Der Kalorienzähler reicht nicht mehr!
Insgesamt 79 Prozent der Deutschen besitzen ein Smartphone - 42 Prozent von ihnen haben darauf mindestens eine Gesundheits- und Fitness-App installiert - 39 Prozent davon nutzen diese täglich. Werden alle Relationen in absoluten Zahlen ausgedrückt, zeigt sich: Der Markt für Mobile-Health ist groß.
Zahlreiche Akteure haben das immense Potenzial erkannt und positionieren sich im Bereich Mobile-Health - darunter Unternehmen aus der Gesundheitsbranche, zahlreiche Technologie-, Telekommunikations- und Internetkonzerne sowie Start-Ups und App-Entwickler. Die Interessen Anbietergruppen unterscheiden sich dabei zum Teil erheblich, fast immer spielen jedoch die erhobenen Gesundheitsdaten eine wesentliche Rolle.
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Die Zahl der Hardware- und Service-Angebote im Bereich M-Health sind damit in den vergangen Jahren deutlich gestiegen. Experten warnen in der aktuellen Studie jedoch vor einem Mangel an nachhaltig überzeugenden "Use Cases". Gemeint sind damit zielgruppenspezifischen Anwendungen, die bisher fehlen.
Zielgruppenspezifische Angebote sind gefragt
Ziel der Studie "M-Health 2.0" war es, eine fundierte Bewertung der Aussichten von Mobile-Health zu erhalten. Dazu haben Deloitte und Bitkom 2.000 Konsumenten in Deutschland befragt - mit dem zentralen Ergebnis: M-Health-Angebote werden stärker nachgefragt, wenn sie für eine bestimmte Zielgruppe konzipiert wurden.
Tatsächlich zielt der größte Teil der bisherigen Anwendungen auf das Tracking von Aktivitäten und die Motivation der Nutzer. Sie sind darauf angelegt, mit einfachen, spielerischen Mitteln ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Spezifische Angebote mit einem besonders hohen Mehrwert für eine spitze Zielgruppe sind laut Studie im aktuellen M-Health-Markt noch selten.
Genau hier aber liegt die große Chance, sagen die Autoren, M-Health auf eine nächste Entwicklungsstufe zu bringen. Insbesondere die Einbeziehung von Akteuren aus dem ersten Gesundheitsmarkt, also dem „klassischen“, überwiegend durch Versicherungen finanzierten Bereich, wird künftige Angebote deutlich professionalisieren. Im Rahmen der Studie wurden drei verschiedene Nutzergruppen identifiziert, die im Folgenden dargestellt werden:
Sportlich Aktive: Leistungsanalyse wird individueller
Konsumenten aus dem Bereich der sportlich Aktiven treiben regelmäßig (im Schnitt mindestens einmal pro Woche) Sport. Damit fallen sowohl ambitionierte Athleten als auch Hobbysportler in diese Gruppe. Dieses Segment nutzt vor allem Angebote wie Fitness-Apps und Fitness-Bänder mit dem Ziel, einerseits die eigenen Leistungen zu analysieren und andererseits den eigenen Trainingsplan zu optimieren.
Wesentliche Player in diesem Segment sind Fitbit, Garmin, Runtastic und Polar. Deren Produkte messen anhand von Sensoren Körperdaten wie Puls sowie Leistungsdaten wie gelaufene Kilometer. Sie können in verschiedenen Sportarten zur Leistungsmessung eingesetzt werden. In den USA werden entsprechende Devices bereits öffentlichkeitswirksam von Athleten in Wettkämpfen, beispielsweise in der Major League Baseball getragen.
Inzwischen gibt es darüber hinaus spezialisierte Angebote für spezifische Sportarten. Beispielsweise misst „Whoop“ die Herzfrequenz, körperliche Anstrengung wie auch die Erholungs- und Schlafphasen von Schwimmern. Auch im Golfsport gehören spezielle Devices, die Körperfunktionen und gleichzeitig Entfernungen zur Fahne messen, bereits zum Alltag.
Besonders interessant: M-Health-Angebote, die für die sportlich aktive Zielgruppe konzipiert wurden, stellen die anfallenden Daten fast immer ausschließlich dem Nutzer zur Verfügung. Eine direkte Einbindung von Sportmedizinern geschieht bislang so gut wie nie.
Chronisch Kranke: Mehrwert durch smarte Therapieunterstützung
Die chronisch Kranken sind Hauptzielgruppe der Aktivitäten von Akteuren aus dem Pharma- und Gesundheitsmarkt. Bislang sind hauptsächlich Apps in diesem Segment verbreitet. Diese erlauben es den Patienten, persönliche Daten zur Medikamenteneinnahme einzupflegen. Auf Diabetes-Produkte spezialisierte Pharmaunternehmen haben spezifische Monitoring- Applikationen für Diabetes-Patienten umgesetzt. Auch Krankenkassen wie die Techniker Krankenkasse bieten entsprechende „Tagebücher“ an.
