Fallreport

Milchzahn-Abszess mit intraoralem und extraoralem Sinustrakt

Kathrin Schlüßler
Zahnmedizin
Ein chronisch-periapikaler Abszess im Primärgebiss, der gleichzeitig über den intraoralen und extraoralen Sinus abfließt, tritt sehr selten auf. Dieser Fallbericht zeigt auf, wie wichtig hier Anamnese, Diagnose und Behandlung sind.

In der Regel werden chronische periapikale Abszesse entweder intraoral oder extraoral durch einen Sinustrakt abgeleitet. Die intraorale Drainage ist dabei sowohl im primären als auch im sekundären Gebiss deutlich häufiger als die extraorale. Eine simultane Darstellung des extraoralen und intraoralen Sinustrakts wird im Milchgebiss jedoch sehr selten berichtet.

Falldarstellung

Ein siebenjähriges Mädchen wurde an der Conservative Dentistry and Endodontics Department of Bangabandhu Sheikh Mujib Medical University (BSMMU) vorstellig. Sie klagte über seit einem Jahr andauernde Beschwerden mit einer nicht heilenden kutanen Wunde der an der unteren rechten Wange. Bei der Anamnese gab sie multiple systemische Antibiotika-Therapien zusammen mit einer Ausschabung des extraoralen Sinustrakts an. Es zeigten sich keine weitere Auffälligkeiten in ihrer Krankengeschichte.

Untersuchung

Bei der extraoralen Untersuchung wurde entlang des unteren rechten Randes des Unterkiefers ein erythematöser Bereich von ungefähr 1,8 × 1 Zentimeter Durchmesser gefunden, nahes des Winkels des Unterkiefers. Es wurde festgestellt, dass die Öffnung der Läsion durch Schorfbildung geschlossen war, ohne dass beim Abtasten Eiter austrat. Bei der intraoralen Untersuchung wurde eine tiefe kariöse Läsion am Zahn 85 sowie eine Schwellung und ein intraoraler Sinustrakt, der durch multiple Stomata abfließt, festgestellt. Zahn 85 war leicht empfindlich gegenüber Percussion und Palpation ohne Beweglichkeit. Kariesbefall lag auch an den Zähnen 74 und 75 vor.

Zunächst wurde ein intraorales periapikales Röntgenbild erstellt, bei dem sich eine diffuse interradikuläre Radioluzenz zeigte, die sich periapikal in Bezug auf Zahn 85 ausdehnte. Der Sinustrakts wurde mit Guttapercha (GP) nachverfolgt: Die Quelle der Läsion wurde unter Verwendung von Röntgenbildern bestimmt und ein entsprechender GP-Punkt festgelegt. Dieser erstreckte sich in den Furkationsbereich von Zahn 85 und bestätigte ihn als Quelle für die Drainage des Sinus.

Die Läsion im Furkationsbereich könnte durch die Ausdehnung der Infektion von der Pulpakammer in den interradikulären Knochen entweder über Furkationskanäle und Seitenkanäle oder durch die Porositäten des Dentins und des Zements des Pulpabodens aufgetreten sein. Die Differenzialdiagnose ergab ein Furunkel und chronische Osteomyelitis.

Behandlung

Es wurde eine nicht-vitale Pulpektomie durchgeführt: Ein geradliniger Zugangshohlraum wurde hergestellt und die Kanäle wurden behandelt. Nach koronaler Aufweitung jedes Kanals wurden die Wurzelkanäle  gereinigt und geformt, gefolgt von einer ausgiebigen Spülung mit normaler Kochsalzlösung und 1 Prozent Natriumhypochlorit (NaOCl). Die Kanäle wurden getrocknet, gefolgt vom Aufbringen eines Calciumhydroxid (Ca(OH)2)-Verbands. Die Abdichtung des Zugangshohlraums erfolgte mit Zinkoxid-Eugenol-Zement.

Nach zwei Wochen gab es keine bemerkenswerte Heilung. Die Kanäle wurden erneut gespült und nach dem Trocknen wurde ein antibiotischer Verband bestehend aus einer Mischung von Ciprofloxacin, Metroni-Dazol und Clindamycin unter Verwendung einer Lentulospirale in die Kanäle eingebracht. Die Abdichtung des Zugangshohlraums erfolgte wiederum mit Zinkoxid-Eugenol-Zement.

