Indische Krankenschwestern in der BRD der 60er
Pflegekräfte händeringend gesucht - das klingt nach einer aktuellen Geschichte, ist es aber in diesem Falle nicht. 50 Jahre ist es her, dass viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik unter massivem Personalmangel litten. Sie riefen um Hilfe - und Tausende junge Inderinnen kamen.
Für eine Dokumentation machten sich indische Filmemacher auf die Suche nach diesen Frauen und fanden eine ganze Reihe Beispiele für gelungene Integration. "Translated Lives - A Migration Revisited" wird beim 11. Indischen Filmfestival in Stuttgart gezeigt - auf Malayalam mit Untertiteln.
6.000 indische Azubis
Winter 1964: Regelmäßig landen Maschinen mit jungen Frauen aus dem südindischen Kerala auf dem Frankfurter Flughafen. Gut 6.000 werden es am Ende sein, die jüngsten gerade mal 16, die ältesten kaum 20. Die Bundesrepublik sucht händeringend Krankenschwestern. Die Inderinnen haben den Mut, nutzen die "Green Card" und hoffen, ihren Familien in der Heimat finanzielle Sicherheit bieten zu können.
Post ist Luxus, Telefon oder modernere Kommunikationsmittel existierten kaum. Die jungen Frauen schilderten ihre Eindrücken aus der neuen Heimat damals etwa so: "In Deutschland haben Bäume keine Blätter und es fällt Baumwolle vom Himmel."
Baden-Württemberg etwa bildete ab 1964 an seinen Psychiatrischen Landeskrankenhäusern in Tübingen, Heidelberg, Wiesloch oder Rottweil indische Krankenschwestern aus. Auch in kirchlichen Häusern gab es Gruppen indischer Krankenschwestern. In Baden-Württemberg waren es insgesamt etwa 200.
Die Hälfte kehrte zurück
Doku-Regisseurin Shiny Jacob Benjamin und Produzent Mathew Joseph machten sich auf die Suche nach den Auswanderinnen. Etwa die Hälfte der Krankenschwestern sei irgendwann in die Heimat zurückgekehrt, schätzt Joseph, selbst einer von derzeit knapp 67.500 Indern in Deutschland. Seine Eltern hatten ihn 1973 mit einer der Krankenschwestern verheiratet. Er kam nach Deutschland, verdiente als Tellerwäscher am Flughafen dazu. Heute lebt er mit seiner Familie in Mettmann bei Düsseldorf, ist politisch aktiv, gut integriert.
Geschätzt 75 Prozent der Frauen, die hier in Deutschland blieben, hätten indische Landleute geheiratet, berichtet Joseph von seiner Recherche für den Film. Viele andere heirateten Deutsche und sind inzwischen deutsche Staatsbürger und schon in Rente. An verschiedenen Orten gründeten sie ihre "Samajams" (Vereinigungen) - etwa im Raum Stuttgart-Pforzheim oder auch in und um Heidelberg - wo sie ihre Kultur und Sprache pflegen.
Sprache als Schlüssel zur Integration
"Ich hatte mich auf vier Jahre eingerichtet", erinnert sich die heute 67 Jahre alte Gracekutty Pflug, die mit ihrer deutsch-indischen Familie in Fellbach bei Stuttgart lebt. Rückblickend ist sie sicher: "Die Sprache war mein Schlüssel zur Integration." Sie sei aber auch eine gute Schülerin gewesen, dass Lernen sei ihr leicht gefallen.
Den Schlüssel Nummer zwei sieht Joseph in der Kirche. "Die spielte eine ganz wichtige Rolle." Und zwar schon vor der Abreise ins fremde West-Deutschland, das sie vor allem mit Krieg in Verbindung brachten. "Die Kirche hat die Mädchen beruhigt und ihnen versichert, dass diese Zeiten vorbei sind, dass sie keine Angst zu haben bräuchten", erzählt Joseph.
Doch auch bei der Integration hier habe die Kirche entscheidende Bedeutung gehabt, erinnert sich seine Frau Saramma. Die sehr jungen Inderinnen hätten es aber auch einfach gehabt. "Die Menschen hatten viel Mitgefühl mit uns." Mit den Problemen, die Ausländer heute teils hätten, sei das nicht vergleichbar.
Dann gab es kein Zurück mehr
Viele Kontakte seien ihr nur über die Kirche möglich gewesen. Dennoch habe sie lange über eine Rückkehr nachgedacht. Erst als dann die Kinder kamen, "da war mit klar: Es gibt kein Zurück". Ihre Tochter ist 36 und lebt in London, ihr Sohn ist 29 und studiert in Köln. Daheim in Mettmann spricht man Malayalam - im Wechsel mit Deutsch.
von Roland Böhm, dpa