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Deutscher Zahnärztetag 2025

Wissenschaft im Zehn-Minuten-Takt

Der Deutsche Zahnärztetag 2025 war ein Fest der Fortbildung. Die von den zahnmedizinischen Fachgesellschaften konzipierte Großveranstaltung vom 30. Oktober bis 1. November im Berliner Estrel Convention Center Berlin bot den über 3.500 angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern interdisziplinären Austausch und nicht zuletzt unzählige kollegiale Begegnungen und Gespräche inmitten der intensiven Kongressatmosphäre.

Es ist uns wirklich gut gelungen, alle Zielgruppen anzusprechen und damit das Programm so richtig attraktiv zu gestalten“, sagte Prof. Dr. Dr. Peter Proff, neuer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), auf der Pressekonferenz zum Gemeinschaftskongress. Über 30 zahnmedizinische Fachgesellschaften und Arbeitskreise aus nahezu allen Bereichen der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde präsentierten aktuelle Forschungsergebnisse und besprachen deren Bedeutung für Diagnostik, Therapie und Prävention.

Hinzu kamen die Wissenschaftsarena, Hands-on-Kurse, Workshops von Industriepartnern, Posterpräsentationen, Preisverleihungen, der Young Dentist-Day und eine opulente Kongressparty mit über 1.300 Gästen, die am Freitagabend bei Berlin-Beats und gutem Essen am Stehtisch zusammenkamen. „Berlin kann immer noch herausragend feiern“ sagte Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der Berliner Zahnärztekammer, am Rande der Veranstaltung zur zm.

Alle kommen zusammen, um sich auszutauschen

In der Wissenschaftsarena waren am Donnerstag tagsüber zu insgesamt 24 Themenbereichen – von der Prävention über Restaurationen, Werkstoffe, Parodontitis bis hin zur Lehrforschung und Chirurgie – in sechs parallel laufenden Sessions jeweils zehnminütige Kurzvorträge angesetzt. Ebenfalls parallel fanden über drei Kongresstage hinweg Posterpräsentationen statt. „Die Wissenschaftsarena spricht unseren Nachwuchs an“, sagte Kongresspräsident Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang. „Letztlich sind wir nur vernetzt erfolgreich. Und wir sehen hier auf den Fluren, dass alle zusammenkommen und sich austauschen.“

Zentrales Element des wissenschaftlichen Programms waren die prominent im Hauptprogramm platzierten Präsentationen komplexer interdisziplinärer Patientenfälle (siehe Beispiel im Kasten auf der nächsten Seite). In den 90-minütigen Sessions wurden unter der Moderation eines Experten zunächst die Fälle vorgestellt und dann von Vertretern verschiedener Disziplinen ausführlich die möglichen Therapieoptionen erörtert. Dabei wurde deutlich, dass es in der Tendenz die weniger invasiven Optionen waren, für die sich sich Expertinnen und Experten und auch das befragte Auditorium aussprachen. So wägten die Fachleute über weite Strecken sehr rege das Für und Wider einer Behandlung im konkreten Fall ab, dann stimmte das Publikum über die favorisierte Therapie ab und erst am Schluss wurde der Fall „aufgelöst“. „Ein super Konzept, das auf den Praktiker zielt", freute sich Wiltfang.

Frontzahnverlust durch Trauma bei einer zehnjährigen Patientin

Ein zehn Jahre und vier Monate altes Mädchen wurde aus einer Kinderzahnarztpraxis an das Universitätsklinikum Heidelberg überwiesen. Zwei Jahre zuvor hatte es bei einem Unfall mit einer Schaukel ein Frontzahntrauma erlitten. Damals war sie acht Jahre sieben Monate alt. Dabei avulsierten 11 und 21, zusätzlich bestand ein circa 3 mm langer Lippenriss. Zahn 11 wurde replantiert und endodontisch behandelt, Zahn 21 war nicht replantierbar. Zahn 11 zeigt radiologisch Anzeichen einer Ankylose.

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Abb. 1: Ausgangssituation zwei Jahre nach Trauma und Replantation von Zahn 11

Hätte die Situation damals vermieden werden können?

