Pilotprojekt in Pirmasens-Zweibrücken zur Bekämpfung frühkindlicher Karies

Eine flächendeckende Ausdehnung ist sinnvoll

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Die KZV Rheinland-Pfalz hat in einem Pilotprojekt die Machbarkeit eines zahnärztlichen Konzepts zur Bekämpfung frühkindlicher Karies getestet. Nun liegt der Abschlussbericht der mit der Evaluation beauftragten Wissenschaftler der Universität Greifswald vor.

Lange Zeit glaubte man, die Zähne der Kleinsten bedürften keiner zahnärztlichen Prophylaxe. Der allgemeine Kariesrückgang in den vergangenen Jahrzehnten hat jedoch die ungebrochen hohe Kariesprävalenz im Milchgebiss – insbesondere bei den U3-Jährigen – klar zutage treten lassen. Nicht nur dass der Kariesrückgang im Milchgebiss deutlich geringer als der im bleibenden Gebiss ausfiel, teilweise nahm er nach verschiedenen lokalen Erhebungen bei den 0- bis 3-Jährigen sogar wieder zu [Nies et al., 2008; Borutta et al., 2006].
So zeigte die im Auftrag der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) durchgeführte Studie „Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016“ zeigte, dass knapp 14 Prozent der 3-Jährigen Karieserfahrungen auf Defektniveau haben [DAJ, 2017] – jedes siebte Kind in diesem Alter hat also heute bereits Kariesschäden im Milchgebiss. Hinzu kommt eine vielfach sozial bedingte Polarisation des Kariesbefalls. Umgekehrt sehen wir dort, wo mit steigendem Alter Früherkennungsuntersuchungen und Prophylaxe wirksam werden, zunehmend sinkende Kariesraten.

Das Pilotprojekt 

Im Juli 2016 wurde auf Initiative der KZV Rheinland-Pfalz ein Pilotprojekt zur Vermeidung frühkindlicher Karies in der Region Pirmasens-Zweibrücken gestartet. Das Projekt sollte im Vorgriff auf bundeseinheitliche Regelungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die Funktionsfähigkeit eines zahnärztlichen Konzepts mit Früherkennungsuntersuchungen in den Zeitfenstern von U5, U6 und U7, indikationsbezogenen therapeutischen Fluoridierungen und einer Zusammenarbeit von Pädiatern und Zahnärzten testen. Darüber hinaus hatte die KZV angekündigt, die Maßnahmen so lange zu finanzieren, bis der G-BA eine bundeseinheitliche Regelung beschließt. Wissenschaftler der Universität Greifswald haben das Projekt nun in Zusammenarbeit mit der KZV evaluiert und ihren Abschlussbericht vorgelegt [Schmoeckel et al., 2018]. 

Zielgruppen: Zahnarzt, Kinderarzt und Eltern 

Die Evaluation setzte sich aus zwei methodischen Teilen zusammen: zum einen als Fragebogenstudie mit den Zielgruppen Zahnarzt, Kinderarzt und Eltern – hier wurden Pädiater und Zahnärzte ab dem Frühjahr 2018 mit Fragebögen zum Projekt kontaktiert, zum anderen als eine retrospektive Analyse der abgerechneten Leistungen zu den Früherkennungsuntersuchungen inklusive der therapeutischen Fluoridierung im Zeitraum vom 20. September 2016 bis zum 30. August 2018. Die Daten hierzu wurden von der KZV Rheinland-Pfalz bereitgestellt.

Insgesamt wurden bei 1.439 Kindern durch 39 Praxen – das entspricht 81,3 Prozent aller Praxen im Projektgebiet – Früherkennungsuntersuchungen in den Zeitfenstern von U5, U6 und U7 durchgeführt. 27 Zahnärztinnen und Zahnärzte aus 56 Prozent der Praxen beantworteten die Fragebögen. Die Elternberatung beinhaltete die Themen Mundhygiene (96,3 Prozent), Ernährung (92,6 Prozent), Kariesätiologie (81,5 Prozent) und die Nutzung fluoridhaltiger Kinderzahnpasta ab dem ersten Zahn (88,9 Prozent). Daneben erfolgte „oft oder immer“ eine Demonstration von Mundhygienemaßnahmen (63,0 Prozent) und ein diesbezügliches Training der Eltern an ihrem Kind (40,7 Prozent).