Neben diesen vergleichsweise simplen Apps werden für dieses Nutzersegment zunehmend auch Hardware-Lösungen sehr relevant. So besitzen bereits knapp 22 Prozent der chronisch Kranken in Deutschland ein vernetztes Messgerät zur Selbstbehandlung von Krankheiten (z.B. Blutzuckermessgerät, das Daten auf Smartphone, PC oder Tablet speichert, oder ein vernetztes Blutdruckmessgerät). Gerade wieder im Bereich Diabetes sind solche Geräte weit verbreitet.
Jedoch spielen auch Start-Ups im Segment der chronisch Kranken bereits eine große Rolle. So hält die App MyTherapy des Münchner Start-Ups SmartPatient eine konkrete Aufgabenliste für Patienten bereit und bietet einen individuellen Zeitplan mit Erinnerungsfunktion für die Tabletteneinnahme oder zum Messen des Blutzuckerlevels. Die Nutzung solcher Applikationen oder Geräte könnte in Deutschland prinzipiell sogar noch höher liegen. 40 Prozent der befragten Nutzer vernetzter Devices zu Selbstbehandlung chronischer Erkrankungen geben an, dass sie ihre Messgeräte häufiger einsetzen würden, wenn diese stärker ihre Bedürfnisse abdecken würden. Momentan liegt der Fokus hier auf dem bewussten Datenmanagement für den User. Der nächste Schritt von der Dokumentation zu weiteren konkreten Therapievorschlägen ist jedoch an regulatorische Zulassungen geknüpft.
Insbesondere im Bereich chronischer Erkrankungen sind hierzulande viele Fragen im Zusammenhang mit vernetzten Gesundheitsangeboten unbeantwortet. Offen ist beispielsweise, wie sich Zertifizierungsanforderungen auf die Lösungen anwenden lassen, die deutlich kürzeren Releasezyklen unterliegen oder Prozess- und Produktinnovationen vereinen. Daneben stellt sich auch die Frage nach dem Management der sensiblen Daten.
Vernetzte Geräte zur Selbstbehandlung erfordern neben dem konkreten Nutzen für den Patienten auch komfortable Schnittstellen zu den entscheidenden Akteuren im Gesundheitssystem. Erste Angebote zur Förderung solcher Angebote, beispielsweise von der Techniker Krankenkasse, zielen in diese Richtung. Es bleibt jedoch abzuwarten, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang sich der Nutzen für die konkrete Zielgruppe weiter erhöhen lässt.
Übergewichtige: Mehr als Kalorien zählen
Zu dieser Nutzergruppe zählen jene, die sich selbst als übergewichtig bezeichnen bzw. als übergewichtig wahrnehmen. Der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung nimmt stetig zu. Bisherige Angebote fokussieren sich besonders auf entsprechende Wellbeing-Apps. Hier liegt der Fokus wiederum auf Monitoring, Trainingsratgebern und Ernährungssupport. Zusätzlich werden Fitness-Tracker gezielt in dieser Zielgruppe positioniert. Hier haben selektiv vereinzelte Krankenkassen eine Vorreiterrolle übernommen. Beispielsweise übernimmt die Barmer die Kosten für einen Fitness-Tracker unter der Bedingung, dass sich der Versicherte mindestens an 20 von 42 Tagen mindestens 30 Minuten lang bewegt.
Auch bei der AOK Nordost wird das Smartphone zum digitalen Bonusheft. Die Fit-mit-AOK-App kann mit Fitness verknüpft werden und sammelt Bonuspunkte für Trainings und andere Aktivitäten. Zusätzlich gibt es spezifische Angebote zur Nachsorge nach Klinikaufenthalten. So hat das Fraunhofer Institut in Kooperation der EU die Applikation „Adipositas Begleiter-2.0“ entwickelt, um die Rehabilitation und Sekundärprävention nach Kur- und Klinikaufenthalten zu verbessern. Des Weiteren wollen private Anbieter wie „Weight Watchers“ ihr Stück vom großen Kuchen. Auch sie bieten mobile, vernetzte Services für übergewichtige Kunden. Dabei liegt der Fokus auf dem Tracking des Kalorienverbrauchs oder App-basierten Ernährungsvorgaben.
Wiederum andere Anbieter offerieren individuelle Services für Übergewichtige. So bietet ein amerikanisches Gesundheits-Start-Up mit der Gesundheitsapplikation Kurbo dem Nutzer einen persönlichen Ernährungsexperten, der einen individualisierten Ernährungsplan erstellt und durch tägliche Motivation per Telefon, SMS oder E-Mail die Nachhaltigkeit des Programms erhöht. Ein weiterer Fokus solch spezialisierter Apps ist neben der Nachhaltigkeit auch explizit die Einbindung der Familie oder Lebenspartner, was laut wissenschaftlichen Ergebnissen die Erfolgsaussichten solcher Programme erhöht.
