Die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen
Rund 2 bis sogar 2,5 Prozent der Bevölkerung leiden Schätzungen zufolge an der Gesichtsblindheit, viele von ihnen leben mit dem Defizit, ohne davon zu wissen. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, sich Gesichter zu merken und/oder die Identität eines Menschen an seinem Gesicht zu erkennen. Sie können dadurch ihre Mitmenschen nur mit Mühe voneinander unterscheiden.
Wissenschaftlich beschrieben wurde die Störung als definiertes Krankheitsbild erstmals im Jahre 1947 durch den deutschen Neurologen Joachim Bodamer. Er berichtete von drei Patienten, die nach einer Gehirnverletzung nicht mehr in der Lage waren, Personen in ihrem Umfeld am Gesicht zu erkennen.
Die Erkrankung galt zunächst als äußert selten, inzwischen ist jedoch klar, dass die Prosopagnosie - der Begriff setzt sich aus den griechischen Worten "Prosopon“ für Gesicht und "Agnosia“ für das Nichterkennen zusammen - viel weiter verbreitet ist als lange angenommen.
Der Grund für diese Diskrepanz liegt darin, dass die Gesichtsblindheit nicht nur nach Hirnverletzungen auftritt und dann entsprechend diagnostiziert wird. Viel häufiger ist die Prosopagnosie angeboren.
Wer ist diese Person?
So unterscheiden die Wissenschaftler heutzutage drei verschiedene Krankheitsformen: Die apperzeptive, die assoziierte sowie die kongenitale Gesichtsblindheit. Bei der apperzeptiven Form können die Betreffenden Gesichtsunterschiede nicht erkennen und kaum das Alter und das Geschlecht eines Menschen aus dessen Gesicht ablesen. Sie nehmen Gesichter nur vage wahr, können nicht am Gesichtsausdruck sehen, ob Gefühle wie Wut, Trauer oder Freude ausgedrückt werden.
Menschen mit assoziativer Prosopagnosie sind dazu zwar in der Lage, sie können jedoch die Informationen nicht zuordnen, das Alter und Geschlecht einer Person zwar aus dem Gesicht ableiten, aber nicht sagen, wer diese Person ist und woher sie diese kennen. Sie können das Gesicht erkennen, es infolge der Teilleistungsschwäche des Gehirns jedoch nicht mit einer bestimmten Person verknüpfen.
Wenn Freunde nicht gegrüßt werden
Eine besondere Form stellt die kongenitale, also die angeborene Gesichtsblindheit dar, bei der den Betreffenden oft gar nicht bewusst ist, dass bei ihnen etwas anders ist als bei ihren Mitmenschen. Die Situation ist ähnlich wie bei der Rot-Grün-Blindheit, mit der Kinder problemlos heranwachsen, bis zum Beispiel beim Erlernen der Farben oder bei ersten Übungen im Straßenverkehr die Besonderheit auffällt.
Ähnlich kann es mit der Prosopagnosie sein. Sie fällt, wie auch Brad Pitt jüngst von sich berichtete - oft erst auf, wenn der Betreffende Schwierigkeiten mit seinem sozialen Umfeld bekommt, weil er Freunde und Bekannte nicht erkennt und auf der Straße einfach an ihnen vorbeigeht, ohne sie zu grüßen oder anzusprechen.
Alle drei Formen können unterschiedlich schwer ausgeprägt sein. Das gilt für die Prosopagnosie nach einem Schlaganfall oder einer Hirnverletzung, bei der es darauf ankommt, welche Hirnregion wie stark betroffen ist ebenso wie für die angeborene Form
Die Ehefrau am Ohrläppchen erkennen
Menschen mit Prosopagnosie haben spezielle Strategien entwickelt, um in ihrer Umwelt zurechtzukommen. Sie merken sich das Aussehen ihrer Angehörigen, Nachbarn, Kollegen und Freunde an unveränderbaren Merkmalen - bis hin zum Ehepartner, der in schweren Fällen ebenfalls nicht am Gesicht erkannt wird. Das kann die Stimme sein, der Augenabstand, der Haaransatz, die Körperstatur, die Form der Ohrläppchen oder andere Erkennungsmerkmale - außer dem Gesicht.