Vom Behandler zum Coach – medizinisch führend, menschlich lernend
Teams sind vielfältiger, die Ansprüche höher, die Strukturen komplexer. Der Inhaber ist nicht mehr nur Behandler, sondern Organisator, Stratege – und Coach. „Wer heute eine Praxis führt, steht auf dem Spielfeld und an der Seitenlinie zugleich“, sagt Praxisberater Jonas Kock. „Man behandelt Patienten, aber man führt Menschen. Und das erfordert ein völlig anderes Rollenverständnis.“
Fall 1: Generationen-Challenge im Team
In einer Zahnarztpraxis arbeiten erfahrene Mitarbeiterinnen über 50 mit jungen Auszubildenden zusammen. Die einen wünschen sich klare Abläufe und Stabilität, die anderen Feedback, Flexibilität und Sinn. Gespräche finden zwar statt, wirken aber wie Pflichttermine ohne Wirkung. Es wird geredet – aber nichts verändert.
Lösungsansatz: „Jeder Chef glaubt, er hört aufmerksam zu – aber nicht jeder kann etwas daraus lernen“, berichtet Kock. Ein coachender Inhaber führt Gespräche nicht, um sie abzuhaken, sondern um wirklich zu verstehen. Er fragt zum Beispiel gezielt: „Woran erkennst du, dass du Wertschätzung spürst?“ – und erfährt, dass für manche ein zusätzlicher freier Tag zählt, für andere Verantwortung, für wieder andere einfach ein ehrliches Wort.
So wird aus einem Gespräch ein Werkzeug, das Unterschiede sichtbar macht und Brücken baut. Ein Coach akzeptiert, dass Motivation individuell ist – und nutzt diese Vielfalt, statt sie als Störung zu sehen.
Fall 2: Nur der Inhaberin hat die Entscheidungsmacht
In einer größeren Praxis will die Inhaberin alles selbst entscheiden. Sie meint es gut, doch das Team zieht sich zurück – niemand traut sich, eigenständig zu handeln. Ohne sie geht kaum etwas voran. Sie prüft jeden Heil- und Kostenplan persönlich, gibt erst nach Rücksprache grünes Licht für Materialbestellungen und will bei jeder Personal- oder Urlaubsplanung mitreden.
Lösungsansatz: Delegation ist mehr als Aufgabenverteilung – sie ist ein Zeichen von Vertrauen. „Wenn du delegierst, musst du akzeptieren, dass dein Ziel vielleicht auf einem anderen Weg erreicht wird“, erklärt Kock. „Das Ziel bleibt das Ziel – aber der Weg darf anders aussehen.“ Wie im Sport: Ein Coach weiß, dass jeder Spieler eigene Stärken hat. Er gibt das Ziel vor, aber er lässt Raum, wie es erreicht wird.
In dieser Praxis übernahm eine erfahrene Mitarbeiterin das gesamte Abrechnungs- und Materialmanagement. Sie entwickelte verbindliche Abläufe für Bestellungen, legte Budgets fest und stimmte nur noch größere Anschaffungen mit der Inhaberin ab. Die lernte, loszulassen – und gewann Zeit, Überblick und ein selbstständiges Team.
Fall 3: Spannungen im Team und steigende Kosten
Die Stimmung ist angespannt. Die Mitarbeitenden klagen über Überlastung, die Patienten über steigende Preise. Der Inhaber versucht, es allen recht zu machen – und verliert beide Seiten.
Lösungsansatz: Der coachende Inhaber denkt langfristig. Er weiß, dass die Patienten- und die Mitarbeiterzufriedenheit sich gegenseitig bedingen. Wer sein Team überfordert, verliert am Ende auch Patienten. Kock sagt: „Ein Coach wägt nicht zwischen Team und Patienten ab – er denkt in Systemen. Nur ein stabiles Team kann stabile Patientenbeziehungen tragen.“
In der Praxis wurde offen über Personalkosten und Preisanpassungen gesprochen. Der Inhaber entschied sich, die Löhne zu erhöhen – und kommunizierte transparent, warum eine Preisanpassung notwendig war. Das Team fühlt sich ernst genommen und verstanden, weil seine Leistung sichtbar wurde. Auch die Patienten reagierten mit mehr Verständnis als erwartet. Diese Offenheit schuf Vertrauen auf beiden Seiten – ein klassischer Coach-Move: Orientierung geben, Haltung zeigen, Verantwortung übernehmen.
Fall 4: Die Chefin ist Coachin – aber ohne Selbstfürsorge
Die Praxisinhaberin führt engagiert, ist empathisch, aber ständig erschöpft. Zwischen Patienten, Personalführung und Verwaltung bleibt keine Energie. Das Team spürt ihre Erschöpfung – und spiegelt sie.
Lösungsansatz: „Wer coachen will, braucht Energie – sonst wird Führung zur Fassade“, sagt Kock. Die Zahnärztin begann zu Jahresbeginn, sich persönliche Ziele zu setzen: eine bessere Feedbackkultur, eine klare Kommunikation, mehr Zeit für Erholung. In Mitarbeitergesprächen fragt sie seither nicht nur: „Was kann ich für dich tun?“, sondern auch: „Was schätzt du an der Zusammenarbeit mit mir?“
Diese ehrliche Rückkopplung stärkt Vertrauen – und erinnert daran, dass auch die Inhaberin Teil des Teams ist. Am Jahresende reflektiert die Praxis gemeinsam, was gelungen ist. Erfolg wird sichtbar, Motivation wächst – und die Zahnärztin bleibt in ihrer Rolle präsent, ohne sich darin zu verlieren.
Fazit
Coachende Führung ist kein weicher Ansatz, sondern der härteste – weil sie Haltung verlangt. Der Praxisinhaber bleibt medizinisch führend, aber menschlich lernend. Er hört zu, gibt die Richtung vor, aber hält aus, dass andere Wege zum Ziel führen. „Ein guter Coach steht nie über seinem Team, sondern dahinter“, fasst Kock zusammen. „Er zeigt den Weg, auch wenn er selbst nicht mehr jeden Schritt geht.“ So wird aus Führung kein Kontrollinstrument, sondern ein Kompass – für ein stabiles Team, zufriedene Patienten und eine Praxis, die wächst, weil sie verstanden hat, was sie zusammenhält.




