Niederländischer Arzt vor Gericht
Auf diesen Tag hatten die Opfer jahrelang gewartet: Erstmals musste der niederländische Arzt Ernst Jansen auf die Anklagebank. In den Gerichtssaal von Almelo sind am Montag auch ehemalige Patienten gekommen, denen der Mediziner schwer geschadet haben soll. Manche sitzen im Rollstuhl, alle haben dieselbe Frage: Warum? Eine Antwort bleibt Jansen schuldig, auch weil konkrete Fälle noch nicht thematisiert werden.
Wie ein Todesurteil
Eines aber wird deutlich: Der Arzt sieht sich selbst als Opfer. Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, bewusst falsche Diagnosen gestellt zu haben, streitet er ab. "Es ist gut, dass er endlich vor Gericht steht", sagt Freddy de Haan. Im April 2002 stellte Jansen im Krankenhaus in Enschede bei de Haan die Diagnose Alzheimer. Für den vitalen Kripobeamten war dies wie ein Todesurteil. "Er gab mir noch fünf Jahre", erzählt de Haan der Nachrichtenagentur dpa.
Dutzende von Fehldiagnosen
58 Jahre alt war de Haan damals. Er verlor seine Arbeit, verkaufte das Haus. Zweifel an der Diagnose hatte er nicht. "Er war der Experte, ich vertraute ihm zu 100 Prozent." Erst zwei Jahre später kam die erlösende Nachricht von einem zweiten Spezialisten. De Haan litt nur an kurzfristigen Bewusstseinsstörungen. So soll es bei Dutzenden von Menschen gewesen sein, sagt die Anklage: Der inzwischen 68 Jahre alte Jansen stellte falsche Diagnosen, behandelte sie unnötig mit schwersten Medikamenten.
Neun Fälle wählte die Staatsanwaltschaft für diesen wohl größten medizinischen Strafprozess der Geschichte der Niederlande aus. Jansen habe den Betroffenen großes psychisches und körperliches Leid zugefügt, sagt Staatsanwältin Marjolein van Eykelen. "Untersuchungsergebnisse, die seiner Diagnose widersprachen, ignorierte er", betont die Anklägerin. Auch habe er sich Testergebnisse schlicht ausgedacht. Eine Frau hatte nach einer falschen Diagnose sogar Selbstmord begangen.
Arzneimittel-Sucht als Motiv
Jansen selbst, der auch jahrelang an deutschen Kliniken - darunter in Heilbronn - gearbeitet hatte, redet sich vor allem mit seiner jahrelangen Arzneimittelsucht heraus. "Der Diebstahl und die Fälschungen von Rezepten hingen mit meiner Sucht zusammen", sagt er. Auch die Veruntreuung von 88 000 Euro sei eine Folge gewesen. "Ich hatte die Orientierung verloren." Auch seinen Geltungsdrang führt er darauf zurück. Ob sein Verhalten damals wie heute krankhafte Züge hat, soll nun ein Gutachten feststellen.