So wird die Praxis-Website barrierefrei

Mehr als nur Farbe und große Schrift

Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz BFSG, in Kraft. Die neue Regelung geht aus der EU-weiten Richtlinie zur digitalen Inklusion hervor. Ziel ist es, Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Welt zu ermöglichen. Schafft Ihre Praxis-Website das?

Inklusion endet nicht an der Tür eines Gebäudes, sie muss auch im Internet stattfinden. Dafür gibt es einen internationalen Standard: die „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG). Diese zielen darauf ab, digitale Inhalte für alle Menschen zugänglich zu machen. Die vier Prinzipien „wahrnehmbar“, „bedienbar“,„verständlich“ und „robust“ bilden die Grundlage für inklusive digitale Gestaltung – unabhängig von individuellen Einschränkungen oder verwendeten Hilfsmitteln (siehe Kasten).

Was bedeutet das konkret für Ihre Website? Wenn Ihre Website noch nicht barrierefrei ist, müssen technische, gestalterische und inhaltliche Anpassungen vorgenommen werden – auf Basis der WCAG. Die Pflicht richtet sich zunächst nicht an Praxen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft. Zudem müssen von der betroffenen Praxis Dienstleistungen im elektronischen Rechtsverkehr, wie beispielsweise eine eigene Online-Terminbuchung angeboten werden.

Erfüllen Sie eines der beiden genannten Kriterien und bieten Sie zusätzlich eine Terminbuchung über Ihre Website an? Dann müssen die Anpassungen vorgenommen werden, um die Website barrierefrei zu machen.

Das POUR-Prinzip

Das POUR-Prinzip bildet das Fundament der WCAG-Richtlinien und steht für:

  • Wahrnehmbar (Perceivable) bedeutet, dass Inhalte für alle Sinne zugänglich sein müssen – zum Beispiel durch alternative Textformate für Bilder oder Untertitel für Videos.

  • Bedienbar (Operable) verlangt, dass Nutzer eine Website mit verschiedenen Eingabemethoden – zum Beispiel via Tastatur – steuern können und für Interaktionen ausreichend Zeit haben.

  • Verständlich (Understandable) stellt sicher, dass Informationen und die Bedienung der Benutzeroberfläche klar sind – zum Beispiel durch klare Sprache und konsistente Navigation.

  • Robust (Robust) heißt, dass die Web-Inhalte für alle Arten von Anforderungen interpretierbar sein müssen – zum Beispiel für assistierende Technologien wie Screenreader.

Technische Maßnahmen

Technisch betrachtet erfordert eine barrierefreie Website eine saubere, semantisch korrekte Programmierung. Dazu gehört etwa der Einsatz sinnvoll strukturierter HTML-Elemente, wie zum Beispiel Überschriftenhierarchien mit H1 bis H6, klare Formularbeschriftungen und logisch benannte Links. Auch sogenannte ARIA-Rollen spielen eine wichtige Rolle: Sie ermöglichen es, interaktive Elemente wie Slider, Tabs oder Dropdown-Menüs für Screenreader verständlich zu machen. Medieninhalte – ob Video, Audio oder Animation – sollten mit Alternativen ausgestattet sein, wie Transkripten, Audiodeskriptionen oder Untertiteln.

Gestalterische Maßnahmen

Auf gestalterischer Ebene geht es vor allem um Kontraste, Lesbarkeit und Orientierung. Texte sollten eine ausreichend große Schriftgröße haben, in einer gut lesbaren serifenlosen Schriftart gesetzt sein und sich klar vom Hintergrund abheben. Zudem sollte die Website die Möglichkeit bieten, per Bedienelement oder Browser-Zoom Texte um mindestens 200 Prozent zu vergrößern. Auch Nutzer mit Farbsehschwächen müssen Inhalte erfassen können, weshalb Informationen nie ausschließlich über Farbe vermittelt werden dürfen. Elemente wie Buttons oder Links sollten auch durch Symbole, Rahmen oder Text kenntlich gemacht werden.

Inhaltliche Maßnahmen

Barrierefreie Inhalte sollten möglichst in einfacher und klarer Sprache formuliert sein. Gerade im medizinischen Umfeld ist es oft notwendig, Fachbegriffe zu verwenden – doch auch diese sollten erklärt oder durch allgemeinverständliche Begriffe ergänzt werden.

Die Texte sollten klar strukturiert sein, mit Zwischenüberschriften, kurzen Absätzen und in verständlicher Sprache. Außerdem sollte es Erklärungen zu Bedienelementen geben (zum Beispiel bei interaktiven Formularen) sowie die Möglichkeit, Fehlermeldungen verständlich und eindeutig darzustellen. Multimediale Inhalte (etwa Erklärvideos) ergänzt man durch barrierefreie Alternativen.

Weitere Maßnahmen

Ein wichtiger Bestandteil barrierefreier Websites sind sogenannte Accessibility-Widgets, die Nutzern individuelle Anpassungen ermöglichen. Hierzu zählen Funktionen wie das Vergrößern von Schriften, die Einstellung von Zeilen- und Buchstabenabständen, die Wahl kontrastreicher Farbmodi wie dem Dunkelmodus oder Farbschwächefilter oder auch die Aktivierung eines Screenreaders. Diese Werkzeuge bieten vor allem denen Unterstützung, die auf bestimmte Darstellungsformen oder Eingabemethoden angewiesen sind.

