Bürgerversicherung - abgehakt?
Am Freitag war noch von dem "großen Durchbruch" die Rede, kurze Zeit später wurden die ersten Rufe nach "Nachverhandlungen" laut: Vor allem in der SPD stößt das Verhandlungsergebnis au Contra.
SPD-Parteichef Martin Schulz muss nun bis zum nächsten Sonntag die Funktionäre auf dem Sonderparteitag dafür gewinnen, doch wieder in eine Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel einzutreten - mit einem 28-Seiten-Papier, das die Ergebnisse eines mehr als 24-stündigen Verhandlungsgesprächs mit der Spitze der Union widerspiegelt.
Zur Gesundheitspolitik heißt es darin: "Wir werden die Parität bei den Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen künftig wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden." Der Begriff Bürgerversicherung - eine Kernforderung der SPD im Wahlkampf und bei Eintritt in die Sondierungsgespräche - fehlt.
Sondierungspapier: Spitzen von CDU, CSU und SPD zur Gesundheitspolitik
Sondierungspapier: Spitzen von CDU, CSU und SPD zur Gesundheitspolitik
Auszug aus dem Dokument "Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD vom 12.1.2018"
Dennoch sei die Bürgerversicherung nicht vom Tisch, sagte der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzende Prof. Karl Lauterbach gegenüber dem Tagesspiegel: „Einzelbestandteile der Bürgerversicherung müssen auch in Koalitionsverhandlungen nochmals diskutiert werden.“ Zwar sei wegen „massivster Widerstände“ hier vorerst nicht der große Durchbruch zu erwarten. Doch das bedeute nur, dass die SPD dafür „umso stärker werben und kämpfen“ müsse.
Mitte Dezember hatte Lauterbach die Bürgerversicherung zum "Prüfstein für eine künftige Bundesregierung" erklärt und präzisiert, wie sich die SPD die Bürgerversicherung vorstellt: ohne Einheitskasse, mit identischen Honoraren bei gesetzlich und privat Versicherten.
In der Diskussion um eine Große Koalition erteilte CSU-Parteichef Horst Seehofer solchen Hoffnungen jedoch eine klare Absage. Grundlegende Dinge, die nicht im Sondierungspapier stünden, kämen auch nicht in einen Koalitionsvertrag, stellte er klar. Das Verhandlungspaket könne man deshalb nicht nachträglich einseitig wieder aufmachen. Und auch der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl ließ verkünden, mit der CDU werde es keine neuerlichen Gespräche über eine Bürgerversicherung geben. Es sei denn die SPD setzt auf Neuwahlen. So stimmte mit der SPD Sachsen-Anhalt bereits der erste Landesverband der Sozialdemokraten gegen die Neuauflage der Großen Koalition.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, er sehe eine Wiederauflage der großen Koalition "sehr kritisch". "Es gab ein klares Wählervotum, beiden Koalitionspartnern gegenüber. Dieselbe Koalition mit derselben Politik ist darauf keine adäquate Antwort", sagte Müller. "Eine Fortführung ohne entscheidende Veränderungen überzeugt mich deshalb noch nicht." Neuwahlen schloss er demnach "über kurz oder lang" nicht aus.