Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung Felix Klein

„Ärzte und Zahnärzte sollten mehr über den Nationalsozialismus wissen!“

pr
Gesellschaft
Angehende Ärzte und Zahnärzte sollten mehr über die Verbrechen von Berufskollegen in der NS-Zeit wissen, fordert der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein.

Mitte August plädierte Klein dafür, Ärzten in der Ausbildung mehr Wissen über den Missbrauch der Medizin im Nationalsozialismus zu vermitteln. Auch für angehende Zahnmediziner sei das Thema relevant, betonte Klein gegenüber den zm.

Es fehlt an Wissen über die Verstöße gegen den Hippokratischen Eid

Klein: „Es gibt heute zu viele Mediziner, die unzureichende Kenntnisse über die Rolle der Medizin im Dritten Reich haben - und hier schließe ich Zahnmediziner mit ein. Beispielsweise fehlt es an Wissen über die menschenverachtenden Versuche und die eklatanten Verstöße gegen den Hippokratischen Eid von Ärzten und Zahnärzten in der Zeit des Nationalsozialismus.“

Klein setzt sich daher dafür ein, dass die Approbationsordnung für Mediziner und Zahnmediziner ergänzt wird um die Geschichte und die Verantwortlichkeit während der Zeit des Nationalsozialismus. „In dieser Zeit haben viele Berufsgruppen Schuld auf sich geladen, indem sie an den Verbrechen, vor allem an den deutschen und europäischen Jüdinnen und Juden, mitgewirkt haben – so auch deutsche Zahnärzte" erläutert Klein.

Eine Ergänzung der Approbationsordnung um die NS-Geschichte ist erforderlich

"Über die Verstrickung der Zahnärzte in das Unrechtssystem der Nazis wissen die heutigen Studierenden der Zahnheilkunde nach meinem Eindruck viel zu wenig. Den zahnmedizinischen Fakultäten sollte daran liegen, dass die angehenden Zahnärzte in Zeitalter ständiger Ethikdebatten ein Bewusstsein hierfür entwickeln.“

Klein ging auch auf das Projekt der Zahnärzteschaft zur Aufarbeitung der NS-Zeit im Berufsstand ein. Es sei von hoher Bedeutung, dass die Zahnärzteschaft sich ihrer Verantwortung stellt und die Rolle der Zahnärzte während des Dritten Reichs untersucht. Er verwies darauf, dass sich über 60 Prozent der Hochschullehrer der Zahnheilkunde und Kieferchirurgie der NSDAP angeschlossen hatten. „Das ist ein weitaus höherer Prozentsatz im Vergleich zu anderen Berufsgruppen“, sagte Klein. „Ich halte es für wichtig, dass diese Vergangenheit der Zahnärzte in Deutschland aufgearbeitet wird. Aus diesem Grund ist eine Ergänzung der Approbationsordnung für Zahnärzte erforderlich.“

Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Inhaber des gleichnamigen Lehrstuhls der RWTH Aachen und Gesamtprojektleiter des zahnärztlichen Aufarbeitungsprojekts, begrüßt die Initiative des Antisemitismusbeauftragten als „richtig und wichtig“, denn tatsächlich sehe die ärztliche Approbationsordnung bisher keine verpflichtete Lehre in „NS-Medizin“ vor.

Groß erinnerte daran, dass das Thema an der RWTH Aachen bereits vor zehn Jahren eigeninitiativ in die Pflichtlehre aufgenommen worden sei. Dort werde der Medizin im Nationalsozialismus seitdem einen ganzen Seminartag gewidmet. Das liege aber auch daran, dass es in Aachen einen „Modellstudiengang“ gebe und dass deshalb dort von den üblichen Lehrinhalten des Regelstudiengangs Medizin abgewichen werden dürfe.

Wie wenig Vorwissen die Studierenden mitbringen

Groß: „Jedenfalls stellen wir in diesen Seminaren immer wieder fest, wie wenig Vorwissen die Studierenden mitbringen und wie schockiert sie auf die Verbrechen reagieren. Deshalb brauchen wir möglichst bald eine solche Änderung in der AO. Ich empfehle allerdings, beide Seiten zum Thema zu machen: Die Verbrechen von Ärzten im Nationalsozialismus – um die es dem Antisemitismusbeauftragten geht –, aber auch die vielen jüdischen Opfer unter den Ärzten und Zahnärzten, denn gerade diese beiden Berufe waren unter jüdischen Akademikern weitverbreitet. Ärzte waren eben beides: Täter und Verfolgte.“

Groß verwies außerdem darauf, dass aus ganz ähnlichen Gründen vor 15 Jahren der Herbert-Lewin-Preis ins Leben gerufen worden sei, an dem mittlerweile auch die BZÄK und die KZBV beteiligt sind. „Damit zeichnen wir – das Preisgericht – Arbeiten aus, die sich wissenschaftlich mit der Rolle der Ärzteschaft während der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen“, erklärte er. „Diese Schriften stammen meist von jungen Doktoranden der Medizin und der Zahnheilkunde. Je früher wir also unseren Nachwuchs für dieses Thema sensibilisieren, desto intensiver und breiter werden also auch die Forschungsaktivitäten in diesem Bereich ausfallen.“

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