Nach einer Woche war eine Heilung des Sinus intraoralis ohne Symptome erkennbar. Bei diesem Termin wurde die Antibiotikapaste aus den Kanälen ausgewaschen und diese wurden mit Zinkoxid-Eugenol versiegelt, gefolgt von der Platzierung der Glasionomer-Restauration. Bei einem Follow-up nach drei Monaten konnte eine ordnungsgemäße Heilung beobachtet werden; eine Nachsorge nach einem Jahr ergab kein Wiederauftreten.

Diskussion

Ein chronischer periapikaler Abszess im Milchgebiss wird häufig über den Sinus intraoralis abgeleitet. Gelegentlich kann jedoch ein nekrotisierter Primärzahn über den extraoralen Kutansinus abfließen. Der chronische periapikale Abszess im Primärgebiss, der gleichzeitig über den intraoralen und extraoralen Sinus abfließt, ist eine sehr seltene Erkrankung, über die bisher in keiner Studie berichtet wurde. Daher machte die Abszessdrainage durch extraoralen und intraoralen Sinus zusammen mit der Expression von Eiter durch multiple Stomata intraoral den vorliegenden Fall äußerst atypisch.

Die gleichzeitige Darstellung sowohl des intraoralen als auch des extraoralen Sinustrakts ist in diesem Fall vermutlich auf eine frühere Antibiotikatherapie und chirurgische Kürettage zurückzuführen, die die Abflusswege durch partielle Heilung teilweise blockieren und so letztendlich zu einer intraorale Drainage mit mehreren Stomata führte.

Wenn auf der Gesichtshaut eine drainierende Läsion zu sehen ist, sollte bei der Differenzialdiagnose ein endodontischer Ursprung in Betracht gezogen werden. In der Differenzialdiagnose sind auch chronischer periapikaler Abszess, Furunkel, Osteomyelitis, angeborene Fistel, pyogenes Granulom, Speicheldrüsenfistel, tiefe mykotische Infektion und infizierte Zyste zu nennen. Während die Ursache für einen intraoralen Sinustrakt leicht erkannt werden kann, kann für extraorale Drainagen eine falsche Diagnose gestellt werden.

So kam es zur Erstvorstellung der Patientin bei einem Allgemeinchirurgen oder Dermatologen anstelle eines Zahnarztes. Fehldiagnosen, unnötige Antibiotika-Behandlungen und chirurgische Eingriffe sind häufig auf solche Umstände zurückzuführen.

Im vorliegenden Fall wurde als Differenzialdiagnose Furunkel und chronische Osteomyelitis gestellt. Ein Furunkel wurde ausgeschlossen, da die Läsion schmerzlos war; zudem fehlte die rote, entzündete und empfindliche Beule; es zeigten sich weder Spontanremission, noch Fieber oder eine Lymphadenopathie in der Anamnese. Zusätzlich konnte man das Fehlen jeglicher knöcherner Sequestra im Unterkiefer (präoperativ) die Diagnose einer chronischen Osteomyelitis ausschließen. Die intraorale Röntgenaufnahme und die postoperative Orthopantomographie (OPG) nach einem Jahr bekräftigen dies.

Dieser Fallbericht zeigt deutlich auf, dass endodontische Infektionen im Zusammenhang mit dem Sinustrakt konservativ geheilt werden können, wenn Anamnese, Diagnose und Behandlung korrekt erfolgen. Bei Läsionen der Gesichtshaut sollte ein endodontischer Ursprung in Betracht gezogen werden. Ein periapikaler Abszess im Milchzahn kann selten sowohl im intraoralen als auch im extraoralen Sinustrakt vorhanden sein. Ein extraoraler Kutansinustrakt erfordert eine gute Kommunikation zwischen den Ärzten.

A. K. M. Bashar, K. Akter, G. K: Chaudhary, A, Rahman: Primary molar with chronic periapical abscess showing atypical presentation of simultaneous extraoral and intraoral sinus tract with multiple stomata. Accepted 15 July 2019. DOI:http://dx.doi.org/10.1136/bcr-2018-229039.

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