IGeL-Monitor 2018

Krankenkassen kritisieren "schädliche medizinische Leistungen"

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Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) hat für seinen aktuellen Monitor 49 individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) bewertet. Das Ergebnis: Der Großteil der Selbstzahlerleistungen wird als fragwürdig eingestuft - oft wegen der schlechten Studienlage.

Die Gesamtbilanz im aktuellen IGeL-Monitor fällt wie folgt aus: Insgesamt 49 individuelle Gesundheitsleistungen wurden insgesamt vom MDS bewertet - vier davon wurden "negativ" eingestuft, das heißt ihr Schaden ist demzufolge größer als ihr Nutzen. Dazu zählt der MDS die Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke, die durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz, die Colon-Hydro-Therapie sowie die Immunglobulin G-Bestimmung zur Diagnose einer Nahrungsmittelallergie.

21 weitere IGeL-Leistungen wurden als "tendenziell negativ" bewertet. Dies gilt sowohl für die MRT-Untersuchung der Brust zur Krebsfrüherkennung als auch für die Hyaluronsäure-Injektion bei Kniearthrose. Laut MDS sei "der zu erwartende Schaden" bei diesen IGeL-Leistungen "größer als der Nutzen".

Nur wenn "der zu erwartende Nutzen größer als der Schaden" sei, gelten die Selbstzahlerleistungen laut MDS als "tendenziell positiv" - dies trifft im aktuellen Monitor jedoch lediglich auf drei untersuchte Leistungen zu: für die Stoßwellenbehandlung bei Fersenschmerz, für die Akupunktur zur Migräne-Prophylaxe und die Lichttherapie bei Winterdepression.

Weitere 20 der insgesamt 49 bewerteten IGeL-Leistungen werden laut MDS als "unklar" klassifiziert - entweder "weil keine Bewertungsgrundlagen vorliegen" oder "weil sich Schaden und Nutzen ausgleichen". Auch die Professionelle Zahnreinigung (PZR) zählt laut MDS damit zu den "unklaren IGeL-Leistungen".

"Die PZR hat mit IGeLn nichts zu tun!"

Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) stellen dagegen schon seit Jahren richtig, dass private Zusatzleistungen beim Zahnarzt auf keinen Fall mit IGeL-Leistungen verwechselt werden dürfen. So bekräftigte BZÄK-Vizepräsident Prof. Dietmar Oesterreich bereits vor drei Jahren anlässlich des IGeL-Monitors 2015, dass die PZR ein „wesentlicher Bestandteil der oralen Prävention“ ist.

Der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, bestätigt: „Der Nutzen der PZR bei einem völlig mundgesunden Patienten ist in der Tat unklar. Solche Patienten gibt es allerdings in der Versorgungsrealität praktisch nicht.“ Bereits bei Patienten mit ersten parodontalen Problemen sei eine PZR durchaus sinnvoll, da mit ihr die Sondierungstiefe der Zahntaschen reduziert werden kann. Mittel- und langfristig könne dadurch unter Umständen eine umfassende und kostenintensivere Parodontaltherapie vermieden werden. „Eine sorgfältig durchgeführte PZR ist ein Beispiel für eine Zusatzleistung, die also mit gutem Gewissen empfohlen werden kann“, verdeutlicht Eßer, „mit IGeLn hat das nichts zu tun.“

Evidenz - das ewige Problem?

Wie kann es dennoch sein, dass der MDS 20 von 49 IGeL-Leistungen den Nutzen abspricht? Im Methodenpapier des IGeL-Monitors heißt es dazu: "Die Bewertungen der Wissenschaftler basieren auf den Methoden der evidenzbasierten Medizin, das heißt, ein Team aus Medizinern und Methodikern recherchiert für die Bewertung einer IGeL-Leistung in medizinischen Datenbanken. Das Team wägt dann Nutzen und Schaden einer Leistung gegeneinander ab."

