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Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin

„Millionen Menschen sind mangelernährt“

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Medizin
Mangelernährung betrifft längst nicht nur untergewichtige Menschen. Besonders gefährdet sind ältere Menschen sowie Patientinnen und Patienten mit chronischen oder schweren Erkrankungen – etwa im Krankenhaus – aber auch Menschen mit Adipositas oder Typ 2-Diabetes. Darauf machten die Expertinnen und Experten der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) in einer Pressekonferenz zur Malnutrition Awareness Week 2025 aufmerksam.

„Über die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland ist übergewichtig oder sogar adipös“ – da gehe ein Thema wie die krankheitsbedingte Mangelernährung leicht unter, sagte Prof. Dr.Matthias Pirlich, Vizepräsident der DGEM und niedergelassener Endokrinologe und Ernährungsmediziner. „Aber Mangelernährung ist auch bei uns häufig." Das betreffe in Deutschland etwa 20 bis 30 Prozent der Klinikpatienten. Darüber hinaus sei das Problem in Pflegeheimen, aber auch im ambulanten Bereich relevant.

Nährstoffmangel bei Diabetes und Überernährung

Wie vielfältig die Erscheinungsformen von Mangelernährung sein können, zeigte der Beitrag von Prof. Dr. Julia Szendrödi, Präsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG): „Bis zu 30 Prozent der Menschen mit Adipositas oder Typ-2-Diabetes weisen trotz ausreichender Kalorienzufuhr einen ausgeprägten Mikronährstoffmangel auf“, so Szendrödi. „Man erwartet das nicht – aber selbst bei Menschen mit Überernährung fehlen oft Vitamine und Spurenelemente.“

Muskeln schützen statt nur Kalorien zählen

In der Ernährungstherapie bei Typ-2-Diabetes liegt der Fokus häufig auf einer strikten Kalorien- und Kohlenhydratreduktion, während der Erhalt von Muskelmasse zu wenig berücksichtigt wird. Doch genau das kann gravierende Folgen haben: Muskelabbau schwächt den Körper, schränkt die Beweglichkeit ein und verschlechtert die Stoffwechsellage.

Expertinnen und Experten betonten daher, wie wichtig es sei, die Nährstoffversorgung und gezieltes Muskeltraining als feste Bestandteile der Diabetesbehandlung zu verankern – sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Andernfalls droht eine sogenannte sarkopene Adipositas, also ein gleichzeitiges Auftreten von Übergewicht und Muskelschwund, die die Insulinresistenz verschärft und die Gebrechlichkeit fördert. „Diese paradoxe Form der Mangelernährung ist ein wachsendes Problem, das wir viel früher erkennen müssen“, so Szendrödi.

Warnsignal Gewichtsverlust

„Mit dem Älterwerden schrumpfen die körperlichen Reserven, die Verwundbarkeit nimmt zu“, erklärte Prof. Dr. Jürgen Bauer, 2. Vizepräsident der DGEM und Ärztlicher Direktor des Geriatrischen Zentrums der Universitätsklinik Heidelberg. „Wenn Energie und Eiweiß fehlen, baut der Körper Muskelmasse ab. Die Folgen sind gravierend: Schwäche, Stürze, Verlust der Selbstständigkeit.“

Allein im Krankenhaus verliere ein älterer Patient innerhalb von drei Tagen bis zu ein Kilogramm Muskelmasse. „Das entspricht etwa vier Steaks – ein Bild, das man nicht vergisst“, sagte Bauer. „Und es zeigt, wie entscheidend Ernährung für Mobilität, Selbstständigkeit und Lebensqualität im Alter ist.“

Bauer warnte davor, Gewichtsverlust im Alter zu unterschätzen: „Ein Kilo weniger im Jahr wirkt harmlos – ist es aber nicht. Jede ungewollte Gewichtsabnahme im höheren Alter sollte medizinisch abgeklärt werden.“ Besonders gefährdet seien ältere Menschen mit Appetitverlust, Depression oder sozialer Isolation. Auch die zunehmende Altersarmut werde die Situation weiter verschärfen.

Mangelernährung ist vermeidbar, wenn die Strukturen stimmen

DGEM-Präsident Dr. Gert Bischoff betont die gesundheitspolitische Dimension des Problems: „Wir wissen aus großen Studien, dass durch ein systematisches Screening und eine leitliniengerechte Ernährungstherapie jährlich über 50.000 Todesfälle verhindert werden könnten. Mangelernährung ist kein unausweichliches Schicksal – sie ist vermeidbar, wenn die Strukturen stimmen.“

Die DGEM fordert verbindliche Ernährungsteams in allen Krankenhäusern, ein flächendeckendes Screening bei Aufnahme, eine angemessene Vergütung im ambulanten Bereich sowie die konsequente Umsetzung qualitätsgesicherter Standards wie nutriZert und E-Zert. „Nur wenn Ernährung als zentraler Bestandteil der medizinischen Versorgung verstanden und finanziert wird, können wir die Versorgungslücke schließen – im Interesse von Millionen Betroffenen.“

Hier geht es zur Aufzeichnung der Pressekonferenz.
Hier geht es zu den Statements.

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