Pädiater (Antwortquote 56 Prozent, n = 6) berieten ebenfalls alle Eltern zur Kariesprävention – allerdings verstärkt zum Thema Ernährung und nur zu 66,7 Prozent zum Thema Mundhygiene am Kind. Nur ein Drittel empfahl eine fluoridhaltige Zahnpasta vom ersten Zahn an – mehrheitlich wurde die Fluoridtablette zur Kariesprävention präferiert. Die Hälfte der Pädiater verwies Kleinkinder zum Zahnarzt, „die andere Hälfte, wegen geringem Interesse der Eltern und einem noch unvollständigen Milchgebiss, jedoch nicht“ [Schmoeckel et al., 2018].

Hintergrund

Hintergrund

Den Elternfragebogen beantworteten 68 Mütter und Väter. „95,5 Prozent der Eltern sahen die frühen FUs in der zahnärztlichen Praxis als sinnvoll an. Sie empfanden die Empfehlungen und das Mundhygienetraining nach einem Besuch zur zahnmedizinischen Prävention bei ihrem Kleinkind zu 71,1 Prozent als wichtig, die Empfehlungen durch den Pädiater aber nur zu 36,8 Prozent“ [Schmoeckel et al., 2018]. Nur 1,5 Prozent der Eltern lehnten Fluoridlackbehandlungen ab – was angesichts der immer wieder aufflammenden Fluoriddebatten als bemerkenswert guter Wert gelten kann.

Die epidemiologische Auswertung ergab, dass 912 der 1.439 Kinder (63,4 Prozent), vom Kinderarzt einen Verweis beziehungsweise eine Empfehlung über das gelbe U-Heft erhalten hatten. Das zeigt, wie die Autoren der Auswertung betonen, dass Eltern und ihre Kinder „konsensual und partnerschaftlich durch Pädiater zur Prophylaxe in die zahnärztliche Praxis verwiesen werden können“ und „die Eltern diesem Verweis in einem hohen Maße folgen“ [Schmoeckel et al., 2018].

Übersicht zur Anzahl abgerechneter früher FUs und therapeutischer Fluoridierungen (TF)

in Primasens-Zweibrücken nach Geschlecht im Zeitraum 20.09.2016 - 30.08.2018 bei der KZV Rheinland-Pfalz

männlich (Anzahl der teilnehmenden Kinder) 

weiblich (Anzahl der teilnehmenden Kinder)

gesamt (Anteil von gesamt)

FUs gesamt

732

707

1.439 (100%)

davon Empfehlung / Verweis im U-Heft

493

419

912 (63,4%)

FU 1

84

93

177 (12,3%)

TF bei FU 1

2

3

5 (2,8% von FU1)

FU 2

340

322

662 46,0%)

TF bei FU 2

30

37

67 (10,1% von FU2)

FU 3

303

286

589 (40,9%)

TF bei FU 3

42

45

87 (14,8% von FU3)

Quelle: Schmoeckel et al., 2018

Im Hinblick auf die Inhalte der Früherkennungsuntersuchungen wird in der Studie festgestellt, „dass die Zahnärzte sich im Gegensatz zu den Pädiatern vorrangig auf wissenschaftlich mit Evidenz belegte Maßnahmen wie das Zähneputzen mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta konzentrierten. Allerdings“, so betonen die Wissenschaftler mit Blick auf die geringeren Anteile praktischer Maßnahmen in den zahnärztlichen Beratungen, „sollte dem hohen Anteil von Beratung und Demonstration auch verpflichtend das Zahnputztraining der Eltern am Kind folgen.“

Insgesamt ziehen die Wissenschaftler ein positives Fazit: „Eine flächendeckende Ausdehnung auf ganz Deutschland im Rahmen des GKV-Systems erscheint damit sinnvoll und umsetzbar.“

Literatur:

[Nies et al., 2008; Borutta et al., 2006]: zitiert nach www.zm-online.de/archiv/2013/17/zahnmedizin/fruehkindliche-karies-fakten-und-praevention/

[DAJ, 2017]: zitiert nach [Schmoeckel et al., 2018]

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