Corona-Infektion kann nur nach Einzelfallprüfung Arbeitsunfall sein
Die 1974 geborene Klägerin ist als Büroangestellte in einem Handwerksbetrieb beschäftigt. Am 12. April 2021 wurde einer ihrer Kollegen positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Die Klägerin verspürte in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2021 erste Symptome, am 19. April 2021 wurde sie dann PCR-positiv getestet. Nach ihren Angaben heilte die Infektion bei ihr nicht vollständig aus, sondern sie klagte über Langzeitfolgen wie Abgeschlagenheit, Atemnot, Kopfschmerzattacken, Muskelkrämpfe sowie Beeinträchtigungen des Geruchs- und des Geschmackssinns.
Der Arbeitgeber meldete der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) die Erkrankung als Arbeitsunfall, die jedoch eine Anerkennung ablehnte. Es liege kein Arbeitsunfall vor, wenn sich eine Gefahr verwirklicht habe, von der ein Versicherter zur selben Zeit und mit gleicher Schwere auch außerhalb seiner versicherten Tätigkeit betroffen gewesen wäre, hieß es. Einen Widerspruch der Klägerin gegen diese Ablehnung wies die BG zurück. Bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 handle es sich grundsätzlich nicht um einen Arbeitsunfall, sondern um eine sogenannte Allgemeingefahr im Rahmen einer weltweit auftretenden Pandemie.
Besonders Infektionsträchtige Arbeitsbedingungen lagen nicht vor
Die Erkrankung könne nur in Einzelfällen als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn ein gesicherter Kontakt zu einer bekannten Indexperson bestanden habe, argumentierte die BG, und dieser als intensiv oder länger andauernd zu werten sei oder es im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld der versicherten Person immer mindestens eine nachweislich infektiöse Person gegeben habe oder die besonderen Arbeitsbedingungen eine Infektion begünstigt hätten. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die gegen die Ablehnung der BG erhobene Klage wies das SG Konstanz zurück. Es urteilte, dass zwar eine Corona-Infektion grundsätzlich als Arbeitsunfall anzuerkennen sein kann. Dem steht nicht entgegen, dass es in Deutschland massenweise zu Infektionen mit dem COVID-19-Virus kommt und es sich bei einer Infektion um eine allgemeine Gefahr handelt. Denn das Risiko, sich zu infizieren, steigt durch die am Arbeitsplatz auftretenden zusätzlichen Kontakte an.
Risiko muss im Einzelfall geprüft werden
Für die Anerkennung einer Corona-Infektion als Arbeitsunfall müssejedoch nachgewiesen sein, dass sich die Infektion bei der versicherten Tätigkeit und nicht im privaten Bereich ereignet hat. Dabei können die vom Robert Koch-Institut (RKI) entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung enger Kontaktpersonen nicht unmittelbar für die Beurteilung herangezogen werden, ob eine Infektion am Arbeitsplatz erfolgt ist. Vielmehr ist eine Bewertung und Abwägung möglicher Risiken anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
Im Fall der Klägerin stellte das Gericht fest, dass im maßgeblichen Zeitraum immer wieder kurze Kontakte zwischen der Klägerin und dem Kollegen stattfanden, wobei grundsätzlich OP-Masken getragen wurden. Daneben bestand die Möglichkeit einer Infektion im privaten Bereich. Die Klägerin infizierte sich während der zweiten Pandemiewelle zu einem Zeitpunkt, zu dem das RKI die Fallzahlen als hoch bewertete.
Das Sozialgericht Konstanz gelangte darum zu dem Ergebnis, dass man beim Vergleich der Infektionsgefahr am Arbeitsplatz mit derjenigen allein während des von der Klägerin eingeräumten Einkaufs von Lebensmitteln für eine vierköpfige Familie nicht von einer typischen Gefährdung am Arbeitsplatz sowie einer zugleich fernliegenden Verursachung im privaten Bereich ausgehen kann. Denn auch in Lebensmittelgeschäften hat man einen ähnlichen, kurzzeitigen Kontakt mit anderen Personen wie ihn die Klägerin zu dem infizierten Leiharbeitnehmer hatte, urteilte das Gericht. Eine Corona-Infektion am Arbeitsplatz war damit nicht nachgewiesen.
Gegen das Urteil ist die Berufung zulässig.
Sozialgericht KonstanzAz.: S 1 U 452/22Urteil vom 16. September 2022