Prof. Dr. Gabriel Krastl, Direktor für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie am Universitätsklinikum Würzburg, betonte, dass immer angestrebt werden sollte, einen avulsierten bleibenden Zahn zu replantieren. Entscheidend sei dabei die Schnelligkeit der Intervention. Im vorliegenden Fall war Zahn 11 ankylosiert, was langfristig zu einem vertikalen Knochen- und Weichgewebsverlust sowie einer Infraposition führe – ein besonders kritisches Problem im wachsenden Kiefer. Zur Abschätzung der zu erwartenden Infraposition könne das verbleibende Körperwachstum herangezogen werden: Zehn Zentimeter Körperwachstum entsprechen dabei ungefähr einem bis eineinhalb Millimeter Infraposition, berechnet nach der Formel: (Körpergröße des Vaters + der Mutter ± 13 cm bei Jungen/Mädchen) geteilt durch zwei.

Therapieoptionen aus Sicht der Kinderzahnheilkunde …

Prof. Dr. Katrin Bekes, Direktorin des Fachbereichs Kinderzahnheilkunde an der Medizinischen Universität Wien, stellte verschiedene Optionen für den Ersatz von Einzelzähnen im Wechselgebiss unter Berücksichtigung funktioneller, phonetischer und psychosozialer Aspekte vor: darunter die Interimsprothese, eine Tiefziehschiene mit Einzelzahnersatz, die Integration eines Prothesenzahns in bestehende kieferorthopädische Apparaturen, ein Provisorium aus der Zahnkrone des verlorenen Zahnes mit Glasfaserstrang-Befestigung als Übergangslösung sowie Adhäsivbrücke oder Milchzahntransplantation.

… der Prothetik …

Laut Prof. Dr. Stefan Wolfart, Leiter der Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien am Zentrum für Implantologie der Uniklinik RWTH Aachen, stellt aus prothetischer Sicht im Wechselgebiss eine provisorische Adhäsivbrücke eine geeignete vorübergehende Lösung dar. Vorzugsweise solle diese aus einem NEM-Gerüst und Kunststoffverblendung bestehen, da diese später einfacher zu entfernen sei als eine Brücke aus Zirkonoxid. Nach etwa fünf Jahren oder nach Abschluss der kieferorthopädischen Behandlung könne eine definitive Adhäsivbrücke folgen.

… der Chirurgie …

Aus chirurgischer Sicht ist laut Prof. Dr. Christian Mertens, Leiter Dentale Implantologie und augmentativen Verfahren am Universitätsklinikum Heidelberg, eine Implantation aufgrund des Alters im vorliegenden Patientenfall nicht möglich. Ein interdisziplinärer Ansatz zusammen mit der Kieferorthopädie beinhalteten die Entfernung des Zahns 11 und die Mesialisierung der Zweier sowie Zahnumformungen, wodurch eine lange Übergangsphase bis zum Implantat vermieden und Knochen erhalten werden könne. Milchzahn- oder Prämolarentransplantationen, etwa von Unterkiefer-Prämolaren oder oberen Fünfern mit einwurzeliger Anatomie, seien ebenfalls vorteilhafte Maßnahmen in Hinblick auf den Knochenerhalt. Um die extraorale Verweildauer / Manipulation an der Wurzeloberfläche des zu transplantierenden Zahnes zu reduzieren, sei ein 3D-gedruckter Dummy-Zahn hilfreich.

… und der Zahnerhaltung.

Prof. Dr. Diana Wolff, ärztliche Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg, erläuterte die minimalinvasive Versorgung mittels Glasfaserbrücke (FRC-Brücken). Das Glasfaserband werde palatinal an den Pfeilerzähnen befestigt und könne direkt im Mund verarbeitet werden. Beim kieferorthopädischen Lückenschluss sei auf eine harmonische Rot-Weiß-Ästhetik zu achten, so dass die Zweier intrudiert, die Dreier extrudiert und die Vierer leicht intrudiert werden, um den natürlichen Zahnbogen zu imitieren. Optimierungen könnten später durch modellierende Gingivoplastiken erfolgen.

Wie hätten Sie entschieden?

Schließlich konnten die Zuhörenden über die Behandlungsmethode abstimmen: Die Mehrheit hätte der zehnjährigen Patientin eine Adhäsivbrücke (50 Prozent) empfohlen. An zweiter Stelle standen eine kieferorthopädische Mesialisierung und Zahnumformung (28 Prozent), an dritter Stelle die Autotransplantation und Zahnumformung (21 Prozent).

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Abb. 2: Situation nach Behandlung: Extraktion 11, Mesialisierung der Zweier und Dreier und ästhetischer Zahnumformung

Die Auflösung

Die tatsächliche Behandlung, die von Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität Regensburg, durchgeführt wurde, beinhaltete die Extraktion von Zahn 11. Die Zähne 12 und 22 wurden kieferorthopädisch auf die Positionen von 11 und 21 bewegt, das Unterkieferwachstum gefördert und die Oberkieferfront ästhetisch mittels Komposit umgeformt, so dass die Zweier die Position der Einser und die Dreier die Position der Zweier übernahmen.