Das Accessibility WIDGET

Inhalte und Text

  • anpassbare Schriftgröße (bis 200 Prozent)

  • Zeilen- und Textabstand, Wort- und Buchstabenabstand einstellbar

  • serifenlose Schriftarten (zum Beispiel Arial)

  • Mindestgröße interaktiver Elemente: 24 × 24 CSS-Pixel

  • Vergrößerung des gewählten Textbereichs (Textlupe)

  • anpassbarer Mauszeiger (Größe, Farbe)


Farben

  • zentral anpassbare Farbgestaltung von Text und Hintergrund

  • Kontrastmodus: Dunkelmodus, Hellmodus, Blaulichtfilter

  • Farbschwäche-Modus: Deuteranopie, Protanopie, Tritanopie


Bedienung und Sprachausgabe

  • Screenreader-Funktion, idealerweise mit Vorlesefunktion

  • vollständige Tastaturnavigation

  • Sprachbefehle (bei Mikrofonzugang)

  • Möglichkeit zur Stummschaltung


Display-Anpassungen

  • Animationen deaktivieren

  • Bilder ausblenden

  • Elemente hervorheben

Da es sich um ein neues Gesetz handelt, setzen die meisten Websites – mit Ausnahme einiger Behörden – die WCAG-Richtlinien bisher nicht um. Es ist möglich, dass Google-optimierte Websites bereits die Richtlinien der Stufe A erfüllen, da diese nicht nur ein Barrierefreiheits-, sondern auch ein Ranking-Faktor sind. Die benötigte Stufe AA wird vermutlich erst mit dem Einsatz des Widgets validiert sein, da Website-Inhaber in der Regel nicht auf Gestaltung und Ästhetik verzichten wollen.

Gemäß § 37 BFSG kann bei schwerwiegenderen Verstößen eine Geldbuße von bis zu 100.000 Euro verhängt werden. In allen anderen Fällen kann die Geldbuße bis zu 10.000 Euro betragen. Die genaue Strafe hängt von der Schwere des Verstoßes und seinen Auswirkungen auf Einzelpersonen ab.

Fazit: Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil nutzen

Barrierefreiheit ist mehr als nur eine gesetzliche Auflage: Sie ist ein Wettbewerbsvorteil, ein Qualitätsmerkmal und ein Beitrag zur digitalen Teilhabe. Praxen, die heute in Barrierefreiheit investieren, sind morgen im Vorteil – rechtlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich.

Barrierefreiheit ist kein einmaliger Arbeitsschritt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Regelmäßige Tests mit Betroffenen, automatisierte Prüfungen und die Einbindung barrierefreier Standards in Design- und Entwicklungsprozesse sind entscheidend für eine langfristige digitale Inklusion. Dabei sollte Barrierefreiheit nicht als Pflicht verstanden werden, sondern als Chance.

Denn eine barrierefreie Website ist immer auch eine benutzerfreundlichere Website. Sie bietet klare Strukturen, bessere Lesbarkeit, höhere Auffindbarkeit in Suchmaschinen und eine positive Nutzererfahrung für alle Besucher – unabhängig davon, ob sie eine Einschränkung haben oder nicht. Auch temporäre Einschränkungen – etwa durch eine gebrochene Hand, eine Sehschwäche nach einer Operation oder schlicht Lichtverhältnisse – können durch ein barrierefreies Design abgefedert werden.

Muss ich meine Praxis-Website anpassen?

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat Kontakt mit der Bundesfachstelle Barrierefreiheit aufgenommen, um zu eruieren, inwieweit Praxis-Websites vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) betroffen sind. Für die Zahnarztpraxen kann danach beispielsweise die Möglichkeit der Terminbuchung auf der eigenen Website als sogenannte Dienstleistung im elektronischen Rechtsverkehr dazu führen, dass das BFSG ab dem 29.06.2025 Anwendung findet.

Die Pflicht zur Anpassung der Praxis-Website besteht daher nach Auffassung der Bundesfachstelle, wenn die Praxis Online-Tools zur Terminbuchung auf der Website implementiert hat. Wird jedoch auf der Website lediglich auf einen Drittanbieter verlinkt, der dann für die Praxis die Terminbuchung übernimmt, besteht für die Praxis keine Pflicht nach dem BFSG. Da jede Praxis-Website einzelfallbezogen zu betrachten sein wird, empfiehlt die BZÄK mit einem IT-Berater zusammenzusetzen und zu eruieren, ob das BFSG zu berücksichtigen ist. 

Quelle: BZÄK

Zum Hintergrund: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz BFSG, wurde am 15.06.2022 verabschiedet und definiert Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht oder erbracht werden. Darunter fallen unter anderem der gesamte Online-Handel, Hardware, Software, aber auch Personenverkehr oder Bankdienstleistungen. Die neue Regelung geht aus der EU-weiten Richtlinie zur digitalen Inklusion hervor. Ziel ist es, Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Welt zu ermöglichen. Das BFSG betrifft grundsätzlich Hersteller, Händler und Importeure von bestimmten Produkten sowie Dienstleistungserbringer.

Wer seine Website barrierefrei gestaltet, macht sie nicht nur gesetzeskonform, sondern auch zukunftsfähig. Es wird ein digitales Angebot geschaffen, das alle Menschen gleichermaßen inkludiert und man sendet damit eine klare Botschaft: Alle sind willkommen!

Emmanuel Croué

Geschäftsführer praxiskom
Die Praxisberatung betreut seit 2003 Zahnärzte, Kieferorthopäden und Kieferchirurgen im Bereich Praxismarketing mit der Zielsetzung, Neupatienten und Mitarbeitende zu gewinnen, Patienten zu binden sowie deren Praxis als eine starke lokale Marke zu etablieren.
praxiskom

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