Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Ärztetag

„Keine Rosinenpickerei in der Versorgung!”

pr
Die wachsende Kommerzialisierung in der Versorgung, Fachkräftemangel sowie Reformen im ambulanten und stationären Bereich – auf einer Podiumsdiskussion zum Deutschen Ärztetag gingen Vertreter politischer Parteien auf dringende Handlungsbedarfe im Gesundheitswesen ein.

Mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen nahm die politische Podiumsdiskussion auf dem heute gestarteten 125. Deutschen Ärztetag in Berlin einen ersten Schwerpunkt ein. Wie bekommt man die wachsende Kommerzialisierung der Versorgung durch investorenbetriebene MVZ in den Griff? Wie soll das Gesundheitswesen mit dem steigenden Fachkräftemangel umgehen? Wie bekommt man eine bessere Krankenhausplanung hin? So lauteten einige der Kernfragen an das Podium.

Zusammen mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, diskutierten Claudia Bernhard (DIE LINKE), Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz der Freien Hansestadt Bremen, Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und Ursula Nonnemacher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg. Vertreter von SPD und FDP hatten kurzfristig abgesagt.

knallharter VerdrängungswettbewerbIm stationären Sektor

Ganz klar wandte sich Ärztepräsident Reinhardt gegen einen ruinösen Preiswettbewerb durch die wachsende Anzahl der von Fremdkapital betriebenen renditeorientierten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Die Zahl von MVZ müsse insgesamt begrenzt bleiben, das gesamte Leistungsspektrum der Medizin müsse in der Versorgung angeboten, die breite Grundversorgung in der Fläche und die freie Arztwahl müssten sichergestellt werden. Doch im stationären Sektor finde stattdessen ein „knallharter Verdrängungswettbewerb“ statt. Dezidiert sprach er sich gegen „Rosinenpickerei“ in der Versorgung aus.

Es geht nicht an, dass Ketten komplett absahnen

Nonnemacher forderte, dass MVZ in die regionalen Versorgungsstrukturen eingebettet werden müssten, statt sich an Renditen zu orientieren. Sie sehe deren reine Betrachtung als Renditeobjekt sehr kritisch. Für Laumann war das Thema Freiberuflichkeit ein wichtiges Argument. „Wir brauchen eine starke Mittelschicht, um Stabilität in der Gesellschaft zu gewährleisten”, sagte er. Freiberuflichkeit und ärztliche Weisungsunabhängigkeit seien für ihn wichtige Kriterien.

Um eine Vertrauensbasis im Gesundheitswesen zu gewährleisten, sei das System der freien Niederlassung unerlässlich. Um die Entwicklung der wachsenden Anzahl von MVZ-Ketten einzudämmen, brauche es klare Regeln auf Bundesebene, sagte Laumann. Dem konnte sich auch Bernhard anschließen. Es ginge nicht an, dass diese Ketten „komplett absahnen".

Ein effektives Mittel zur Umsetzung: die Digitalisierung

Was die Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und stationären Sektor angeht, hatten Laumann und Bernhard ähnliche Ansätze. Es gebe viele gute Modellprojekte zur Vernetzung, sinnvoll sei, diese in die Regelversorgung zu überführen. Ein effektives Mittel zur Umsetzung sei die Digitalisierung. Oft hätten sich auch – beispielsweise in Ballungsräumen – Gesundheitszentren bewährt, vor allem wegen niedrigschwelliger Angebote in der Prävention. Wichtig für alle auch: eine Weiterentwicklung des DRG-Systems im Krankenhaus.

Der FachkräfteMangel schlägt durch

Als ein zentrales Problem der Versorgung nannten alle Teilnehmenden der Podiumsdiskussion den Fachkräftemangel - sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei den Gesundheitsberufen und in der Pflege. Alle wiesen darauf hin, dass es zu wenig Medizinstudienplätze gebe.

Laumann machte darauf aufmerksam, dass wegen der wachsend Zahl an Teilzeitmöglichkeiten nicht genügend junge Ärzte, nachrückten, um die aus dem Berufsleben ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen vollumfänglich zu ersetzen.

Mangel gebe es wegen der demografischen Entwicklung auch in der Pflege: Der Bedarf werde allein durch die ausbildungswilligen Fachkräfte nicht gedeckt werden können, es brauche Fachkräfte aus dem Ausland. Für Bernhard wichtig: eine adäquate Personalbemessung sowie Wertschätzung und Anerkennung. Und Nonnemacher sprach sich für Anreize aus, damit ärztliche Kolleginnen und Kollegen auch auf dem Land arbeiten wollen: „Wir müssen Fachkräfte dorthin bringen, wo sie auch gebraucht werden.“

125. Deutscher Ärztetag

Der 125. Deutsche Ärztetag findet vom 1. bis 2. November live und unter Einhaltung Pandemiebedingungen im Berliner Estrel statt - zeitgleich zu den Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP für eine neue Koalition. In seiner Begrüßungsrede forderte Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt: „Gesundheitspolitik muss ein zentrales Handlungsfeld der Ampel-Koalition werden. Das Gesundheitswesen muss dazu zukunfts- und krisenfest ausgestaltet werden.“

Besonderen Reformbedarf mahnte Reinhardt im Öffentlichen Gesundheitsdienst an. Vehement sprach er sich gegen die Kommerzialisierung in der ambulanten und stationären Versorgung aus. „Ärztinnen und Ärzte wollen keine Entscheidungen treffen und auch keine medizinischen Maßnahmen durchführen, die aufgrund wirtschaftlicher Zielvorgaben und Überlegungen erfolgen und dabei das Patientenwohl gefährden“, betonte der Präsident.

Er forderte von der Politik, diese ärztliche Grundhaltung mit konkreten gesetzgeberischen Gegenmaßnahmen zu unterstützen. Wichtig für Reinhardt auch: eine Reform des Systems der Fallpauschalen in Krankenhäusern, eine Neuorganisierung der Krankenhausplanung, mehr Patientenorientierung und ein Ausbau der Digitalisierung. Reinhardt forderte ein einjähriges Moratorium zur inhaltlichen und strukturellen Neuausrichtung der Telematik-Betreibergesellschaft gematik. Ein ganz dringlicher Aspekt für die Ärzteschaft sei auch die Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).

Ein weiterer großer Schwerpunkt des Ärztetages wird sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit befassen. Die Beratungen hierzu sind für morgen angesetzt.

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