Wir müssen die sogenannte „Zahnmedizin“ neu denken

„Die Forschung zeigt immer deutlicher, dass wir die sogenannte ‚Zahnmedizin‘ neu denken und eigentlich von Oralmedizin sprechen sollten", sagte Wiltfang. „Unser Ziel ist es, die Zusammenhänge zwischen oraler und systemischer Gesundheit besser zu verstehen, Synergien zwischen den Disziplinen zu nutzen und Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu versorgen.“ Dabei gehe es nicht nur um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch um eine veränderte Haltung innerhalb der Profession: „Die Oralmedizin erfordert, dass wir stärker interdisziplinär denken – in Kooperation mit Innerer Medizin, Diabetologie, Onkologie und Kardiologie. Nur so kann zahnärztliches Handeln seinen vollen Beitrag zur Allgemeingesundheit leisten.“

Die Erfolge der zahnmedizinischen Prävention verändern die Behandlungsbedarfe – wo keine Karies ist, muss sie nicht behandelt werden. Das trifft auch für die weitere Behandlungskette zu: „Junge Menschen brauchen heute kaum noch Wurzelbehandlungen aufgrund von Karies. Wir sehen diese Altersgruppe fast nur noch nach dentalen Traumata“, berichtete Dr. Bijan Vahedi, Endodontie-Spezialist aus Augsburg und Vizepräsident der DGZMK.

Die Krankheitslast verschiebe sich auf die späteren Lebensjahre, weshalb der Therapiebedarf nicht abnehme, sondern sich verändere und auch komplexer werde. „Wir behandeln heute häufiger ältere Patientinnen und Patienten mit komplexen endodontischen Fällen – etwa Revisionsbehandlungen oder mit altersbedingten verengten Wurzelkanälen“, erläuterte Vahedi. „Die Anforderungen steigen, weil wir Zahn­erhaltung auf spezialisiertem Niveau zunehmend auch bei Menschen mit mehreren Begleiterkrankungen umsetzen. Das erfordert interdisziplinäres Denken und individuell abgestimmte Therapiekonzepte.“

Digitale Technologien halten mit hohem Tempo Einzug in die Zahnmedizin. Das gilt sowohl für die Forschung, die Erprobung und Adaption von Technologien an zahnmedizinische Anwendungen, wie beispielsweise beim 3D-Druck, als auch für originäre dentale Entwicklungen wie Intraoralscanner und Planungssoftware. Dass diese Technologien nicht nur an Universitätskliniken eingesetzt werden, sondern auch tatsächlich in die Praxen kommen, zeigt die Untersuchung einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Universitäten Gießen und Kiel zum Stand der Digitalisierung in den Praxen, die auf dem Kongress präsentiert wurde.

Danach hatten beispielsweise im Jahr 2023 mehr als ein Viertel der 1.005 befragten Zahnmediziner – darunter 91 Prozent Praxisinhaber – einen Intraoralscanner im Einsatz. Dabei ist die Einführung digitaler Instrumente offensichtlich mit einem starken intrinsischen Interesse der Praxisinhaber verbunden – viele treiben den Prozess mit persönlichem Engagement voran.

Viele Praxisinhaber treiben die Digitalisierung voran

Auf die Frage „Wo haben Sie sich überwiegend zum Thema Digitalisierung in der Zahnmedizin fortgebildet?“ gaben knapp 40 Prozent der Befragten das „Selbststudium mit Fachzeitschriften“ an. Auch die Informationen aus den Zahnärztekammern zogen über ein Fünftel (22 Prozent) gern zu Rate.

Digitale Technologien waren Bestandteil zahlreicher Fachprogramme auf dem Gemeinschaftskongress – so bei der Deutschen Gesellschaft für computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ), im Arbeitskreis Artificial Intelligence in Dental Medicine (AKAIDM) und bei der Arbeitsgemeinschaft Bildgebung in der Zahnmedizin (AGBiZ).

Mit der zunehmenden Digitalisierung vieler Prozesse rücken die Datensicherheit, die Interoperabilität und die Telematik zunehmend in den Fokus. DGZMK-Präsident Proff ist sich sicher: „Eine erfolgreiche Digitalisierung erfordert daher nicht nur technologische Investitionen, sondern auch organisatorische Anpassungen, die kontinuierliche Schulung des gesamten Teams und ein hohes Maß an Prozesskompetenz."

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