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Diskussion
Knapp ein Jahr nach dem Inkrafttreten des E-Health-Gesetzes bleibt weiterhin manche regulatorische Hürde bestehen. So müssen Anbieter bei der Vermarktung von Mobile-Health- Diensten weiterhin bestehende Haftungsrisiken im Auge haben. Über entsprechende Klauseln können sie diese zwar ausschließen. Ob ein Verweis auf eine „Nutzung auf eigene Gefahr“ oder „dient lediglich Zwecken der Unterhaltung und der Information“ jedoch nachhaltig Vertrauen bei Patienten schafft, darf stark bezweifelt werden. Hier kann eine klarere Regulierung von Mobile Health-Anwendungen das Vertrauen von Verbraucher und Nutzer stärken. Beispielsweise wird durch die EU-Medizinprodukteverordnung die Einordnung von Software als Medizinprodukt neu geregelt. An Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, werden dadurch höhere Zertifizierungsanforderungen gestellt. Dies kann zu mehr Qualität bei Mobile Health-Anwendungen führen, gleichzeitig birgt es jedoch ebenfalls das Risiko, dass solche regulatorischen Hürden und die damit entstehenden Kosten (z.B. durch Zertifizierung durch benannte Stellen) Innovationen hemmen.
Auch die im internationalen Vergleich konservative Berufsordnung deutscher Ärzte erschwert die verstärkte Einführung mobiler Gesundheitsangebote. Diese verhinderte beispielsweise, dass sich telemedizinische Anwendungen (E-Visite) in Deutschland ähnlich stark durchsetzen konnten wie in anderen Ländern.
Zur Förderung digitaler Gesundheitsangebote wurde mit dem E-Health-Gesetz eine flächendeckende IT-Infrastruktur, die alle Akteure im Gesundheitswesen vernetzt, beschlossen. Diese wird u.a. die Aktualisierung der Versichertenstammdaten, die Speicherung von Notfalldaten und auch eine elektronische Patientenakte mit sich bringen. Der Zeitplan zur Einführung war für den Juli 2016 terminiert worden, hinkt jedoch aufgrund von Sicherheitsfragen hinterher. Um eine stärkere Einbindung von M-Health in das Gesundheitssystem zu gewährleisten, ist eine Verbesserung der zugrunde liegenden digitalen Infrastruktur jedoch unerlässlich.
Beispiele aus M-Health-Vorreiterländern wie den USA zeigen, dass eine entscheidende Rolle in der Adaption von digitalen Gesundheitsangeboten den Krankenkassen zukommt. Hierzulande bestehen jedoch auch in dieser Hinsicht große regulatorische Einschränkungen. Dadurch sind die Investitions- und Partnerschaftsmöglichkeiten deutscher Krankenkassen weiterhin stark eingeschränkt. Es bleibt festzuhalten, dass für eine effektive Steigerung der Nutzung mobiler Gesundheitsangebote zum einen der regulatorische Rahmen stärker entlang den neuen, digitalen Realitäten definiert werden muss. Zum anderen ist eine gezielte Deregulierung im Bereich von entscheidenden Akteuren unerlässlich. Erste Positionspapiere deutscher Parteien im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 2017 zeigen, dass diese Diskussion langsam in Gang kommt und in naher Zukunft Veränderungen möglich sind.
Persönliche Gesundheitsdaten gelten als besonders sensibel. Ihr Schutz und ihre Sicherheit genießen oberste Priorität. In der Vergangenheit waren nicht zuletzt die hohen Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit eine wesentliche Ursache für die schleppende Umsetzung großer E-Health-Projekte. Doch nicht nur unter Datenschützern, auch bei Ärzten ist nach wie vor Skepsis vorhanden. Gerade ältere Mediziner lehnen digitale Lösungen aus Sorge um die verwendeten Daten grundsätzlich ab.
Allerdings hängt die Offenheit stark davon ab, wer der Adressat der Daten sein soll. Akteure aus dem Gesundheitsbereich genießen einen großen Vertrauensvorschuss, insbesondere Ärzte. Lediglich 9 Prozent der Deutschen würden mobil erhobene Gesundheitsdaten nicht mit ihrem Arzt teilen. Von den chronisch Kranken sind es sogar nur 6 Prozent. Größer ist die Zurückhaltung gegenüber der eigenen Krankenkasse. Dieser würden 44 Prozent ihre Daten „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ zur Verfügung stellen. Überzeugungsarbeit leisten müssen die Gerätehersteller und Internet-Konzerne. 73 bzw. 75 Prozent der Befragten stehen der Weitergabe von Gesundheitsdaten an diese Anbietergruppen negativ gegenüber. Lediglich jeweils 7 Prozent sind grundsätzlich zum Teilen bereit. Hier muss über die ausdrückliche Betonung von Datenschutz und -sicherheit sowie über transparente Anwendungen Vertrauen geschaffen werden.
Quelle: Studie M-Health 2.0: Zielgruppenspezifische Angebote gefragt", Deloitte, Bitkom, Stand 05/2017