„Der Kauf von Schnäppchen aus Fernost ist mit sehr hohen Risiken verbunden“
Herr Linneweh, können Sie beziffern, wie hoch der Anteil asiatischer Medizinprodukte am deutschen Dentalmarkt ist?
Jochen G. Linneweh: Diese Zahl lässt sich aktuell nicht mit belastbaren Fakten belegen. Es gibt keine offiziellen Erhebungen oder Statistiken über den Absatz von Medizinprodukten ausländischer Online-Plattformen, da diese in der Regel keine Mehrwertsteuer in Deutschland abführen. Es existiert daher auch keine staatliche Übersicht über diese Transaktionen.
Aus unserer Sicht als Bundesverband Dentalhandel, der den Markt und dessen Entwicklungen intensiv beobachtet, ist der Anteil dieser Produkte jedoch als sehr gering einzuschätzen. Die deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzte legen großen Wert auf Qualität, Sicherheit und Konformität und sind sich sehr wohl bewusst, dass Produkte aus diesen Quellen oft nicht den hohen europäischen Standards und Anforderungen, insbesondere der MDR (Medical Device Regulation), genügen.
Um welche Produkte handelt es sich und welche werden besonders nachgefragt?
Während aus asiatischen Herstellungsländern zahlreiche Komponenten und Bestandteile in Kleingeräten zu finden sind, werden diese in der Regel von europäischen Markenherstellern verbaut und als normkonforme Produkte in Deutschland verkauft. Wir schätzen, dass der Anteil solcher Geräte am deutschen Markt bei etwa 20 bis 30 Prozent liegt.
Bei Großgeräten wie zum Beispiel Behandlungseinheiten, Röntgengeräten oder Saugmaschinen ist dieser Anteil wesentlich geringer. Diese Produkte stammen überwiegend aus deutscher und europäischer Produktion, sodass der Anteil asiatischer Geräte auf unter fünf Prozent abnimmt. Bei Verbrauchsmaterialien wie zum Beispiel Kompositen liegt der geschätzte Marktanteil bei etwa 10 bis 15 Prozent.
Welchen Anteil haben Onlineplattformen am Markt für Medizinprodukte? Wie hoch ist speziell der Marktanteil chinesischer Onlineplattformen?
Inzwischen hat jeder Dentalhändler eine oder mehrere Onlineplattformen, das ist mittlerweile Standard. Dem Kunden bietet sich damit eine große Auswahl und die Wahl, welchen Bestellweg er bevorzugt. Der Anteil chinesischer Onlineplattformen am deutschen Dentalmarkt ist bisher unbedeutend. Ob er zunehmen wird, ist schwer zu sagen.
Stellen chinesische Onlineplattformen eine Gefahr für den deutschen Dentalhandel dar?
Wir sehen chinesische Onlineplattformen derzeit nicht als ernstzunehmende Konkurrenz für den etablierten deutschen Dentalhandel. Der Anteil von Zahnärztinnen und Zahnärzten, die Medizinprodukte über diese Wege beziehen, ist nach unserer Einschätzung sehr gering.
Der Bundesverband Dentalhandel (BVD)
... vertritt die Interessen des deutschen Dentalfachhandels in enger Abstimmung mit zahnärztlichen Verbänden und Kammern im Sinne der Sicherstellung der Versorgungssicherheit für die Zahnmedizin. Zu den Mitgliedern zählen Dentalfachhändler und Hersteller, die überwiegend über den Handel liefern. Sitz des 1913 gegründeten Verbands ist Köln.
Dies liegt maßgeblich daran, dass sich die Anwender der potenziellen Risiken bewusst sind, die im Hinblick auf die Patientensicherheit entstehen können. Ein weiterer, entscheidender Faktor ist die enge Symbiose zwischen Herstellern und dem Dentalfachhandel. Unsere Mitglieder gewährleisten mit ihrem fundierten Fachwissen und ihrer lokalen Präsenz, dass hochwertige Medizinprodukte innerhalb weniger Stunden normkonform gewartet und repariert werden können. Dieser umfassende Service ist bei internationalen Online-Anbietern nicht gegeben und stellt den entscheidenden Mehrwert des deutschen Fachhandels dar.
Welche Risiken birgt der Erwerb von Medizinprodukten über Plattformen wie TEMU oder AliExpress für die Zahnärztinnen und Zahnärzte – und für die Patientinnen und Patienten?
Der Erwerb von Medizinprodukten über derartige Plattformen birgt in der Tat erhebliche Risiken sowohl für Zahnärzte als auch für Patienten. Das größte Problem ist die fehlende Konformität. Zahnärzte sind gesetzlich verpflichtet, nur Produkte zu verwenden, die den europäischen Regularien, insbesondere der MDR, entsprechen und über eine gültige CE-Kennzeichnung verfügen. Bei den Angeboten auf diesen Plattformen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese grundlegenden Anforderungen nicht erfüllt sind.
