Ausrichtung der Zahnwurzel verrät Essgewohnheiten
Paläoanthropologen verwenden viel Zeit darauf, die Ernährung unserer Vorfahren zu rekonstruieren, denn sie gilt als Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Evolutionsgeschichte. So hat eine qualitativ hochwertige - vor allem fleischhaltige - Nahrung wahrscheinlich die Entwicklung unserer großen Gehirne erst möglich gemacht, während ein Mangel an Nährstoffen zum Aussterben anderer Arten (zum Beispiel des Paranthropus boisei) beigetragen haben dürfte.
Besonders umstritten geblieben ist jedoch, wie sich die südafrikanischen Homininen ernährt haben: Seit der Entdeckung der fossilen Überreste von Australopithecus africanus in Taung vor knapp einem Jahrhundert sowie darauffolgender Funde von Paranthropus robustus diskutiert die Wissenschaft darüber, was diese beiden Homininenarten gegessen haben.
Zahnwurzel des Australopithecus africanus ist stärker gespreizt als die von Paranthropus robustus
Ausgehend von der Ausrichtung der Zahnwurzeln im Kiefer hat nun ein Forschungsteam aus Leipzig, Santiago de Chile und Oxford mithilfe hochauflösender computertomografischer Verfahren und der Gestaltanalyse die Hauptrichtung der Kräfte bestimmt, die während des Kauvorgangs wirken.
Anhand virtueller Rekonstruktionen von fast 30 oberen Backenzähnen von Homininen aus Süd- und Ostafrika stellte das Forscherteam fest, dass die Zahnwurzeln von Australopithecus africanus sehr viel stärker gespreizt waren als die von Paranthropus robustus und die des ostafrikanischen Paranthropus boisei.
"Das ist ein Zeichen für ein stärkeres Wirken seitwärts gerichteter Kaukräfte bei Australopithecus africanus, während bei den beiden Paranthropus-Arten eher vertikale Kräfte zum Tragen kommen", erläutert Kornelius Kupczik vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Paranthropus robustus zerkaut Nahrung "verdreht" - und damit völlig anders als andere Homininen
Im Unterschied zu den anderen in der Studie untersuchten Arten weisen die Zahnwurzeln von Paranthropus robustus eine ungewöhnliche Ausrichtung auf, eine Art „Verdrehung “, was auf eine leichte Rotations- sowie Vor- und-Rückwärtsbewegung des Kiefers während des Kauens schließen lässt.
Für diese Interpretation sprechen weitere morphologische Merkmale des Schädels von Paranthropus robustus. Beispielsweise deutet die Struktur des Zahnschmelzes auf komplexe, multidirektionale Krafteinwirkungen hin.
Auch das ungewöhnliche Abnutzungsmuster der Zähne lässt eher auf eine abweichende Kieferbewegung als auf das Kauen neuartiger Nahrungsressourcen schließen. Offensichtlich wird die Morphologie des Schädels nicht nur davon bestimmt, was Hominine aßen und wie kräftig sie zugebissen haben, sondern auch davon, wie die Kiefer während des Kauvorgangs aufeinandertrafen.
Die Erkenntnisse helfen, die Zahnfehlstellungen heute zu verstehen
Die aktuelle Studie zeigt, dass die Analyse der Ausrichtung der Zahnwurzeln im Kiefer viel dazu beitragen kann, die Ernährungsökologie unserer Vorfahren und ausgestorbenen Verwandten besser zu verstehen. "Vielleicht haben Paläoanthropologen die fossilen Funde nicht immer unter den richtigen Gesichtspunkten betrachtet", folgert Gabriele Macho von der Universität Oxford. "Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, was unsere ausgestorbenen Verwandten aßen, sondern auch darauf, wie sie ihre Nahrung kauten."
Die Variabilität in der Ausprägung der Wurzeln der Backenzähne bei den Homininen verraten uns wahrscheinlich mehr als bislang vermutet. "Für mich als Anatomin und Zahnärztin ist es sehr wichtig zu verstehen, wie die Kiefer unserer Vorfahren arbeiteten, da wir diese Erkenntnisse schlussendlich auf das Gebiss des heutigen Menschen übertragen können. Das hilft uns, Pathologien wie zum Beispiel Zahnfehlstellungen besser zu verstehen", fügt Viviana Toro-Ibacache von der Universität Chile und Co-Autorin der Studie hinzu.
Kornelius Kupczik, Viviana Toro-Ibacache, Gabriele A. Macho: On the relationship between maxillary molar root shape and jaw kinematics in Australopithecus africanus and Paranthropus robustus; Royal Society Open Science 5: 180825,http://dx.doi.org/10.1098/rsos.180825