Neue S3-Leitlinie erschienen

Materialunverträglichkeiten bei dentalen enossalen Implantaten

br
Zahnmedizin
Gibt es Titanallergien oder Unverträglichkeiten gegen das Metall? Eindeutige Antworten fehlen bislang, klinische Verdachtsfälle sind selten. Den aktuellen Wissensstand zeigt die neue S3-Leitlinie zu diesem Thema.

Bei allergischen Reaktionen auf Metalle handelt es sich um sogenannte Kontaktallergien. Diese treten an der Mundschleimhaut etwa 24 bis 27 Stunden nach Kontakt mit dem Allergen auf. Um diese Allergien auszulösen, müssen sich Metalle, etwa Cobalt, Nickel oder Kupfer, an Proteinmoleküle koppeln (Haptene). Erst dann sind sie in der Lage, eine allergische Immunreaktion auszulösen. Da Titan jedoch an der Luft in Sekundenbruchteilen oxidiert und das entstandene Titandioxid sich nicht an ein Protein binden kann, ist das Metall nicht in der Lage, eine klassische Kontaktallergie auszulösen.

Aus diesem Grund sind auch klassische Allergietests auf Titan nicht zielführend. In der international ersten Leitlinie „Materialunverträglichkeiten bei dentalen, enossalen Implantaten“, empfehlen die Fachleute von 18 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Organisationen unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI e.V.) daher einstimmig, auf solche Tests zu verzichten. Die Expertinnen und Experten geben dabei Entscheidungshilfen, in welchen Fällen Patienten von einer erweiterten Diagnostik profitieren können und wie Befunde und Symptome bewertet werden sollten.

Sechs Mal den Daumen gesenkt

Die Fachleute aus der Leitliniengruppe haben in insgesamt sechs auf Evidenz basierten Empfehlungen bezüglich Allergietests auf Titan formuliert, dass „eine Testung nicht durchgeführt werden soll”. Dies gilt sowohl für den Epikutantest (ECT) als auch für den sogenannten Lymphozytentransformationstest (LTT), der Hinweise auf allergenspezifische Gedächtniszellen im Blut gibt, die jedoch nicht obligat mit einer klinisch lokalen Reaktion in Beziehung stehen müssen. Beide Tests sollen nicht zur Abklärung einer potenziell bestehenden Sensibilisierung auf Titan eingesetzt werden, auch nicht bei Patienten mit relevanten Vorerkrankungen in der Anamnese oder bei Patienten, bei denen der Verdacht auf eine klinische Unverträglichkeitsreaktion besteht. Denn Untersuchungen zeigen, dass selbst in Fällen, in denen ein Verdacht auf eine Titanunverträglichkeit besteht, der Test nicht positiv anschlägt.

Unverträglichkeitsreaktionen sind möglich

Materialunverträglichkeiten können bei implantatgetragenem Zahnersatz auftreten. Doch was ist im Einzelfall tatsächlich der Auslöser, wenn die Mundschleimhaut brennt oder gerötet ist, wenn Zahnfleisch oder Lippen anschwellen oder die Mundwinkel sich entzünden? Dann liegt die Vermutung nahe, dass der Patient einen Werkstoff oder eine Substanz beispielsweise in prothetischen Konstruktionen nicht verträgt. In solchen Situationen geraten auch dentale Implantate in Verdacht, mögliche Auslöser zu sein.

Dentale Implantate bestehen meistens aus Reintitan, das oxidiert keine Allergie auslösen kann. Allerdings können Suprakonstruktionen aus Titan-Legierungen bestehen und auch andere Metall-Legierungen enthalten, die eine Kontaktallergie auslösen können. Ebenso sind Unverträglichkeitsreaktionen auf Titan möglich. Diese können durch eine überschießende entzündliche Reaktion von Fresszellen (Makrophagen) verursacht werden, wenn diese in Kontakt mit Titanoxidpartikeln kommen.

Bei klinischen Symptomen Suprakonstruktionen im Blick haben

Die Fachleute betonen, dass die Suprakonstruktionen zu Unverträglichkeitsreaktionen beziehungsweise Allergien führen können. Auslöser dafür können Legierungsbestandteile, Verunreinigungen sowie Klebstoffe sein. Besteht der Verdacht auf ein allergisches Kontaktekzem der Mundschleimhaut, das möglicherweise von anderen zahnprothetischen Materialien als Titan verursacht wurde, kann ein Epikutantest differenzialdiagnostisch zielführend sein. Dieser ist für den Nachweis einer Sensibilisierung auf Nickel, Kobalt, Chromat und (Meth)Acrylaten etabliert. Für die meisten anderen Metalle sind Spezifität und Sensitivität dieses Tests unbekannt. Der LTT kann im Einzelfall als Ergänzung in einem mehrstufigen diagnostischen Ansatz integriert werden.

Schwache Evidenz auch für Titanunverträglichkeit

Die Expertinnen und Experten der Leitlinie konstatieren grundsätzlich, „dass die Titanunverträglichkeitsreaktion in der Literatur nicht ausreichend belegt ist”. Weitere Evidenz bezüglich der Unverträglichkeitsreaktion auf Titan und ihrer Diagnostik werde benötigt. Es gibt jedoch Hinweise aus Studien, dass die entzündete Umgebung bei einer Periimplantitis oder Mukositis mit einer höheren periimplantären Belastung mit Titanpartikeln einhergeht. Es gibt daher Versuche, diese individuelle Immunreaktion in vitro mittels Makrophagenstimulationstests zu analysieren. Die Abgrenzung zwischen einer triggernden bakteriellen Entzündung und einer möglichen immunologischen Inflammation aufgrund von Titanpartikeln ist bislang jedoch nicht gesichert möglich.

Explantation nur Ultima Ratio

„Um eine therapeutische Entscheidung zu treffen, ist die klinische Symptomatik ausschlaggebend, die sich durch eine lokale, immunologisch bedingte Entzündungsreaktion und eine folgende gestörte ossäre Integration zeigt”, betonen die Fachleute zusammenfassend. Klassische Allergietests seien dabei nicht zielführend. Es gelte aber zu bedenken, dass in Suprakonstruktionen oder Legierungen andere Metalle als Titan und Verunreinigungen vorkommen können. Dann könnte auch ein Auslassversuch wegweisend sein. Eine Explantation von Implantaten sei aber nur eine Ultima Ratio und die Indikation dazu müsse äußerst streng gestellt werden. In jedem Fall solle zunächst die Therapie der periimplantären, bakteriell assoziierten Infektion leitlinienkonform erfolgen.

Die Leitlinie ist hier verfügbar.

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