Das IQWiG und die Nutzenbewertung in der Zahnmedizin

Hanna Hergt
Zahnmedizin
Warum sich die an evidenzbasierter Medizin orientierte Arbeitsweise des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nicht gleichermaßen auf die Zahnheilkunde übertragen lässt, erläutert der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. med. dent. Wolfgang Eßer, der zurzeit auch dem Stiftungsrat des Instituts vorsitzt.

Das IQWIG feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Welche Bilanz ziehen Sie als Vorsitzender des Stiftungsrates? Und wo liegen künftig die größten Herausforderungen des Instituts - insbesondere auf dem Gebiet der Zahnheilkunde?

Dr. Wolfgang Eßer:Als Vorsitzender des Stiftungsrates blicke ich mit großem Respekt auf die wissenschaftliche Arbeit des Instituts, die in der vergangenen Dekade im In- und Ausland Anerkennung gefunden hat. Das IQWiG steht für eine funktionierende Selbstverwaltung. Deren Träger - auch die KZBV - sind im Stiftungsrat versammelt, formal das oberste Kontrollorgan des Instituts. Die Gutachten des IQWiG dienen dem wichtigsten Beschlussgremium der Selbstverwaltung - dem Gemeinsamen Bundesausschuss - als Entscheidungsgrundlage.

Aus zahnmedizinischer Sicht würde ich mir allerdings wünschen, dass das IQWiG bei seiner Arbeitsweise künftig stärker die Eigenheiten und besonderen Belange der Zahnmedizin berücksichtigt. Selbstverständlich gibt es eine evidenzbasierte Zahnheilkunde. Allerdings hat die heute zum Teil wie eine Monstranz voraus getragene Evidenz bei Zahnärzten eine ganz eigene Dimension. Hier gilt nicht die isolierte Anwendung des Prinzips der "besten verfügbaren Evidenz", hier gelten individuelle klinische Expertise und externe Evidenz aus systematischer Forschung.

Das Institut fordert auch für Medizinprodukte eine frühe Nutzenbewertung. Wie könnte eine solche, zum Beispiel für Zahnimplantate, konkret aussehen? Ist dafür eine neue staatliche Stelle erforderlich?

Die Verlässlichkeit und Aussagekraft der Expertisen des IQWiG sind in der Fachwelt anerkannt. Das Institut arbeitet effizient und - im Vergleich zu den Jahren des Aufbaus - mittlerweile geräuschlos. Allerdings bedarf es nicht gleich bei jeder gesetzlichen Regelung der Gründung neuer wissenschaftlicher oder gar staatlicher Institutionen.

Der Gesetzgeber hat im Paragraf 35 a SGB V die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln eingeführt. Der Auftrag dazu wurde dem Gemeinsamen Bundesausschuss erteilt. Bewertet werden Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die ab dem 1. Januar 2011 erstmals in Verkehr gebracht wurden, Arzneimittel mit Wirkstoffkombinationen, in denen ein neuer Wirkstoff enthalten ist oder Arzneimittel, die sich bereits auf dem Markt befinden, bei Zulassung eines neuen Anwendungsgebietes.

Dieser Ansatz ließe sich - in modifizierter Form - möglicherweise auch auf Medizinprodukte übertragen. Zahnimplantate bestehen allerdings seit den 1980er Jahren üblicherweise aus Titan, aber zunehmend auch aus keramischen Materialien. Die Zeit für eine „frühe“ Nutzenbewertung ist in diesem Bereich also verstrichen.

Entsprechend der Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln gilt als Nutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie der patientenrelevante therapeutische Effekt, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustandes, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität. Hier wären Vergleichsstudien zu Formen des Zahnersatzes unter Umständen denkbar, allerdings in der konkreten Ausgestaltung schwierig umzusetzen.  

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Kurzfriststudien scheiden für Zahnmedizin aus

Im Jahr 2009 hatte das IQWiG untersucht, ob moderne Zahnimplantate den Patienten Vorteile bringen und sich rechnen. Da fundierte Studien fehlten, konnte das Institut die Alternativen nicht vergleichen und keinen Zusatznutzen für Implantate ausmachen. Hat sich die Studienlage inzwischen gebessert?

Die Durchführung derartiger Studien wird auch dadurch erheblich erschwert, dass sich zahnärztliche Behandlungsergebnisse in einer Vielzahl von Fällen - insbesondere in den Bereichen der Zahnerhaltung und der Prothetik - erst nach Jahren, wenn nicht Jahrzehnten beurteilen lassen. Die kurzfristige Erstellung und Auswertung vieler Studien, wie diese vom IQWiG häufig angestrebt wird, scheidet daher in der Regel im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung von vorne herein aus.

Die wissenschaftliche Evaluierung diagnostischer Methoden in der Zahnmedizin unterscheidet sich aus methodisch-ethischen Gründen im Studiendesign ganz erheblich von der Medizin. Wir Zahnärzte beobachten daher sehr aufmerksam, dass die auf die evidenzbasierte Medizin ausgerichtete Arbeitsphilosophie des IQWiG nicht einfach 1:1 auf den zahnärztlichen Bereich übertragen wird. 

Noch gibt es keine Übersicht, welche der vorhandenen Modelle am wenigsten Komplikationen aufweisen. Woran könnten sich Zahnärzte am besten orientieren?

Von medizinischen Fachgesellschaften unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) sind in den vergangenen Jahren mit hohem wissenschaftlichen Anspruch diverse Leitlinien entwickelt worden, die den Zahnärzten bei der Versorgung eine gute Orientierung an fachlich abgesicherten Standards bieten.

So hat zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich e. V. (DGI) Leitlinien für verschiedene Indikationen der Implantologie erstellt. Schwierigkeiten bei dieser Form der Versorgung können mit der anatomischen und klinischen Ausgangssituation, dem Gesundheitszustand oder der Mundpflege des jeweiligen Patienten zusammenhängen. Sie sind nicht zwangsläufig auf die Verwendung eines Implantats zurückzuführen.

Die Fragen stellte Hanna Hergt.

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