Kieler Studentin übt mit Flüchtlingen
zm-online: Frau Serke, wie kamen Sie auf die Idee, mit den Kindern des Kieler Flüchtlingheims Prophylaxe umzusetzen?Vivian Serke:Das Prophylaxe-Projekt für Flüchtlingskinder ist von mir mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, die momentane noch sehr angespannte zahnärztlich-prophylaktische Betreuungssituation der Kinder bei uns in Kiel ehrenamtlich zu verbessern. Es steht unter der Schirmherrschaft der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein mit Prof. Dr. Dörfer und PD Dr. Graetz - und wird insbesondere durch die Kinderzahnärztin Antje Geiken und die Zahnärztin Jule Bielfeldt unterstützt. Seit 2015 besuchen wir zusammen als Arbeitsgruppe, die zudem aus Gabi Massoud und Ulla Metz und weiteren engagierten Kommilitonen besteht, zwei Kieler Notunterkünfte (MFG5 Gelände und in Kiel-Wik) und führen die Kinder spielerisch an das Thema Mundhygiene heran.Handelte es sich um eine alleinige Initiative Ihrerseits?Mit der vorgezogenen Eröffnung des Erstaufnahmelagers in Kiel 2015 kam bei mir der Wunsch auf, etwas zu unternehmen, um vor allem die Situation der Kinder zu verbessern. Ich wollte nicht nur diskutieren und debattieren, sondern tatkräftig die Kinder unterstützen. Im Gespräch mit meinen Kommilitonen herrschte sofort Begeisterung für die Idee, ein zahnärztliches Prophylaxe-Projekt passend auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder zu erarbeiten.
Denn es muss auch bedacht werden, dass viele der Flüchtlingskinder noch keinerlei Kontakt zu einem Zahnarzt oder zahnmedizinischen Fachpersonal gehabt haben, weder in ihrem Heimatland noch in Deutschland. Rasch entstand ein Konzept, mit dem diese Kinder spielerisch an das Thema der Mundhygiene und Mundgesundheit herangeführt werden, sie aber auch im Umgang mit zahnmedizinischem Personal vertraut gemacht und positiv in der täglichen Mundhygiene bestärkt werden.
Eine weitere Besonderheit des Projekts ist, dass muttersprachliche Studenten mit von der Partie sind und bei den Schulungen dolmetschen. Wir versuchen so als Team Sprachbarrieren zu vermeiden und können direkt mit den Kindern sprechen, auf ihre Fragen eingehen und unsere Schulungen flexibel anpassen. Zudem entsteht viel schneller eine Vertrauensbasis, und die Kinder machen ganz begeistert mit. Es zeigte sich auch im Laufe der Schulungen, dass die Flüchtlingskinder mutiger und selbstbewusster mitmachen, wenn sie die Möglichkeit haben, sich auch an einen muttersprachlichen Ansprechpartner wenden zu können.
Wie kam es zur interdisziplinären Zusammenarbeit mit der Zahnklinik?Wir haben unser Konzept in der Zahnklinik vorgestellt, und unsere Arbeitsgruppe wurde sofort in der Abteilung der Zahnerhaltung/Kinderzahnheilkunde und Parodontologie durch fachliche und engagierte Mitarbeit und Unterstützung erweitert. Somit entstand aus einem Konzept ein konkretes Projekt, in dem Flüchtlingskinder spielerisch und altersentsprechend in ihrer Mundhygiene und Mundgesundheit gefördert werden.
Ängste können so abgebaut und die Kinder für spätere Zahnarztbesuche positiv desensibilisiert werden. Das Prophylaxeprojekt strebt nicht nur eine Risikoabsenkung des Karieszuwachses an, sondern es sollen auch kulturelle und länderspezifische Aspekte einfließen, da zum Beispiel auch sowohl auf die spezifische Ernährung des Heimatlandes der Kinder als auch auf die Nahrungsmittel in Deutschland eingegangen wird.
Aber es mussten noch weitere Kontakte aufgebaut werden, denn es gab noch keine zuständigen Ämter oder Behörden, die man einfach einmal anrufen und bei denen man nachfragen konnte. Und wir mussten die Kinder mit unseren Prophylaxe-Terminen erreichen. Sie brauchten somit eine persönliche Einladung in ihrer Muttersprache.
Wir haben uns auch mit dem Gesundheitsamt in Kiel abgesprochen. Darüber hinaus brauchten wir direkte Ansprechpartner vor Ort und passende Räumlichkeiten mit Arbeitstischen und Waschbecken. Wir brauchten Mundhygieneartikel und Lehrmaterial in großen Mengen. Das ganze Projekt konnte nur durch die tatkräftige Unterstützung und dem Durchhaltevermögen des gesamten Teams umgesetzt werden.
Wie ist aus einem temporären Projekt ein regelrechtes Programm geworden?Unser Prophylaxe-Projekt wird durch seine unbürokratische, langfristige, aber auch schnelle Hilfe vor Ort von allen Seiten begeistert angenommen und hat sich erfreulicherweise zu einem festen Programm etabliert. Damit möchten wir die Integration von Flüchtlingskindern fördern, das Kariesrisiko senken und wir erhoffen uns eine Kosteneinsparung hinsichtlich aufwendiger Behandlungen, die durch fehlende Prävention und Betreuung der Flüchtlingskinder in den nächsten Jahren entstehen kann.
Hinzukommt, dass dieses Projekt nicht nur einen Zugewinn für die Flüchtlingskinder darstellt, sondern die am Projekt beteiligten Zahnmedizinstudenten auch Lehrinhalte der Kinderzahnmedizin und der Gruppenprophylaxe anwenden lernen und praktische Erfahrungen sammeln können.
Was bewegte Sie an diesem Projekt besonders?Auf diese Frage, würde ich gerne mit diesem Foto antworten, das ich bei unserem Prophylaxe-Einsatz in der Wik in Kiel von diesem dreijährigen Mädchen gemacht habe.
Ich schaue in viele kleine Gesichter mit leuchtenden Augen, die mir zeigen wollen, wie schön sauber ihre Zähne nach dem Zähneputzen geworden sind. Auch wenn wir viele Probleme nicht lösen können, wollen wir mit unserem Prophylaxe-Projekt den Kindern die Möglichkeit geben, wieder Kind zu sein. Diese kindliche Freude lässt jeden Aufwand verschwindend klein erscheinen.