensatz aufgenommen. Die Befragten arbeiteten in Kliniken in den USA, aber auch in Australien, Kanada, Puerto Rico, dem Vereinigten Königreich und den Amerikanischen Jungferninseln. In der Zusammensetzung von Interventions- und Kontrollgruppe gab es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Krankenhauslage, -trägerschaft, -geschäftsmodell und -größe. In beiden Stichproben gab es etwa gleich viele Häuser mit psychiatrischer Abteilung.
Nur in einem Krankenhaus tragen Ärzte Kameras
Die IAHSS-Studie belegt nach Ansicht der Forschenden positive Auswirkungen der Kameras: So berichten damit ausgestattete Sicherheitsmitarbeiter auf einer fünfstufigen Likert-Skala (1=„Stimme überhaupt nicht zu“ bis 5= „Stimme voll und ganz zu“)
von einem stärkeren Selbstvertrauen (4,31),
von einem deeskalierenden Effekt (4,12),
von besseren Dokumentationsmöglichkeiten (4,71),
Weniger sicher ist sich das befragte Sicherheitspersonal, dass sich Krankenpfleger und -schwestern (3,38) oder Ärztinnen und Ärzte (3,63) sicherer fühlen würden, wenn sie BWCs tragen. Tatsächlich ist dies nur in einem Krankenhaus aus der Stichprobe der Fall. Immerhin: Das hier befragte Gesundheitspersonal gab an, sich seit der Verwendung etwas wohler zu fühlen (3,63).
Zur Streitschlichtung wurden mit BWCs erstellte Aufnahmen in rund 78 Prozent der Einrichtungen mindestens einmal verwendet, fast 29 Prozent nutzten sie bei gerichtlichen Auseinandersetzungen infolge von Übergriffen. Zum Einsatz kommen die Kameras dabei vor allem dort, wo bereits größere Sicherheitsanstrengungen unternommen werden: Beispielsweise haben Krankenhäuser, die Kameras einsetzen, viel häufiger Sicherheitspersonal, das rund um die Uhr mit Schusswaffen und Tasern ausgerüstet ist und auch andere Waffen einsetzt.
Sorgen Bodycams für mehr Sicherheit?
Das befragte Sicherheitspersonal fühlt sich zu 100 Prozent durch die Videotechnik vor falschen Anschuldigungen besser geschützt und 96 Prozent sehen insgesamt positive Auswirkungen, „die dazu führen, dass sich das Pflegepersonal viel sicherer fühlt“.
Das Beispiel Dortmund
Im Frühjahr 2024 ergab eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dass Krankenhauspersonal deutlich stärker von Gewalt betroffen ist als früher. So gaben drei Viertel der teilnehmenden 250 Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten an, dass die Zahl der Übergriffe in ihren Häusern seit 2019 gestiegen sei, nur vier Prozent berichten von weniger Gewalt. Die Hälfte hält besonders die Notaufnahme für einen belasteten Bereich. Hauptursachen für Gewalt sind demzufolge ein allgemeiner Respektverlust gegenüber dem Krankenhauspersonal, aber auch lange Wartezeiten. Dagegen hält man vor allem mit Deeskalationstrainings und baulichen Maßnahmen, wie Zutrittsbeschränkungen und Videoüberwachung, gut ein Viertel der Kliniken hat zudem einen Sicherheitsdienst. Im Dortmunder Klinikum sollen nun Bodycams zum Einsatz kommen. Dabei soll jeder Mitarbeitende selbst entscheiden können, ob er sie verwendet oder nicht und wann er sie einschaltet. Eingeschaltet werden dürfen die Kameras aber ohnehin nur dann, wenn eine Eskalation droht – nicht in vertraulichen Situationen, wie während einer medizinischen Behandlung. Die aufgezeichneten Übergriffe würden in der Regel zur Anzeige gebracht und hätten beweissichernde Wirkung. So könnten Vorfälle zu einem Hausverbot führen, von dem nur medizinische Notfälle ausgenommen sind.
Die Daten liefern „eindeutige Belege für die Wirksamkeit von Körperkameras“, sowohl für die damit ausgerüsteten Sicherheits- und Polizeibeamten selbst als auch für Ärzte, Krankenschwestern, anderes Krankenhauspersonal und Besucher, „da sie für ein sichereres Umfeld sorgen“, bilanzieren die Forschenden.
Die Studie:
Scott Hill, Mindy Burch, The Impact of Body-Worn Cameras in Hospitals: An In-Depth Study, IAHSS-F RS-24-02 June 1, 2024, iahssf.org/research/the-impact-of-body-worn-cameras-in-hospitals-an-in-depth-study/ (abgerufen am 2. Juni 2025)