Zudem fehlt es an einer zuverlässigen Infrastruktur für Service und Wartung. Sollte ein Gerät ausfallen oder eine Reparatur benötigen, gibt es keinen Ansprechpartner, was zu teuren Ausfallzeiten und finanziellem Verlust führen kann.
Das gravierendste Risiko betrifft jedoch die Patientensicherheit. Wenn ein Patient durch ein nicht normgerechtes oder fehlerhaftes Produkt verletzt wird, haftet der Zahnarzt persönlich, da er als Anwender die Verantwortung für das verwendete Medizinprodukt trägt. In einem solchen Fall können ernsthafte rechtliche Konsequenzen drohen. Der Fachhandel bietet hier die Sicherheit eines legalen und rückverfolgbaren Produkts sowie die Gewissheit, im Ernstfall auf einen zuverlässigen Partner zählen zu können.
Wie sieht es bei Produkten aus Asien mit der Gewährleistung aus?
Die Frage der Gewährleistung und des Service ist ein zentraler Aspekt, der den Unterschied zwischen dem Dentalfachhandel und dem Kauf über internationale Plattformen verdeutlicht. In vielen asiatischen Ländern gibt es keine gesetzlich geregelte Gewährleistung, wie wir sie in Deutschland kennen. Hierzulande sind Händler zu einer gesetzlichen Gewährleistung im Sinne der Kunden verpflichtet – eine Sicherheit, die der Direktkauf aus dem Ausland in der Regel nicht bietet.
Dieser Aspekt betrifft nicht nur Asien, sondern gilt auch für den Import aus jedem Land außerhalb der Europäischen Union. Grundsätzlich ist der Dentalhandel sehr offen für innovative Produkte aus Fernost. Die entscheidende Voraussetzung ist und bleibt die Einhaltung der europäischen Regularien. Zahlreiche renommierte asiatische Hersteller wie beispielsweise GC, Shofu, NSK oder Belmont garantieren mit ihren Produkten die Einhaltung des CE-Kennzeichens und der MDR und bieten damit den Anwendern die notwendige Sicherheit und Qualität.
Wie häufig sind Produktfälschungen?
Produktfälschungen stellen branchenübergreifend eine ernste Gefahr dar, und auch die Dentalbranche ist davon betroffen. Moderne Fertigungstechniken wie der 3D-Druck haben die Herstellung gefälschter Medizinprodukte, beispielsweise von Hand- und Winkelstücken, auf Endo-Feilen oder anderen Instrumenten, erheblich vereinfacht.
Genau hier kommt dem etablierten Dentalfachhandel eine entscheidende Rolle zu. Unsere Mitglieder agieren für die Anwender als „Filter“, da sie ihre Ware ausschließlich über gesicherte und zertifizierte Bezugsquellen beziehen. Das bedeutet, dass der Kauf von Fälschungen über den regulären Fachhandel praktisch ausgeschlossen ist.
Das Problem entsteht vorwiegend bei nicht autorisierten Onlineplattformen aus dem Ausland. Solche Produkte erfüllen nicht nur in der Regel nicht die rechtlichen Anforderungen, sondern bergen auch erhebliche Risiken für Anwender und Patienten, da deren Qualität und Funktion nicht gewährleistet sind.
Wie können Zahnärzte Fälschungen bei Medizinprodukten erkennen? Worauf sollten sie achten?
Die äußere Erscheinung von Fälschungen ist oft täuschend echt. Auf den ersten Blick sind sie kaum von Originalprodukten zu unterscheiden. Daher sollten Zahnärzte vor allem auf Warnsignale achten, die über das reine Produktbild hinausgehen.
Erste Anzeichen für eine Fälschung sind in der Regel:
ein unrealistisch niedriger Preis, der weit unter dem üblichen Marktwert liegt
fehlende Transparenz bezüglich des Anbieters: Gibt es ein Impressum, seriöse Kontaktdaten und eine nachvollziehbare Firmenadresse?
eine mangelnde Produktdokumentation: Es sollten Produkt-Datenblätter, eine aussagekräftige CE-Kennzeichnung und Gebrauchsanweisungen in deutscher Sprache vorliegen.
Grundsätzlich gilt: Bei unklaren Verkaufsabläufen oder fehlenden Informationen zur Produkthaftung sollte man skeptisch sein. Der sicherste Weg für Anwender, solche Risiken zu vermeiden, ist der Kauf über den etablierten und vertrauenswürdigen Dentalfachhandel. Unsere Mitglieder gewährleisten die lückenlose Rückverfolgbarkeit und die Einhaltung aller gesetzlichen Normen.
Das Interview führte Anne Orth.