Als Quelle für die Bewertungen der IGeL nutzt der MDS vorzugsweise "

Systematische Reviews". "Nach diesen systematischen Übersichtsarbeiten suchen wir primär in folgenden Datenbanken: Der Cochrane-Datenbank, der Datenbank des Centre for Reviews and Dissemination (CRD) des National Health Service sowie in der Datenbank Medline in PubMed", heißt es im Monitor zur Methodik.

"Falls der Weg über systematische Reviews keine ausreichenden oder keine aktuellen Informationen über Studien erbringt, greifen wir für unsere Bewertungen auch auf Originalstudien zurück. Zusätzlich recherchieren wir nach Leitlinien unter anderem in der Leitliniendatenbank der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)."

Bei der Bewertung des Nutzens einer IGeL berücksichtigt der MDS zwei Aspekte: Der erste Aspekt betrifft dabei die "Sicherheit der Erkenntnisse auf Basis vorliegender Studienergebnisse" - sprich die Evidenz

. "Aus aussagekräftigen Studien können wir 'Belege für einen Nutzen'

ableiten, aus weniger guten Studien lediglich 'Hinweise auf einen Nutzen'", erläutert der MDS. Der zweite Aspekt betrifft die Größe des Nutzens. "Wenn wir die Größe des Nutzens einer IGeL bemessen, berücksichtigen wir zum einen, wie häufig die Leistung das Ziel erreicht, das mit ihr erreicht werden soll, und zum anderen, wie wichtig dieses Ziel für die Gesundheit der Betroffenen ist", heißt es dazu im Monitor. 

"Vorteilhafte Ergebnisse sind eher von minderwertigen Studien zu erwarten."

Leider gebe es über den Nutzen und Schaden vieler IGeL jedoch keine aussagekräftigen Studien, räumt der MDS ein. Und liefert folgende Gründe: "Erstens: Aussagekräftige Studien bedeuten Aufwand von Zeit und Geld, den die Entwickler einer IGeL möglicherweise scheuen. Zweitens: Es besteht vielleicht kein Interesse an einer hochwertigen Studie, da sie zeigen könnte, dass die IGeL-Leistung nicht nutzt, sondern möglicherweise schadet. Vorteilhafte Ergebnisse sind eher von minderwertigen Studien zu erwarten. Drittens: Manche Studien müssten sehr lange dauern, bis man aussagekräftige Ergebnisse bekommt. Ob beispielsweise eine Vorsorgemaßnahme in jungen Jahren die Herzinfarktrate im Alter senkt, weiß man erst nach Jahrzehnten."

Für den MDS scheint damit folgendes Gedankenmuster klar zu sein: Sind - aus aus seiner Sicht - keine aussagekräftigen Studien verfügbar, kann keine Aussage über Nutzen und Schaden einer medizinischen Leistung gemacht werden. Im folgenden gilt die medizinische Leistung "negativ", "tendenziell negativ", "unklar" - wie es Pick während der Pressekonferenz in Berlin betonte, "als schädlich".

Teilweise mag dies seine Berechtigung haben - so spricht sich der Berufsverband der Augenärzte eindeutig gegen die alleinige Augeninnendruckmessung ohne Augenspiegelung aus. Und auch von der IGeL-Leistung "Ultraschall der Eierstöcke zur Früherkennung eines Ovarialkarzinoms" wird in einer S3-Leitlinie abgeraten - obwohl diese laut einer aktuellen Umfrage des MDS zu den Top10 der meist durchgeführten IGeL-Leistungen zählt.

"Hier wird ein ernstes Problem deutlich", betont Dr. Michaela Eikermann, Leiterin des Bereichs "Evidenzbasierte Medizin" beim MDS. "Längst bekanntes Wissen kommt nicht bei den Patienten an. Empfehlungen aus aufwendig entwickelten evidenzbasierten Leitlinien werden nicht umgesetzt. Hier sehen wir das größte Potenzial zur Bereinigung des IGeL-Marktes und zum Schutz der Patienten vor unnötigen und schädlichen Leistungen." Und weiter: "Wir unterstützen das gerne durch unsere transparente Aufbereitung der Evidenz."

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