Ein Gegenentwurf zum Private Equity-Modell
„In den nächsten Jahren werden rund 11.000 Hausarztpraxen altersbedingt aus der ambulanten Gesundheitsversorgung ausscheiden, gleichzeitig wächst die Zahl der Patienten exponentiell“, resümiert der Hausärzteverband. Schon jetzt fehlten gerade in ländlichen Gebieten, Hausärztinnen und Hausärzte, die die bestehenden Praxen übernehmen oder als Angestellte in Hausarztpraxen tätig werden.
Allerdings reichten die Bemühungen der Politik, der Gesundheitsministerien und der KVen nicht aus, um die ambulante Versorgung dauerhaft sicherzustellen, betont der Hausärzteverband: „Immer stärker drängen Fremdinvestoren nicht nur in die stationäre, sondern auch in die ambulante medizinische Versorgung. Doch die bisherigen Erfahrungen mit fremdkapitalgesteuerten Praxen zeigt, dass hier Wirtschaftsinteressen im Vordergrund stehen, zulasten der Patienteninteressen.“
Die HV Plus eG ist gegründet vom Hausärzteverband Nordrhein und versteht sich nach eigenen Angaben als erste bundesweite hausärztliche Genossenschaft. Sie ist überregional in ganz Nordrhein tätig und soll eventuell auch darüber hinaus agieren, wie die HV Plus gegenüber den zm erklärt. Insofern unterscheide sie sich beispielsweise von der Genossenschaft ÄGIVO, einer Genossenschaft aus Haus- und Fachärzten in der Region Vorderer Odenwald.
Ärztliche Genossenschaften könnten an ihre Grenzen stoßen, wenn zum Beispiel der ärztliche Nachwuchs fehlt – etwa könnte eine Übernahme schwierig werden, wenn der Vorstand aus Altersgründen ausscheidet oder wenn für Jüngere wenig Attraktivität herrscht, gerade im ländlichen Raum. Von diesen Erfahrungen berichtet zumindest der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) gegenüber den zm. Der FVDZ hatte vor einigen Jahren eine Deutsche Zahnärztegenossenschaft gegründet und diese inzwischen in eine Dienstleistungsgesellschaft umgebaut.
Aus Sicht der HV plus stellt sich dieses Problem weniger: „In der HVPLUS eG können Ärztinnen und Ärzte angepasst an ihre individuelle Lebenssituation aktiv mitarbeiten: In Teil- oder Vollzeit, als Angestellte oder als Freiberufler,“ erklärte eine Sprecherin des Hausärzteverbandes gegenüber den zm. „Gerade für junge Allgemeinmedizinerinnen sind dies unter anderem interessante Arbeitszeitmodelle. Freiwerdende Arztsitze bieten dem ärztlichen Nachwuchs in den kommenden Jahren gute Chancen.“
Interessant sei der Start ohne großen Kredit
So sieht das Genossenschaftsmodell aus: In unterversorgten Regionen übernimmt die HV PLUS eG in Abstimmung mit den ausscheidenden Praxen deren Sitze und gründet genossenschaftliche Primärversorgungszentren. Die Genossenschaft werde ein attraktiver Arbeitgeber für zukünftiges medizinisches Fachpersonal sein. „Das Interesse an der HV PLUS eG bei den Kolleginnen und Kollegen ist da. Wir gehen davon aus, dass die ersten genossenschaftlich geführten Praxen Anfang 2024 starten“, sagt Elke Cremer, Vorsitzende des Aufsichtsrats.
Die Genossenschaft will Ärzte bei der Niederlassung und auch bei der Praxisübergabe unterstützen, indem sie Aufgaben des Büromanagements übernimmt und auch als Einkaufsgenossenschaft fungiert. In unterversorgten Regionen will sie in Abstimmung mit den ausscheidenden Praxen deren Sitze übernehmen und genossenschaftliche Primärversorgungszentren gründen. Die Ärztinnen und Ärzte können auch als Angestellte in Teil- oder Vollzeit in einer HV Plus-Praxis arbeiten.
Das verspricht die Genossenschaft ihren Mitgliedern:
Ein Haftungsrisiko reduziert auf die Einlage ohne Nachschusspflicht
Die Übernahme und Bewirtschaftung freiwerdender Arztpraxen und die Gründung und den Betrieb von MVZ
Sicherheit für den eventuellen Verkauf der Arztpraxis für bereits niedergelassene Ärztinnen und Ärzte
Flexible angepasste Arbeitszeiten an die Lebensumstände und attraktivere Beschäftigungsmodelle
Ein Personalpool für qualifiziertes, nicht ärztliches Personal
Eine Einkaufsgemeinschaft mit Möglichkeit zu zentralem Einkauf
Ein Einstieg in die Selbstständigkeit sowie ein Ausstieg aus der Selbständigkeit in die Anstellung und in den Ruhestand
In der HV Plus könnten sich Allgemeinmediziner je nach Lebenssituation als Teil- oder Vollzeitkräfte, als Angestellte, als Freiberufler oder auch als stiller Teilhaber einbringen.
HV Plus
Die HV Plus eG wurde im Mai 2023 auf Initiative des Hausärzteverbandes Nordrhein gegründet. Sie versteht sich als Gegenentwurf einer rein kapitalgesteuerten Privat-Equity-Lösung. Sitz ist Köln. Eintreten können ausschließlich Ärztinnen und Ärzte, die an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen. Die Mitglieder sind angestellte und selbstständige Hausärztinnen und Hausärzte. Jedes Mitglied der Genossenschaft besitzt unabhängig von der Höhe seiner Einlage das gleiche Stimmrecht.
