Mit diesem Kaugummi lässt sich Influenza erschmecken
Die von einem Team der Universität Würzburg vorgestellte technologische Grundlage erlaubt eine völlig neue Form der Grippediagnostik und könnte diese künftig einfach, kostengünstig und schnell machen. Jedermann könnte es jederzeit und überall nutzen, etwa in Form eines Kaugummis oder Lutschers, der im Speichel infizierter Personen auf Grippeviren reagiert und einen Geschmacksstoff freisetzt, heißt es in einer Mitteilung.
Im Mund nicht infizierter Personen dagegen würde nichts passieren. So könnten Betroffene innerhalb weniger Minuten eine Infektion erkennen – ganz ohne Labor, Strom oder medizinisches Personal. „Diese Strategie eröffnet neue Möglichkeiten für die weltweite Früherkennung und Bekämpfung der Influenza“, sagt Prof. Lorenz Meinel, der den Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Uni Würzburg leitet.
Die Grippe schmeckt nach Thymian
Das neue Diagnose-Werkzeug besteht aus dem Sensormolekül Thymol – einem Naturstoff, der unter anderem in Thymian vorkommt – und einem virusspezifischen Zuckerbaustein. Kommt es mit aktiven Grippeviren in Kontakt, setzen diese das Thymol frei, und im Mund entsteht ein klar erkennbarer Geschmack.
„Statt auf teure und komplizierte Testverfahren zu setzen, nutzen wir die natürliche Sensorik des Menschen – den Geschmack – als Werkzeug zur Früherkennung von Infektionen“, erklärt Meinel. Das Prinzip sei flexibel: Sowohl der Geschmacksträger als auch der Erkennungsbaustein lassen sich anpassen. So kann das System etwa mit süßen, bitteren oder salzigen Geschmacksrichtungen ausgestattet werden – auch kindgerecht.
Ebenso lasse sich das Prinzip auf unterschiedliche Krankheitserreger übertragen. „Für andere Infektionen könnte beispielsweise der virusspezifische Zuckerbaustein durch ein bakterienspezifisches Peptid ersetzt werden. Die zugrunde liegende Funktionsweise bleibt dabei erhalten“, so Meinel weiter. Die Methode eröffne damit neue Möglichkeiten für die niederschwellige Diagnostik viraler und bakterieller Infektionen – von Influenza bis hin zu zukünftigen Erregern, die heute noch gar nicht bekannt sind.
Nun arbeitet das Forschungsteam daran, die Sensoren in Kaugummis oder Lutscher einzuarbeiten und das diagnostische System für eine massenhafte Produktion tauglich zu machen. Dabei kooperiert es mit dem 2024 aus der Uni Würzburg heraus entstandenen Start-up FlareOn Biotech GmbH. Der Entwicklungsprozess wird voraussichtlich rund vier Jahre dauern. Derartige Anwendungen eignen sich besonders für neuralgische Punkte wie Schulen, Kindergärten oder Altersheime, davon ist das Team überzeugt. Gerade in ärmeren Ländern könnten sie bei der Eindämmung von Infektionsherden von entscheidender Bedeutung sein.
Das Fernziel: die Virenverbreitung in Echtzeit verfolgen
Die Forschenden denken auch schon weiter in die Zukunft: Sobald eine Anwendung verfügbar ist, wollen sie alle Nutzerinnen und Nutzer auf freiwilliger Basis bitten, positive Influenza-Testergebnisse mit einer Smartphone-App festzuhalten. Diese Daten könnten ein bislang nicht erreichbares Online-Lagebild ermöglichen, um die Ausbreitung von Influenzaviren in Echtzeit zu verfolgen.
Mit künstlicher Intelligenz wären dann auch Vorhersagen möglich, wo es eventuell zu epidemischen oder pandemischen Entwicklungen kommen könnte. Das würde es der Weltgesundheitsorganisation, Regierungen, Kommunen oder auch Einzelpersonen ermöglichen, frühzeitig Vorsichtsmaßnahmen einzuleiten.
Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) hat die Arbeiten im Rahmen des Verbundprojekts „Influ Kau“ finanziell unterstützt.
Martina Raschig, Marcus Gutmann, Josef Kehrein et al., A Viral Neuraminidase-Specific Sensor for Taste-Based Detection of Influenza. ACS Central Science, 1. Oktober 2025, Open Access, https://doi.org/10.1021/acscentsci.5c01179