Corona-Krise

"Mundhygiene: Grundsteine bei Kindern legen"

Dr. Ruth Struck, Bergisch Gladbach
Seit Jahresbeginn sieht die Welt auf Corona, reibt sich ungläubig die Augen, redet und schreibt unablässig über alle erdenklichen Aspekte. (...) Aber wo bleibt die Prävention in der Mundhöhle?

Zum Beitrag „Statement der DGZMK: Es gibt für diese Krise kein Handbuch“, zm 9/2020, S. 34–35.

Die Prophylaxe in Zeiten von Corona – und warum sie gerade jetzt besonders wichtig ist. Im Statement der DGZMK der zm-Ausgabe vom 1. Mai 2020 spricht der Präsident, Prof. Roland Frankenberger, genau diesen Aspekt an: „…. eine gesunde Mundhygiene beziehungsweise eine gesunde Mundhöhle (ist) in Zeiten von Covid-19 noch wichtiger als sie vorher ohnehin schon war.“

Seit Jahresbeginn sieht die Welt auf Corona, reibt sich ungläubig die Augen, redet und schreibt unablässig über alle erdenklichen Aspekte. Die Schlagworte wie Impfstoff- und Medikamentenentwicklung, Ausbreitung, Eindämmung, Bekämpfung, Schutzausrüstung, Rettungsschirm und Systemrelevanz sind in aller Munde. Auch Prävention wird in diesem Zuge erwähnt – gemeint sind Desinfektion, gründliches Händewaschen, Abstandhalten. Aber wo bleibt die Prävention in der Mundhöhle? Es geht um das Immunsystem, das bei dieser Pandemie eine unbestreitbar übergeordnete Rolle spielt.

Sind wir zahnärztlich Tätigen nicht in der Pflicht, in unseren Praxen diesen Bereich abzudecken? Ist es nicht möglich, neben den Zahnputzschulen gezielt Erwachsenenprophylaxe mit minimiertem Infektionsrisiko zu betreiben? Das Aerosol ist nicht gleichzusetzen mit Tröpfcheninfektion – das scheinen Viele zu verwechseln. Eine professionelle Zahnreinigung ist weniger problematisch, wenn man auf Handinstrumente und Polierkelche umsteigt, oder der Prophylaxekraft eine zusätzliche Assistenz zur Seite gestellt wird, die beim Ultraschall und Airflow absaugt – geeignete Schutzvisiere sind bei fast jedem Optiker und mittlerweile in vielen anderen Geschäften für kleines Geld zu haben.

Wenn es um Prophylaxe in der Mundhöhle geht, dann stehen wir in vorderster Front. „Wir dürfen uns nicht wegducken“ – dieser Slogan von Prof. Frankenberger hallt in meinen Ohren nach. Und ich gebe ihm recht: Wollen wir systemrelevant agieren und wollen wir eine medizinische Aufgabe erfüllen, dann müssen wir unsere Patienten gerade jetzt viel intensiver prophylaktisch betreuen. Es geht um Optimierung unserer Prophylaxekonzepte und um Stärkung der Patientenimmunabwehr. Bei den Erwachsenen steht eine adäquate, also auf den Patiententyp angepasste Kommunikation im Vordergrund.

Man spricht auch von einer „patientenverstehenden Kommunikation“. So manchen Zyniker mag das an den Begriff des „Pferdeflüsterers“ erinnern – und ja: das Prinzip ist ähnlich, und gerade deshalb extrem wirksam! Gehen wir auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des einzelnen Patienten ein, können wir ein individuelles Mundhygienekonzept mit ihm zusammen entwickeln. Das ist viel erfolgsversprechender, als wenn wir im pauschal alle Hilfsmittel erklären, demonstrieren, in die Hand drücken und ihn damit nach Hause schicken – die Mehrzahl der Patienten wird sich überfordert fühlen und nur einen kleinen Bruchteil davon zu Hause alleine anwenden.

Wichtig ist, sich in jeder Sitzung vor Augen zu führen, dass die häusliche Mitarbeit des Patienten maßgeblich den Behandlungserfolg beeinflusst. In Zeiten von Corona können wir dadurch sicherlich vielen Menschen, die in unsere Praxen kommen, die Angst vor dieser Erkrankung reduzieren: Wir zeigen konkrete Möglichkeiten zum Aufbau oraler Schutzmechanismen gegen die Erreger.

Prophylaxe bei Kindern, vor allem bei jüngeren Kindern im Grundschulalter, gestaltet sich naturgemäß anders als bei Erwachsenen. Kinder in diesem Alter leben viel intensiver in der Gegenwart als die ältere Generation – sie nehmen Umfeld und Tätigkeiten anders wahr. Während die Erwachsenen dazu neigen, die Vorteile einer Tätigkeit danach einzuschätzen, was sie langfristig bietet, denken Kinder kurzfristig und gegenwartsbezogen. Ihre Motivation und Konzentration lässt sich durch die angeborene Neugierde steigern.

Abhilfe schaffen könnte das sogenannte differenzielle Lernen – ein erprobtes Tool aus den Sportwissenschaften: Motorische Fähigkeiten werden besser erlernt durch Variationen als durch Wiederholungen. Statt immer wieder den gleichen Ablauf durchzuführen, werden gezielte Unterschiede in den Bewegungsausführungen praktiziert. Die besseren Trainingsergebnisse in verschiedenen Sportarten sind in der Fachwelt dokumentiert. Das Zähneputzen ist sicherlich kein Sport im eigentlichen Sinne, aber auch hier ist Üben das A und O. Wie könnte demnach diese Art von Training auf das Erlernen des Zähneputzens übertragen werden?

Die Uni Göttingen hat es in einer bemerkenswerten Studie demonstriert: Sechs- bis neunjährige Kinder wurden veranlasst, während des Zahnputztrainings bestimmte Bewegungsvariationen durchzuführen. U. a. Zähne‧putzen mit Torwarthandschuhen, mit modifiziertem Zahnbürstengriff, mit nicht-dominanter Hand, mit Bandage an der Hand, mit einem abgeklebten Auge usw. (Die Studie im Ganzen ist nachzulesen in der Ausgabe ‚Oralprophylaxe und Kinderzahnheilkunde 2020; 42(1) erschienen im Deutschen Ärzteverlag.)

Durch das Anregen der kindeseigenen Phantasie erhalten wir spielerisch bessere Resultate. Diesen Grundgedanken hat der renommierte Kinderpsychologe und Wissenschaftler Bruno Bettelheim schon vor 50 Jahren in vielen Studien bewiesen. Warum also nicht auf diesen Erfahrungsschatz zurückgreifen und in den IP-Sitzungen davon profitieren?

Einen adäquaten Bezug zur Mundhygiene entwickelt man in der Kindheit – hier wird der Grundstein dafür gelegt, wie man als Erwachsener zur eigenen Mundhygiene steht und welche Priorität sie im Alltag einnimmt. Unsere Aufgabe ist es, dieses Bewusstsein gerade in Zeiten von Corona bei Klein und Groß zu stärken, in den Vordergrund zu rücken und gezielt Hilfestellung zu leisten.

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