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Zahnmedizin und Katastrophenschutz

Nach der Search-and-Rescue-Phase kommen wir

Alexander Schafigh
,
Armin Reinartz
Die Zahnmedizin spielte im Katastrophenschutz bislang eine eher untergeordnete Rolle. Das wollten wir ändern und haben als Dental Emergency Team (Dental EMT) in Kooperation mit ISAR Germany begonnen, die Versorgungslücke zu schließen. Zu unserem ersten Einsatz fuhren wir in die von Überschwemmungen zerstörten Gebiete in Polen.

Während medizinische Notfallversorgung, chirurgische Akutmaßnahmen und auch psychosoziale Betreuung in etablierten Strukturen der Katastrophenhilfe fest verankert sind, blieb die zahnärztliche Versorgung bisher häufig unberücksichtigt. Dabei zeigen internationale Erfahrungen, dass ein erheblicher Teil der akuten Beschwerden in Krisensituationen zahnmedizinischer Natur ist. Wir können das von unseren zahlreichen Einsätzen als Dental EMT – beispielsweise im niedergebrannten Geflüchtetenlager „Moria“ auf der griechischen Insel Lesbos oder an der ukrainisch-polnischen Grenze – bestätigen. Während klassische Search-and-Rescue-Teams ihre Arbeit nach der Akutphase beenden, bleiben medizinische und insbesondere zahnmedizinische Probleme oft bestehen.

Daher kam uns die Idee, dass wir als zahnmedizinisches Team an deutsche Kriseninterventionsteams, die sogenannten Emergency Medical Teams (EMT), andocken, um im Katastrophenfall gemeinsam helfen zu können. Warum die Zahnmedizin mit in den Katastrophenschutz gehört und wie wir für den Ernstfall trainieren, haben wir in der zm 9/25 bereits beschrieben.

Mit der Idee hatten wir uns Anfang 2024 an den National Focal Point (NFP) des Robert Koch-Instituts (RKI) gewandt und gefragt, ob die deutschen EMT-Teams an einer Zusammenarbeit mit Katastrophen-erprobten Zahnmedizinern interessiert seien. Die Antwort kam schnell und fiel deutlich aus: Alle deutschen Teams waren vom Vorschlag einer Einbindung der Zahnmedizin angetan. So organisierten wir erste gemeinsame Trainings. Aufgrund der räumlichen Nähe und der ähnlichen Strukturen schlossen wir uns zunächst ISAR Germany (International Search and Rescue) an, um deren zahnärztliche Abteilung zu werden. Das machte es für uns deutlich einfacher, da wir angeschlossen an eine Organisation zügig auf den nötigen allgemeinen Ausbildungsstand und die notwendigen Voraussetzungen (mit standardisierten Impfungen, Sicherheitskonzepten sowie Regelwerken) kommen konnten. Ab dem Moment, da wir diese Standards erreicht hatten, konnten alle anderen EMT-Teams im Rahmen einer partnerschaftlichen Unterstützung auf uns aus der Zahnmedizin zurückgreifen.

Erste Einsatzerfahrungen im Glatzer Kessel

Gemeinsam mit ISAR verfolgen wir als Organisationen zwei zentrale Ziele: Das ist zum einen die Aufrechterhaltung der zahnärztlichen Akutversorgung im unmittelbaren Katastropheneinsatz sowie dann den Wiederaufbau der zahnärztlichen Infrastruktur im Anschluss an die Akutphase, um eine nachhaltige Versorgung sicherzustellen.

Ein Beispiel für den praktischen Einsatz bot sich im Glatzer Kessel an der polnisch-tschechischen Grenze. Eine schwere Flutkatastrophe im September 2024 hatte dort nicht nur erhebliche Zerstörungen an Wohn- und Versorgungsstrukturen verursacht, sondern auch die medizinische und zahnmedizinische Infrastruktur nahezu vollständig lahmgelegt. Auf Anfrage einer örtlichen Bürgerstiftung entsandte unser Dental EMT im Sommer 2025 gemeinsam mit Partnerorganisationen drei Einsatzteams. Mithilfe einer mobilen Zahnstation konnten wir innerhalb von drei Einsätzen rund 350 Patientinnen und Patienten versorgen.

