Arbeitszeitmodelle im Vergleich

Das muss passend gemacht werden!

Sonja M. Schultz
Praxis
Top-Sharing, Vätermonate, Teilzeit - geht das überhaupt? Über die Vor- und Nachteile flexibler Arbeitszeitmodelle in der (Zahn-)Medizin. (Zahn-)Ärzte und (Zahn-)Ärztinnen berichten.

Ein altehrwürdiges deutsches Universitätsklinikum ist nicht unbedingt der Arbeitsplatz, an dem man an Familien- und Frauenfreundlichkeit denkt. Und doch: An der Uniklinik Heidelberg betreiben zwei Oberärztinnen das sogenannte Top-Sharing. Dr. Katharina Bednarz (48), Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Fachärztin für Psychosomatische Medizin, und Dr. Miriam Komo-Lang (37), Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, leiten gemeinsam die psychosomatische Ambulanz.

Eine Doppelspitze dank Top-Sharing

Die Initiative zum geteilten Posten ging von Prof. Wolfgang Herzog aus, dem Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik. Herzog sieht das Modell auch als Anreiz, hochqualifizierte Mitarbeiterinnen zu halten, die sich sonst vielleicht neu orientieren würden, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr gegeben ist. Dafür ist die Klinik auch bereit, die erhöhten Kosten zu tragen.

„Nur mit zwei 50-Prozent-Stellen kann man es nicht abdecken“, erklärt Katharina Bednarz. „Die Abstimmungsprozesse sind zeitaufwendig, durch Übergabe- und Absprachezeiten entstehen etwa 20 Prozent mehr Lohnkosten.“ Bednarz, die bereits seit 2000 am Klinikum Heidelberg arbeitet, übernimmt gegenwärtig eine 60-Prozent-Stelle, ihre Kollegin 70 Prozent. Abgesehen von den höheren Ausgaben sehen alle Beteiligten die Zweier-Chefposition positiv.

"Ich kann mich darauf verlassen, dass jemand meinen Job gut macht, wenn ich nicht da bin!"

„Ich kann mich darauf verlassen, dass jemand meinen Job gut macht, wenn ich nicht da bin“, erzählt Bednarz. „Und es ist hilfreich, die Verantwortung zu teilen.“ Eine einzelne Oberärztin ist durch das Hierarchiegefälle zu den Kollegen doch immer auch einsam in ihren Entscheidungen. Es gibt nicht die Möglichkeit, sich zu beraten: Was fällt Dir dazu ein? Wie lösen wir das?

Vom Ambulanzteam hätte Bednarz durchaus mehr Kritik erwartet, aber insgesamt schätzen die Mitarbeiter die unterschiedlichen Erfahrungen der Ärztinnen. „Einer meinte, er hat noch nie in einem so familienfreundlichen Umfeld gearbeitet.“

Dass das Modell „kein Ponyhof“ sei, wie Miriam Komo-Lang gern sagt, betont aber auch Katharina Bednarz. „Man kann es nicht mit jedem machen. Man braucht die Fähigkeit, sich miteinander auszutauschen und nicht nur die eigenen Ellenbogen einzusetzen. Man muss auch Konflikte, die untereinander entstehen, ansprechen und klären. Und es geht nur, wenn man bereit ist, Pflichten und Vorzüge fair zu teilen. Es darf sich nicht einer besonders profilieren wollen. Wobei ich sagen muss, dass es speziell mit dieser Kollegin äußerst gut klappt. Vieles müssen wir gar nicht absprechen.“

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"Am Anfang hat es ein paar Mal gekracht!"

Reibungen gab es dafür in der Eingewöhnungsphase der ersten zwei Monate: „Da hat es ein paar Mal gekracht.“ Für die Aufteilung der Arbeitszeiten musste ein gerechtes System gefunden werden. „Kitas, Kindergärten und Schulen sind ja meist vormittags geöffnet, also sind die Nachmittage vergleichsweise unattraktiv.“ Und auch Krankheits- und Urlaubszeiten können eine logistische Herausforderung sein. Hier ist die Unterstützung der Abteilung gefragt.

Gravierende Nachteile sind durch die geteilte Stelle bislang nicht entstanden. Theoretisch könne eine Doppelspitze zwar gewisse Spaltungsprozesse im Team befördern – ähnlich einer Familiendynamik, wo der eine etwas erlaubt, was der andere verboten hat. „Aber auch da kommt es wieder auf die Kommunikation an“, findet Bednarz. 

Für medizinische Berufe, zumal in Hinblick auf deren zunehmende Feminisierung, hält die Oberärztin das Top-Sharing für zukunftsfähig, auch wenn die Bedingungen in der somatischen Medizin noch einmal andere sind. „Hier in der psychosomatischen Ambulanz haben wir keine Notfallmedizin. Das sind natürlich optimale Voraussetzungen, um so etwas zu etablieren. Aber es gibt auch Überlegungen, das Konzept auf anderen Stationen einzusetzen. Und ich denke tatsächlich, man muss es probieren. Natürlich gibt es nichts umsonst: Man sollte schon Kreativität, Gestaltungswillen und Willen zum Austausch mitbringen. Aber ansonsten ist es wirklich ein unterstützenswertes Modell.“ 

Selbst in der der Chirurgie kommt die Väterzeit

Flexible Arbeitszeiten und medizinische Berufe – passt das zusammen? Auf die Frage antwortet Dr. Jan-Peter Siedentopf: „Das muss passend gemacht werden.“ Der Geburtsmediziner ist Oberarzt an der Charité. Seine Frau, Dr. Nina Siedentopf, ebenfalls Geburtsmedizinerin und Oberärztin, leitet gegenwärtig mit einem 6-Stunden-Arbeitstag den Kreißsaal des Berliner Martin-Luther-Krankenhauses. Die Siedentopfs haben drei Kinder, zuletzt nahm der Vater ein halbes Jahr Elternzeit. Seit 2012 berät Jan-Peter Siedentopf mit dem Team der Väterbeauftragten der Charité Mediziner, die ihre Kinder nach der Geburt oder in späteren Phasen zu Hause betreuen wollen.