Die Mindesteinlage beträgt 1.000 Euro. Jedes Mitglied der Genossenschaft besitzt unabhängig von der Höhe seiner Einlage das gleiche Stimmrecht. Mitglieder erhalten eine jährliche Verzinsung ihres Genossenschaftsanteils und eine Gewinnausschüttung. Sie erhalten nach Angaben von HV Plus Dienstleistungspakete für das Praxismanagement zu einem Vorzugspreis. Und die HV Plus verbinde damit ein Leistungsversprechen: In der Zusammenarbeit mit der Genossenschaft könnten die Ärzte ihren Praxis-Ertrag um mindestens zehn Prozent steigern, gleichzeitig werde der Arbeitseinsatz des Praxisteams für Administration um mindestens zehn Prozent reduziert.
FVDZ: „Viel Basisdemokratie und wenig eigene Entscheidungsfreiheit“
Das Thema Ärztegenossenschaft ist nach Angaben des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ) nicht so richtig neu. Schon gar nicht handele es sich um die erste hausärztliche Genossenschaft bundesweit, so der FVDZ in einer Stellungnahme gegenüber den zm. Im Odenwald hätten Vertreterinnen und Vertreter des FVDZ die Genossenschaft Aegivo schon vor einigen Jahren besucht um herauszufinden, ob es ein Erfolgsrezept für genossenschaftliches Arbeiten im ärztlichen oder auch im zahnärztlichen Bereich gebe. In der Eifel habe es ebenfalls bis vor kurzem eine ärztliche Genossenschaft gegeben, in der mehrere Praxen eingebracht waren – diese sei allerdings insolvent und die Praxen seien wieder von einem Einzelarzt übernommen worden, berichtet der FVDZ. Aufgelöst wurde diese Genossenschaft, weil der Vorstand der Genossenschaft, der sich aus Altersgründen zurückgezogen hat, keinen Nachfolger gefunden hatte.
Eine ärztlich betriebene Genossenschaft – die auch MVZ gründen dürfe, weil sie ja mehrere Praxen betreiben könne – hänge weitgehend vom Engagement Einzelner ab, bilanziert der FVDZ. Diese müssten dann wirklich davon überzeugt sein, dass auf diese Weise Versorgung erhalten bleiben könne. Allerdings stoße das System immer dann an seine Grenze, wenn der Nachwuchs ausbleibe, berichtet der Verband in seiner ernüchternden Bilanz weiter. Ähnlich sei dies auch im Falle der eigenen Zahnärztlichen Genossenschaft gewesen. Es habe Bestrebungen im Verband gegeben, über eine Genossenschaft abzugebende Zahnarztpraxen „aufzufangen“ und dabei junge Zahnärzte, die Interesse an der Selbstständigkeit haben, einzuarbeiten. Das Interesse von zahnärztlicher Seite habe aber – trotz massiver Bewerbung – nicht vorgelegen.
„Vielleicht ist die Zeit von Kompromissen auch vorbei – denn auch das heißt Genossenschaft. Es gibt viel Basisdemokratie und wenig eigene Entscheidungsfreiheit – das ist nicht unbedingt ein Konstrukt, in dem ein Freiberufler, der immer sein eigener Chef war, arbeiten will,“ heißt es in der Stellungnahme. Auch seien keine jungen Zahnärzte gefunden worden, die mit Herzblut in einer genossenschaftlich betriebenen Praxis in ländlichen Regionen arbeiten wollten. Das Fazit: „Das Modell stößt weder bei den Jüngeren noch bei den Älteren auf Interesse – und schon gar nicht, wenn es um eigenes Engagement geht.“
Der FVDZ hatte die Deutsche Zahnärztegenossenschaft, die es bereits seit 2009 gibt, in eine Dienstleistungsgenossenschaft umgebaut. Aus Verbandssicht bleibt festzustellen: „Genossenschaftlich angebotene Dienstleistungen werden ebenfalls nicht in Größenordnungen nachgefragt, von denen man behaupten könnte, dass dies DAS Erfolgsmodell der Zukunft sind.“
Aus der der Hausärzteschaft heißt es, vor allem der Start ohne großen Kredit sei interessant. Weitere Vorteile seien eine fachliche Weiterentwicklung durch ein besseres Netzwerk, Qualitätssicherung oder die Auslagerung von Bürokratie. Vorteilhaft seien auch eine prozentuale Gewinnbeteiligung bei gleichzeitigem festen und angemessenen Grundgehalt. Außerdem gebe es mehr Zeit für die Patientenversorgung und man arbeite selbstständig und nicht – wie in einem investorengeführten MVZ – in dem möglicherweise Vorgaben oder Umsatzzahlen existieren.
Die HV Plus eG wurde im Mai 2023 auf Initiative des Hausärzteverbandes Nordrhein als erste Genossenschaft der Hausärztinnen und Hausärzte Deutschlands gegründet. Sie versteht sich als Gegenentwurf einer rein kapitalgesteuerten Privat-Equity-Lösung. Sitz ist Köln. Eintreten können ausschließlich Ärztinnen und Ärzte, die an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen, egal ob freiberuflich oder angestellt. Die Mindesteinlage beträgt 1.000 Euro.