Studien

Nanoplastik im Körper wird bei Zellteilung weitergegeben

mg
Medizin
Über die Nahrung nimmt jeder pro Woche etwa die Menge einer Kreditkarte an Plastikpartikel im Mikro- und Nanometerbereich auf. Das könnte das Darmkrebsrisiko, Schlaganfall und Herzinfarktrisiko erhöhen, zeigen neue Studien.

Der Magen-Darm-Trakt ist der Forschung bereits als wesentliches Depot des menschlichen Körpers für Mikro- und Nanoplastikpartikel (MNPs) bekannt. Forschende haben nun die Auswirkungen der winzig kleinen Kunststoffteilchen auf Krebszellen im menschlichen Magen-Darm-Trakt untersucht. Dabei zeigte sich, dass MNPs deutlich länger in der Zelle verbleiben als bisheran genommen, da diese bei der Zellteilung an die neu gebildete Zelle weitergegeben werden. Außerdem wurden erste Hinweise dafür entdeckt, dass die Plastikpartikel die Metastasierung von Tumoren fördern könnten. Die Studienergebnisse wurden aktuell im Fachjournal „Chemospheres“publiziert.

Als Haupteintragsquellen von Mikroplastik in die Umwelt gelten nach Studienergebnissen das Waschen von Textilien aus Kunstfasern (etwa 35 Prozent), Abrieb von Reifen und Straßenmarkierungen (etwa 35 Prozent), Stadtstaub (etwa 24 Prozent) sowie Körperpflegeprodukte und Sonstige (etwa 6 Prozent). Als belastet gelten vor allem Fischprodukte, aber auch Lebensmittel wie Honig, Bier und Mineralwasser. Das Bundesinstitut für Risikobewertung stellte 2019 fest, „Mikroplastik hat sich auf der gesamten Welt verteilt. Die globale Vernetzung von Produktions- und Handelsprozessen bringt neue Herausforderungen für die Sicherheit von Lebensmitteln mit sich.“ Das Fazit der Behörde: Weitere Forschung ist nötig.

Neben der Atmung ist die Nahrungsaufnahme der wichtigste Weg von MNPs in den Organismus. Plastikpartikel vom Gewicht einer Kreditkarte (etwa fünf Gramm) gelangen so pro Woche in den Magen-Darm-Trakt. Das Team untersuchte die Interaktionen zwischen MNPs und verschiedenen Darmkrebszellen. Bei ihren Analysen konnten sie nicht nur zeigen, wie MNPs in die Zelle eindringen und wo genau sie sich ablagern, sondern sie beobachteten auch deren direkte Auswirkungen: Die MNPs werden wie andere „Abfallprodukte“ im Körper in Lysosomen aufgenommen. Lysosomen sind Zellorganellen, die auch als „Magen der Zelle“ bezeichnet werden und Fremdkörper in der Zelle abbauen.

Es gilt: Je kleiner, desto schädlicher

Die Forschenden beobachteten jedoch, dass die MNPs aufgrund der körperfremden chemischen Zusammensetzung im Gegensatz zu Fremdkörpern biologischen Ursprungs nicht abgebaut werden. Abhängig von verschiedenen Faktoren werden die MNPs sogar bei der Zellteilung an die neu gebildete Zelle weitergegeben und dürften daher beständiger im menschlichen Körper sein als ursprünglich angenommen. Darüber hinaus gibt es erste Hinweise, dass MNPs die Migration von Krebszellen in andere Körperregionen verstärken und damit möglicherweise die Metastasierung von Tumoren fördern. Dieser Effekt soll jetzt in einer Folgestudie weiter untersucht werden.

Das veränderte Verhalten der Darmkrebszellen in Bezug auf die Zellmigration konnte vor allem als Folge der Interaktion mit Plastikpartikeln festgestellt werden, die kleiner als ein Mikrometer (1 μm = 0,001 mm) sind. Bei Teilchen dieser Größe wird meist von Nanoplastik gesprochen, das zum Beispiel in einer Wasserflasche 10- bis 100-fach häufiger auftritt als Mikroplastik. Unbestritten ist, dass Kunststoffteilchen umso schädlicher wirken, je kleiner sie sind. „Das deckt sich einmal mehr mit den Ergebnissen unserer Analysen“, betont Studienleiterin Mag. Dr. Verena Pichler.

„Außerdem können wir mit unserer Studie jüngste Erkenntnisse bestätigen, die darauf hindeuten, dass MNPs das Zellverhalten beeinflussen und möglicherweise zum Fortschreiten von Krankheiten beitragen können“, ergänzt Prof. Dr. Lukas Kenner. „Vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Kunststoffen in der Umwelt und der anhaltenden Exposition auch des Menschen durch kleinste Plastikpartikel sind dringend weitere Studien erforderlich, um insbesondere Langzeitauswirkungen zu untersuchen“, so Kenner. „Es ist davon auszugehen, dass von MNP eine chronische Toxizität ausgeht“, befürchtet Pichler. Die jüngsten Ergebnisse sowie frühere Studien belegen eine hohe Aufnahme und einen langen Verbleib in Geweben und in Zellen. Damit erfüllen die untersuchten Partikel zwei von drei Merkmalen in der Toxikologie, mit denen im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung („REACH“) Stoffe als bedenklich eingestuft werden.

Brynzak-Schreiber, Schögl, Bapp et al., „Microplastics role in cell migration and distribution during cancer cell division“, Chemosphere, Volume 353, 2024, 141463, ISSN 0045-6535, https://doi.org/10.1016/j.chemosphere.2024.141463

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