Studie aus der Schweiz

Ärztin hui – Investmentbanker pfui

mg
Gesellschaft
Millionen von europäischen Arbeitnehmern leiden Studien zufolge darunter, dass sie ihre Arbeit als nutzlos empfinden. Für Beschäftigte des Gesundheitswesens gilt dies jedoch extrem selten.

Arbeitnehmende in Finanz-, Verkaufs- und Managementberufen kommen tendenziell öfter zum Schluss, dass ihre Jobs der Gesellschaft wenig nützen, zeigt eine Studie der Universität Zürich, die damit eine Theorie des US-amerikanischen Kulturanthropologen und Publizisten David Graeber bestätigt. 19 Prozent von 1.811 Befragten aus den USA haben demnach „selten“ oder „nie“ das Gefühl, dass ihre Arbeit einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet.

Steile These – derbe Wortwahl

David Graeber hat mit seiner Aussage, dass viele der heutigen Jobs tatsächlich sozial nutzlos und damit – in seinen Worten – „Bullshit-Jobs“ sind, einen Nerv getroffen. Sein erster Artikel zum Thema erschien 2013 und wurde schnell so populär, dass er innerhalb weniger Wochen in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und in verschiedenen Zeitungen auf der ganzen Welt nachgedruckt wurde. 2018 knüpfte Graeber an diesen Artikel an und veröffentlichte ein Buch zum selben Thema, das bis heute eine lebhafte öffentliche Debatte anregt.

Graebers Theorie besagt etwa, dass einige Arbeitsplätze tatsächlich objektiv nutzlos seien und dies in bestimmten Berufsfeldern häufiger vorkomme als in anderen. Andere Studien gehen davon aus, dass die konkreten Berufe für die negative Einschätzung der Arbeitnehmenden nicht relevant sind und Menschen ihre Jobs dann als sozial nutzlos empfinden, wenn sie unter schlechten Arbeitsbedingungen und Entfremdung leiden. Die neue Studie des Soziologen Simon Walo von der Universität Zürich stützt die Relevanz der Berufsfelder nun erstmals quantitativ.

Bürojobs fast doppelt so häufig betroffen

In seiner Studie analysierte Walo Umfragedaten aus dem Jahr 2015. Damals wurden 1.811 Menschen befragt, die in den USA in 21 verschiedenen Berufen tätig sind, ob ihre Arbeit ihnen das „Gefühl vermittle, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten“ und ob sie „das Gefühl hätten, nützliche Arbeit zu leisten“. Die Antworten werden auf einer fünfstufigen Skala von „nie“ bis "„immer“ angegeben. Ergebnis: 19 Prozent der Befragten über alle Berufe hinweg beantworteten diese Fragen mit „nie“ oder „selten“. Dabei zeigt die Aufschlüsselung dieser Befragten nach Berufen, dass Arbeitnehmer, die glauben, dass ihre Arbeit nutzlos ist, sehr ungleichmäßig auf die Berufe verteilt sind.

Walo analysierte diese Daten, indem er Berufstätige mit ähnlichen Arbeitsbedingungen miteinander verglich. Dabei stellte er fest, dass die Berufsfelder durchaus einen Einfluss auf die empfundene Sinnlosigkeit hatten. Außerdem wiesen Arbeitnehmende in Berufen, die Graeber seinerzeit als besonders nutzlos eingestuft hatte, die meisten negativen Antworten auf.

Jobs im Privatsektor werden häufiger als nutzlos empfunden

„Die ursprünglichen Daten, die Graeber präsentiert hat, waren hauptsächlich qualitativer Natur, was es schwierig machte, das Ausmaß des Problems zu bewerten“, erklärt Walo. „Diese Studie erweitert bestehende Analysen, indem sie auf einen umfassenden, noch wenig genutzten Datensatz aus den USA zurückgreift.“ 2021 hatte eine britische Untersuchung versucht, das von Graeber beschriebene Phänomen für den Euroraum zu quantifizieren. Ergebnis aus damals: die Zahl derer, die ihre Arbeit als nutzlos bewerten, ist unter Medizinerinnen und Medizinern sowie unterstützendem Gesundheitspersonal extrem niedrig. In der Untersuchung lagen die Werte bei lediglich bei 1 bis 1,3 Prozent [Soffia et al, 2021].

Walo stellte jetzt zudem fest, dass der Anteil der Arbeitnehmenden, die ihre Jobs als sozial nutzlos betrachten, im Privatsektor höher ist als im Non-Profit- oder im öffentlichen Sektor. Die Studie bestätigt aber auch andere Faktoren, welche die Wahrnehmung der eigenen Arbeit beeinflussen, darunter etwa Entfremdung, ungünstige Arbeitsbedingungen oder soziale Interaktion. „Die Einschätzung der Arbeitnehmenden, ob ihre Arbeit als sozial nutzlos empfunden wird, ist ein sehr vielschichtiges Thema, das aus verschiedenen Blickwinkeln angegangen werden muss“, kommt der Autor deshalb zum Schluss. „Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab, die nicht zwingend etwas mit der von Graeber behaupteten tatsächlichen Nützlichkeit der Arbeit zu tun haben. So kann es vorkommen, dass Menschen ihre Arbeit auch deshalb als gesellschaftlich nutzlos ansehen, weil ungünstige Arbeitsbedingungen sie als sinnlos erscheinen lassen.“

Simon Walo: ‘Bullshit’ After All? Why People Consider Their Jobs Socially Useless. Work, Employment and Society. 21 July 2023. <link url="https://doi.org/10.1177/09500170231175771" target="new-window" url-fragment="" seo-title="" follow="follow">DOI:10.1177/09500170231175

Soffia, M., Wood, A. J., & Burchell, B. (2022). Alienation Is Not ‘Bullshit’: An Empirical Critique of Graeber’s Theory of BS Jobs. Work, Employment and Society, 36(5), 816–840. https://doi.org/10.1177/09500170211015067

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