„Ich kann immer noch nicht sagen, dass alle Kliniken in der Charité selbstverständlich Väterzeit akzeptieren und dass es keinen Stress mit dem Chef gibt“, berichtet Siedentopf. „Aber auch in vermeintlich sehr konservativen und hierarchischen Bastionen wie der Chirurgie gibt es zunehmend Väter, die Elternzeit nehmen wollen. Zumindest zwei Monate sind schon sehr weit verbreitet. Für mehr fehlt dann manchmal das Verständnis.“

Man braucht einen guten Draht zur Personalabteilung

Das deckt sich mit der Statistik, denn generell entscheidet sich in Deutschland der Großteil der Väter in Elternzeit für die kürzeste mögliche Dauer. Und die beträgt laut dem im Januar 2007 in Kraft getretenen Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zwei Monate.

Bei Jan-Peter Siedentopf ist es immer ein wenig mehr geworden. Für jedes der drei Kinder nahm er zweimal Elternzeit. Einmal einen Monat um den errechneten Geburtstermin herum plus Urlaub. Und dann im ersten Lebensjahr beim ersten Kind zwei Monate, beim zweiten drei und beim dritten Kind schließlich ein halbes Jahr. Während der letzten Väterzeit übernahm eine Kollegin die Stelle des Oberarztes, die vorigen Male stockte jemand mit Dreiviertelstelle auf. „Man braucht einen guten Draht zur Personalabteilung, beziehungsweise zur kaufmännischen Leitung. Je besser die Kommunikation ist, desto einfacher kann man passende Lösungen finden.“ 

Angst vor dem Karriereknick

Wird Väterzeit zunehmend selbstverständlicher? „Die gut 40-Jährigen sind schon daran interessiert, ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Da habe ich den Eindruck, dass es zunimmt. Bei den Jüngeren herrscht noch eher Zurückhaltung.“ Die Angst vor einem Karriereknick existiert durchaus, bestätigt Siedentopf. Letztlich hängt viel vom jeweiligen Arbeitsvertrag und der eigenen Verhandlungsposition ab. Und: „Die Klinikleitung bestimmt das Klima.“

###more### ###title### "Je mehr ich für etwas, das ich als normal empfand, beglückwünscht und gelobt wurde, desto klarer zeigte sich, dass es noch nicht überall Routine ist." ###title### ###more###

"Je mehr ich für etwas, das ich als normal empfand, beglückwünscht und gelobt wurde, desto klarer zeigte sich, dass es noch nicht überall Routine ist."

Für seine Väterzeit hat der 46-Jährige innerhalb wie außerhalb der Charité ausschließlich positive Reaktionen bekommen. „Das hatte ich so nicht erwartet, weil es natürlich indirekt signalisiert, dass es etwas Besonderes ist. Je mehr ich für etwas, das ich als normal empfand, beglückwünscht und gelobt wurde, desto klarer zeigte sich, dass es noch nicht überall Routine ist.“

Acting Director: Chefsein mal ausprobieren

Damit hierzulande, gerade im Oberarztbereich, flexibler mit Elternzeiten umgegangen werden kann, wünscht sich Siedentopf auch mehr Offenheit in den starren Hierarchien: „In der Wirtschaft gibt es zum Beispiel den Posten des sogenannten Acting Directors. Dabei übernimmt jemand Aufstrebendes als Vertretung für eine befristete Zeit die nächsthöhere Position. Danach kehrt er wieder in die alte Rolle zurück. Das wird nicht als Degradierung aufgefasst, sondern als Möglichkeit, sich auszuprobieren. In der Medizin heißt es, das sieht im Lebenslauf nicht gut aus – warum ist man denn nicht auf dem höheren Posten geblieben? Das finde ich schade. Denn in diesem Modell steckt eine Chance.“ Selbst wenn Veränderungen Zeit brauchen: Eine lückenlose Arbeitsbiografie nach Schema F und eine 100 Prozent-Stelle ohne Auszeiten sind nicht mehr alternativlos.

Am Anfang muss man vielleicht improvisieren

Auch in der Zahnmedizin gilt, dass Arbeitnehmerfreundlichkeit und familienbewusste Personalpolitik einen Arbeitsplatz attraktiver machen. Ob das Z-MVZ mit flexiblen Arbeitszeitmodellen um top ausgebildete Zahnärzte wirbt, die individuell organisierte Gemeinschaftspraxis mit der Möglichkeit zu Teilzeit oder Sabbatical oder um die Einzelpraxis, die auf Arbeitszeitkonten für die Mitarbeiter setzt: Letztlich ist alles eine Frage der Absprache. Und manchmal auch der kreativen (Not-)Lösungen.

Wie bei Dr. Regine Carl und Dr. Wolfgang Carl aus St. Ingbert: „Als nach der Gründung unserer Gemeinschaftspraxis 1990 dann 1993 das erste Kind geboren wurde, haben wir ein Babybett neben das Faxgerät in einem noch nicht eingerichteten Behandlungszimmer platziert und dort zwischen den Behandlungen Stillpausen organisiert – ‚Mutterschutz‘ für Selbstständige ... und manchmal ein bisschen Vaterzeit. Die Patienten hatten Verständnis.“ Auch das ist Flexibilität.

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