Beißende Bestien
"Wir bringen jeden, der zu uns kommt, zuerst in den Waschraum", sagt Schwester Sunil Yadav. Sie arbeitet im Maharishi-Valmiki-Hospital in der indischen Hauptstadt Neu Delhi. Mehrere Minuten wird dort die Wunde mit Seife gereinigt, gründlich gespült und mit Jod behandelt. So könne die Viruslast um bis zu 80 Prozent verringert werden. Danach spritzt sie im Raum gegenüber, wo zahlreiche Impfstoff-Fläschchen bereitliegen, das Tollwut-Immunglobulin um die Wunde und in den Arm. Dadurch wird verhindert, dass das Virus von der Wunde ins zentrale Nervensystem wandert und die tödliche Hirnhautentzündung auslöst.
Die meisten Menschen in Indien wissen nicht, dass Tollwut in quasi allen Fällen tödlich ist, sobald das Virus das Gehirn erreicht hat. Für mehr Aufklärung soll der Welt-Tollwuttag am 28. September sorgen.
Eine Flasche Serum für 64 Euro
"Jeder, der gebissen wird, sollte ein Serum erhalten", sagt der Arzt Mukesh Naran, der das Tollwut-Projekt in dem Krankenhaus leitet. Doch das ist in Indien kaum möglich. Allein im Großraum Delhi leben laut UN-Schätzungen 25 Millionen Menschen, und das Maharishi-Valmiki-Hospital ist das einzige staatliche Krankenhaus der Stadt, das die benötigten Antikörper vorrätig hat. "Das liegt am Preis: Eine Flasche mit Serum kostet 5.000 Rupien (64 Euro)", meint Naran.
Krankenwagen oder Shuttle aus anderen Hospitälern zum Maharishi-Valmiki-Hospital gibt es nicht. "Die Menschen kommen mit Bussen, Auto-Rikschas, Autos, Fahrrädern oder laufen zu uns", sagt der Arzt. Und das kann dauern, denn das Krankenhaus liegt 35 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, schon weit draußen in den Feldern zwischen Wasserbüffeln und Handpumpen. Die meisten anderen Krankenhäuser werden privat geführt, dort müssen die Patienten selbst bezahlen.
Bis zu 20.000 Tote pro Jahr
Jedes Jahr sterben in Indien 18.000 bis 20.000 Menschen an Tollwut, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das ist mehr als ein Drittel der weltweiten Todesfälle. Dabei gibt es eine vorbeugende Impfung gegen Tollwut. Doch diese besteht aus mehreren Injektionen an verschiedenen Tagen und muss dann alle zwei bis fünf Jahre aufgefrischt werden. Das sei für viele Menschen zu kompliziert und aufwendig, sagen die Ärzte. "Also wird versucht, die Gefahr durch die Tiere einzudämmen", erklärt Ashwath Narayana, Geschäftsführer der Tollwut-Stiftung in Asien.
Ein Gesetz aus dem Jahr 2001 verbietet das Töten. "Deswegen werden die Hunde - vor allem in den urbanen Zentren - eingefangen, geimpft, sterilisiert, und wieder freigelassen." Doch hätten die Behörden mit ihren begrenzten Mitteln und dem wenigen trainierten Personal kaum eine Chance, angesichts der riesigen Population. Dazu kommen tollwütige Katzen, Affen und Schakale.
25 Millionen Straßenhunde
Quasi an jeder Ecke in Indien leben gleich mehrere Straßenhunde; mindestens 25 Millionen sollen es sein. Um in einer der Megastädte gegen Tollwut anzukommen, müsse man 80 Prozent der mehreren Hunderttausend Hunde einfangen und impfen, erklärt Gadey Sampath, Arzt am Institut für Präventionsmedizin in Hyderabad. Da der Impfschutz nur ein Jahr lang hält, müsste diese Prozedur jährlich wiederholt werden. Für ein solches Vorhaben wäre eine landesweite, koordinierte Aktion nötig. "Aber Tollwut wird nicht als Epidemie betrachtet", sagt Sampath.
1 Junge, 125 Bisse
Eine der Städte mit der höchsten Hundepopulation dürfte Srinagar im Kaschmir-Tal sein. Viele Menschen dort haben panische Angst vor den Hunden, die sich oft in Rudeln zusammenrotten, Parks bevölkern und Straßen bewachen. Mehr als 68.000 Menschen wurden zwischen 2006 und 2013 gebissen. Eines der Opfer war der elfjährige Mudasir Ahmad. Er wurde von Hunden angefallen, die ihre Zähne fast 125 Mal in ihn schlugen.
"Als wir ihn sahen, lag er in einer Blutlache, und mehr als 20 Hunde bellten um ihn herum", sagt sein Onkel Riyaz Ahmad. Es sei ein Wunder, dass sein Neffe gerettet worden sei. Die Ärzte operierten den Jungen mehrfach, da er auch Löcher in der Luftröhre und am Verletzungen am Kopf hatte. Außerdem gaben sie ihm das Tollwut-Serum. "Wir haben Geld und konnten uns die Behandlung leisten", sagt der Onkel. "Aber was ist mit den Armen, wer hilft denen?"
von Doreen Fiedler, dpa