"Der Patient wird in seiner Realität abgeholt"
Welchen Beitrag leisten zahnärztliche Patientenberatungsstellen zum Empowerment?
Dr. Nele Kettler: Die zahnärztlichen Patientenberatungsstellen unterstützen Ratsuchende dabei, ihr krankheitsbezogenes Verhalten selbst zu bestimmen. Sie helfen den Patienten, sich im Gesundheitssystem zu orientieren und schaffen Zugang zu relevanten Informationen. In der Beratung wird der Patient in seiner Realität abgeholt, Lösungsmöglichkeiten werden aufgezeigt und Ziele identifiziert; der Patient wird auf seinem Weg gelotst. Wo nötig, wird das Vertrauensverhältnis zwischen dem Behandler und dem Patienten wiederhergestellt.
Welches Selbstverständnis haben sie?
Vor allem wollen sie die Arzt-Patient-Beziehung stärken. Neben Neutralität, Zuhören und Lösungsangeboten geht es darum, den Patienten in seiner Situation zu verstehen. Die Patientenberatung wird als Erweiterung der Beratung in der Zahnarztpraxis gesehen, für die im Alltag die Zeit nicht immer reicht.
Daneben hat die Patientenberatung vor allem eine Lotsenfunktion, die etwa zu Ärzten anderer Disziplinen führen kann; alternative Lösungen und Wege werden zugänglich gemacht. Die Patientenberater nehmen auch eine gesellschaftliche Funktion wahr, sie sehen sich als Repräsentanten des Berufsstandes.
Wo sind die Möglichkeiten, wo die Grenzen?
An ihre Grenzen stoßen Patientenberater in schwierigen Konfliktfällen: Wird nur eine der beiden Seiten gehört, ist ein Schlichten meist unmöglich. Auch schwierige Patienten sind eine Herausforderung - nicht immer gelingt es, Wünsche zu erkennen oder die Erwartungshaltung zu erfüllen. Die Berater können nicht das Kompetenzfeld der Zahnmedizin verlassen: Weder sollen sie Seelsorger für Patienten mit hohem Bedarf an emotionaler Zuwendung sein, noch Richter, wenn rechtlich verbindliche Auskünfte erbeten werden.
Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass ein breites Beratungsspektrum angeboten wird, wodurch auch der behandelnde Zahnarzt unterstützt wird. In der Beratung kann die unvollständige oder missglückte Kommunikation fortgesetzt werden, die sonst nur durch das Einbeziehen Dritter (UPD, Justiz) geregelt werden könnte.
Welche Rolle hat Empowerment im Gesundheitswesen generell?
Kern des Patienten-Empowerment ist die Befähigung der Patienten. Sie werden in die Lage versetzt, die eigenen Fähigkeiten zu nutzen, um ihre Lebenswelt aktiv mitzugestalten und Problemsituationen zu bewältigen. Durch ein aufeinander bezogenes Arbeiten beider Seiten werden Bedingungen geschaffen, die es ermöglichen, dass Patienten sich selbst helfen können. Damit sind sie in Krisensituationen nicht ausschließlich auf professionelle Hilfe angewiesen. Der Arzt bleibt weiterhin der Experte, der eine Therapieempfehlung ausspricht, der Patient übersetzt die Empfehlung in seine Lebenswelt.
Die Fragen stellte Gabriele Prchala.