Multiple Sklerose verändert das orale Mikrobiom
Forschende der University of Iowa Health Care haben eine umfassende genetische und metabolische Multi-Omics-Analyse des oralen Mikrobioms von Personen mit Multipler Sklerose (MS) durchgeführt. Sie fanden heraus, dass Menschen mit MS im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen ein deutlich dysbiotisches orales Mikrobiom haben.
„Während das Darmmikrobiom seit langem mit MS in Verbindung gebracht wird, hat das orale Mikrobiom weit weniger Aufmerksamkeit erhalten, obwohl es das zweitvielfältigste Mikrobiom im menschlichen Körper ist und mit anderen neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer und entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis in Verbindung gebracht wird“, sagt Ashutosh Mangalam, leitender Autor der neuen Studie.
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose ist eine neurologische Autoimmunerkrankung, die chronisch fortschreitend ist, und das Zentrale Nervensystem schädigt. Dabei kommt es unter anderem zur Demyelinisierung und Beschädigung der Nervenfasern, was in der Folge die Signalweiterleitung stört [Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft]. Die Symptome sind vielfältig, häufig ist jedoch das Gehen und Sehen beeinträchtigt, es kommt zu Gleichgewichtsstörungen, Schmerzen, Fatigue und die Konzentrationsfähigkeit kann eingeschränkt sein. Bis heute ist keine Heilung der Erkrankung möglich, wohl aber eine Milderung der Symptome. Diagnostiziert wird MS am häufigsten im frühen Erwachsenenalter und Frauen erkranken rund dreimal häufiger als Männer
Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft
„Unsere Studie zeigt, dass Menschen mit MS messbare Unterschiede in den Bakterien und Metaboliten in ihrem Speichel aufweisen. Dabei geht es nicht nur um den Verlust einiger guter Bakterien, sondern es deutet auf eine Störung des oralen Ökosystems bei Menschen mit MS hin", betont er.
Es zeigten sich eine orale Dysbiose und metabolische Veränderungen
Mangalam und sein Team verwendeten die Shotgun-Metagenomsequenzierung und untargeted Metabolomics, um herauszufinden, wie mikrobielle und metabolische Veränderungen im oralen Mikrobiom die Pathophysiologie der MS beeinflussen könnten. Insgesamt untersuchten die Forschenden Speichelproben von 50 Patientinnen und Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (RRMS) und 50 gesunden Kontrollpersonen.
Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte sich bei den RRMS-Betroffenen eine ausgeprägte Dysbiose des oralen Mikrobioms. Diese war insbesondere durch eine Reduktion kommensaler, als „frühe Kolonisatoren“ bekannter Bakteriengattungen wie Streptococcus und Actinomyces charakterisiert, die eine zentrale Rolle bei der Etablierung und Stabilisierung einer gesunden oralen Biozönose spielen.
Parallel dazu wurde eine relative Zunahme potenziell pathogener Taxa beobachtet, darunter Fusobacterium nucleatum, Porphyromonas gingivalis sowie verschiedene Prevotella-Arten, die unter anderem mit proinflammatorischen Prozessen und parodontaler Dysbiose assoziiert sind.
Das metabolische Profil des Speichels unterschied sich ebenfalls deutlich. Menschen mit MS wiesen einen niedrigeren Spiegel des neuroprotektiven Metaboliten Hypotaurin auf, der an der antioxidativen Abwehr und der neuronal-metabolischen Homöostase beteiligt ist.
Hinweise auf einen Zusammenbruch der oralen Mikrobiom-Homöostase
Die Studie legt nahe, dass der niedrigere Hypotaurinspiegel mit den mikrobiellen Veränderungen im oralen Mikrobiom von MS-Patientinnen und -Patienten korreliert. Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass orale mikrobielle und metabolische Dysregulationen zu entzündlichen und immunvermittelten Prozessen im Kontext der MS beitragen können.
Mithilfe eines neuartigen maschinellen Lernansatzes (Topic Modeling) identifizierten die Forschenden mikrobielle Konsortien, die bei gesunden Individuen charakteristische Netzwerkstrukturen bilden. Bei Patientinnen und Patienten mit MS waren fünf dieser mikrobiellen Cluster signifikant reduziert, was auf eine Störung kooperativer mikrobieller Netzwerke und einen strukturellen Zusammenbruch der oralen Mikrobiom-Homöostase hinweist.
„Dieser Multi-Omics-Ansatz zeigte, wie die Zusammensetzung, Funktion und Metabolitenprofile von Bakterien miteinander verbunden sind, und hob bestimmte bakterielle Taxa und metabolische Signaturen hervor, die Entzündungen und Immunfehlregulationen bei MS beeinflussen können“, sagt Mangalam.
Das Potenzial für Diagnostik und Therapie
Das orale Mikrobiom bietet nach Ansicht der Forschenden neue diagnostische und therapeutische Ansatzpunkte. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, künftig nichtinvasive Speicheltests zur Früherkennung oder Verlaufsbeobachtung der MS zu entwickeln. Da die Speichelentnahme unkompliziert und schmerzfrei ist, könnten mikrobielle und metabolische Biomarker des oralen Mikrobioms in Zukunft zur Überwachung der Krankheitsaktivität oder des Therapieansprechens dienen.
Fitzjerrells RL, Meza LA, Yadav M et al. Multiple sclerosis patients exhibit oral dysbiosis with decreased early colonizers and lower hypotaurine level. NPJ Biofilms Microbiomes. 2025 Oct 20;11(1):199. doi: 10.1038/s41522-025-00787-7. PMID: 41115930; PMCID: PMC12537959.



