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Ein Zahnarzt in Indien (2)

Hans-Joachim Dubau
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Wenige Tage vor meiner geplanten Abreise nach Indien erreicht mich noch eine E-Mail von Marika mit dem voraussichtlichen Reiseverlauf. Und einer Anregung: Da ich in den Familien der zahnärztlichen Kollegen leben soll, wäre es natürlich schön, ich brächte den Familienmitgliedern ein paar Dinge mit, die typisch sind für meine Wahlheimat und mich. Ach ja: Vielleicht könnte ich ja auch musizieren oder etwas kochen.

Reibeplätzchen und Pfannkuchen

Na prima, ein typisches Ruhrgebietsgericht zaubern für eine oder zwei Großfamilien. Sind die meisten Menschen in Indien nicht Vegetarier? Gibt es überhaupt ein typisch deutsches Gericht ohne Fleischeinlage? Nach langem Überlegen komme ich auf Reibeplätzchen und Pfannkuchen. Die kriege ich wohl hin, auch für viele Leute.

Wieder stellen sich Fragen an: Was ist denn sonst typisch für die Region, in der ich lebe? Was ist typisch für mich, was macht mein Leben aus? Meine Hobbys, mein Alltag? Gut, ein Bildband "Schönes Ruhrgebiet" ist schnell besorgt, weihnachtliche Schneekugeln gibt es Anfang November ja auch schon zu kaufen, und für die Kollegen soll es ein Praxis-T-Shirt sein. Welche Größe nehme ich am besten? Ich kenne meine indischen Kollegen nicht, aber in meiner Vorstellung sind  sie schlank und um die 1,80 Meter groß.

Die letzte Minute

Reisevorbereitend lege ich noch schnell ein Vokabelheft mit häufig gebräuchlichen Fachwörtern an,  die ich in Englisch auffrischen will. Um überhaupt wieder in das Englische zu kommen, hole ich mir die Englischkrimis für fortgeschrittene Anfänger aus meinem Bücherregal. So einfach durchzulesen sind sie dann aber doch nicht und schon gar nicht "mal eben" in den paar Tagen, die bis zur Abreise verbleiben. Und da ist er wieder. Der für mich anscheinend typische Charakterzug: Vorbereitung immer auf die letzte Minute. Wie wenig ich ihn mag, obwohl wir uns schon so lange und so gut kennen ...

Und die Angst vor der Kamera ist auch wieder da. Denn da ist sie natürlich wieder: die Kamera für das Videotagebuch. Am Flughafen in Frankfurt bekomme ich sie erklärt, wie sie eingestellt wird, dass man selber darauf zu sehen ist, und dass man nicht nur auf sich im Display achtet, um noch sagen zu können, was man zu sagen hat. Zum Beispiel, was die Highlights des Tages waren, und was einen bewegt.

Dann soll ich doch schon mal üben damit. Ist mir unglaublich unangenehm. Andere Menschen in meiner Nähe zu wissen, die mir beim Üben zuschauen und zuhören. Das bekomme ich nicht hin und verspreche, zu üben, wenn ich für mich bin. Ganz in Ruhe und mit Peinlichkeiten, die nur ich mitbekomme und die ich auch direkt wieder löschen kann.

Abflug

Endlich geht es richtig los. Abflug! Im Flugzeug der Air India fällt mir die Frauenquote direkt auf. Ich sehe ausschließlich männliche Flugbegleiter. Wie ist es in Indien um die Emanzipation der Frau bestellt?

Nach einem sehr angenehmen und ruhigen Nachtflug kommen wir am Morgen in Neu-Delhi an. Das Abfertigungschaos und reichlich dunstige Luft empfangen uns in dem riesigen und überfüllten Flughafengebäude. Draußen wartet dafür strahlender Sonnenschein mit sehr angenehmen, frühlingshaften Temperaturen.

Vor uns liegt eine etwa fünfstündige Autofahrt nach Jaipur. Eingequetscht zwischen Kamerakisten, mit Gepäck auf dem Schoß, fallen mir vor Müdigkeit immer wieder die Augen zu und werden aufgerissen,wenn der sehr gewöhnungsbedürftige Linksverkehr bedrohliche Ausmaße annimmt. Das macht er recht häufig, denn eigenartige, meist hoffnungslos überladene, Gefährte kreuzen die Fahrbahn, gebremst wird selten, eher ruckartig unter Dauerhupen ausgewichen. Nur die allgegenwärtigen Kühe werden respektvoll umfahren.

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Brennende Augen und gemeine Streifenhörnchen

Meine mittlerweile extrem angestrengten und sehr unangenehm brennenden Augen verlangen alsbald nach einer Sonnenbrille, die ich reisevorbereitend natürlich nicht bedacht habe. Mir fällt nach einiger Zeit allerdings auf, dass kein Mensch in ganz Indien Sonnenbrille zu tragen scheint. Ich beschließe also besser zum  Nichtanstellen überzugehen und meine Augen auf Durchhalten zu trainieren.

Nach ungefähr der Hälfte der Strecke und gefühlt 800 gefahrenen Kilometern halten wir zur Rast an einem kleinen Restaurant, das direkt an der viel befahrenen Landstraße liegt. Wir sitzen mit unseren Getränken - Wasser aus verschlossenen Behältnissen - auf der Terrasse, genießen das angenehme Klima und ich lausche gespannt den Ausführungen des WDR-Teams hinsichtlich der kommenden zwei Wochen. Die Stimmung ist super angenehm, es fühlt sich nach einem Ausflug mit guten Freunden an.

Wäre da nicht die Kamera, die mir auch an dieser Stelle wieder wärmstens empfohlen wird. Ich übe lieber mit dem Fotoapparat meiner Tochter, den sie mir für die Reise mitgegeben hat mit der Bitte, doch ein paar Fotos für sie zu machen.

Zu meinem Entzücken tummeln sich um unseren Tisch einige sehr fotogene Streifenhörnchen. Anscheinend übernehmen sie hier die Rolle unserer Spatzen. Nach eigenen Recherchen handelt es sich bei diesen niedlichen Tierchen aber um Nördliche Palmenhörnchen, aus der Gattung der Gestreiften Palmenhörnchen, die jedoch nicht näher mit den - uns meist aus Zoohandlungen  bekannten - Streifenhörnchen verwandt sein sollen. Trotz der Ähnlichkeit.

Indien ohne Drehbuch

Die erste Übernachtung in Jaipur ist im Hilton Hotel für das WDR-Team und mich gemeinsam vorgesehen. Zeit, ein wenig anzukommen, meine Angst vor der Videotagebuch-Kamera in Form von Übeeinheiten in den Griff zu bekommen und den weiter geplanten Ablauf zu besprechen - sofern er mir mitgeteilt wird.

Denn es soll ja kein Film nach Drehbuch entstehen, sondern bestimmte Situationen sollen unvorbereitet und womöglich überraschend auf mich einwirken können. Was sie dann auch machen.

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