Die Einsätze offenbarten ein alarmierendes Bild, das ans Versorgungsniveau in Deutschland in den 1970er-Jahren erinnerte. So sahen wir Kinder und Jugendliche, die häufig multiple kariöse Läsionen sowohl im Milch- als auch im Wechselgebiss aufwiesen. Bei erwachsenen Patienten zeigten sich zahlreiche unbehandelte Zahndefekte, Wurzelreste und nicht versorgte Zahnlücken. Die prothetische Versorgung war insuffizient oder gar nicht vorhanden.

Und noch etwas fiel uns auf: Um die allgemeine Mundgesundheit vieler Patienten stand es nicht gut. Es zeigten sich viele mit einer völlig unzureichenden Mundhygiene, da Präventionsprogramme fehlten und kaum Zugang zu regelmäßiger zahnärztlicher Betreuung bestand. Die strukturellen Ursachen sind vielschichtig. In einer Region mit etwa 45.000 Einwohnern steht nur eine Zahnärztin im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung. Ergänzend existieren wenige private Zahnarztpraxen, deren Leistungen sich jedoch die meisten Menschen nicht leisten können.

Ziel ist eine mittel- bis langfristige Versorgungsstabilität

Die Erfahrungen in Polen machen deutlich, dass zahnärztliche Nothilfe im Katastrophenkontext nicht nur eine kurzfristige Schmerz- und Infektionskontrolle darstellt, sondern auch eine Frage der mittel- und langfristigen Versorgungsstabilität ist. Ein zentrales Ergebnis dieser Einsätze ist die Erkenntnis, dass Katastropheneinsätze zwingend eine durchdachte Exit-Strategie benötigen. Während klassische Search-and-Rescue-Teams ihre Arbeit nach der Akutphase beenden, bleiben medizinische und insbesondere zahnmedizinische Probleme oft bestehen. Deshalb müssen rotierende Teams über einen längeren Zeitraum vor Ort präsent bleiben, um den Wiederaufbau der zahnmedizinischen Infrastruktur zu begleiten und die Bevölkerung kontinuierlich zu versorgen.

Wir brauchen Helfer und Spenden

Zahnärztinnen und Zahnärzte mit einer deutschen Approbation können sich mit einem einfachen Verfahren beim Verein Dental EMT bewerben. Die Einsätze dauern mindestens eine Woche, gerne auch länger. Die Einsatzorte werden kurzfristig – je nach Bedarf – bekanntgegeben und dann von den Teams angefahren. Das Dental EMT benötigt Unterstützung in Form von Einsätzen, Material oder Geldspenden. Durch den Status des eingetragenen gemeinnützigen Vereins kann eine Spendenquittung ausgestellt werden.

Für Fragen stehen die Mitglieder jederzeit bereit. Infos unter: www.dental-emt.org.

Spendenkonto

Dental Emergency Team 
IBAN: DE35 3006 0601 0007 6168 41
BIC: DAAEDEDDXXX

Für den Erhalt einer Spendenquittung bitte Name und Adresse bei „Verwendungszweck“ angeben.

Die polnischen Einsätze bestätigen die grundsätzliche Relevanz der Zahnmedizin in Katastrophenszenarien:

  • Akutmedizinisch: Versorgung von Schmerzen, Infektionen und Traumata im Kiefer-Gesichtsbereich

  • Gesundheitspräventiv: Vermeidung von Folgeerkrankungen durch unbehandelte Infektionen

  • Infrastrukturell: Sicherstellung einer Grundversorgung auch bei zerstörter lokaler Infrastruktur

  • Gesellschaftlich: Wiederherstellung der Lebensqualität und Belastbarkeit der Betroffenen, um den Alltag in der Katastrophensituation bewältigen zu können

Fazit und Ausblick

Die Integration der Zahnmedizin in den Katastrophenschutz ist nicht nur sinnvoll, sondern essenziell. Das Beispiel unseres Dental EMT im Glatzer Kessel verdeutlicht, dass Zahnmedizin im Katastrophenkontext zwei komplementäre Funktionen erfüllt: die akute Behandlung unmittelbar nach der Katastrophe und die Unterstützung beim Wiederaufbau einer funktionierenden Versorgungsstruktur. Für die Zukunft ist es entscheidend, zahnmedizinische Einsatzteams systematisch in nationale und internationale Katastrophenschutzstrukturen einzubinden. Nur so lässt sich gewährleisten, dass auch in Krisen- und Katastrophensituationen eine umfassende medizinische Versorgung gewährleistet bleibt.

Dr. Alexander Schafigh

Fachzahnarzt für Oralchirurgie in Bornheim und 1. Vorsitzender Dental EMT

Dr. Armin Reinartz

2. Vorsitzender Dental EMT

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