Obamas Versäumnis

Claudia Pieper
Die Kritik an US-Präsident Barack Obama wegen seiner Gesundheitsreform hört nicht auf. Jetzt muss er sich mit dem Vorwurf der Lüge herumschlagen.

So hatte sich Obama die Implementierung seines Reformkernstücks nicht vorgestellt: Erst versank die Internetseite, auf der sich Millionen seiner Landsleute krankenversichern sollten, im Chaos, und Obama blieb nichts anderes übrig, als sich für die Inkompetenz seines Einführungsteams zu entschuldigen. Kurz darauf sah er sich aber mit einem noch peinlicheren Problem konfrontiert: Ihm wurde vorgeworfen, seine Landsleute höchstpersönlich angelogen zu haben. 

Im Brennpunkt sind Millionen von Kündigungen, die amerikanische Haushalte von ihren Krankenversicherungen mit der Begründung erhielten, dass ihre Policen nicht die Mindeststandards des Reformgesetzes erfüllten. Das Glaubwürdigkeitsproblem für Obama: Er hatte jahrelang immer wieder öffentlich erklärt: “Wenn Sie mit Ihrer Krankenversicherung zufrieden sind, können Sie sie behalten.”

Sein Versprechen war vor allem für die vielen gedacht, die in Amerika über ihre Arbeitgeber versichert sind. Sie merken in der Regel wenig von den Reformänderungen, und Obama wollte die Mehrheit der Amerkianer wohl beruhigen, dass sie nicht gezwungen sein würden, sich durch die neuen Versicherungsbörsen zu versichern.

Aufräumen mit billigen Policen

Das verhängnisvolle Versäumnis Obamas: Er vermied es zu erwähnen, dass die Reform sehr wohl dazu ausgelegt war, auf dem individuellen Versicherungsmarkt aufzuräumen. Billige Policen mit Auszahlungslimits und Leistungsabgrenzungen gaukelten Versicherten oft die Illusion einer Risikoabdeckung vor, ließen sie aber im Ernstfall oft im Regen stehen. Hier sollen die neuen Mindeststandards gewährleisten, dass auch die, die sich auf eigene Faust versichern müssen, adäquat versorgt sind. 

Leider sagte Obama aber nicht: “ Sie können Ihre Krankenversicherung behalten, wenn sie den neuen Mindeststandards gerecht wird.” Das ist ihm jetzt verständlicherweise von politischen Gegnern als Lüge ausgelegt worden, hat ihn aber auch in der eigenen Partei in Bedrängnis gebracht. Selbst Altpräsident Bill Clinton, der Obama sonst treu in allen Reformfragen unterstützt hat, machte sich dafür stark, es Betroffenen zu erlauben, ihre Policen zu behalten.

Eine Ohrfeige für den Präsidenten

Das von Republikanern dominierte parlamentarische Unterhaus sah eine weitere Chance gekommen, die Reform zu torpedieren: Es verabschiedete eine Vorlage, die es Versicherungen auch in Zukunft erlaubt, nicht reformkonforme Policen zu verkaufen. Traurig für Obama: Fast ein Fünftel der demokratischen Abgeordneten stimmte diesmal mit der republikanischen Mehrheit ab, viele davon sind offensichtlich um ihre Wiederwahl im nächsten Jahr besorgt. Obwohl die Vorlage im Senat keine Chance hat, war ihre Verabschiedung im Abgeordnetenhaus eine Ohrfeige für den Präsidenten.

Ungeliebter Kompromiss

Um Schadenbegrenzung bemüht, entschuldigte Obama sich erneut und schlug dann einen Kompromiss vor: Die Regierung werde es Versicherungen erlauben, die fraglichen Policen um ein Jahr zu verlängern. Damit stieß er wiederum in der Versicherungsindustrie und bei einigen Bundesstaaten auf wenig Gegenliebe. Sie befürchten eine Unterwanderung der Reform. Die derzeitigen Beiträge seien unter der Prämisse kalkuliert worden, dass sich Junge wie Alte, Kranke wie Gesunde in die neuen Policen mit Mindeststandards begeben, hieß es von Seiten der Versicherungslobby. 

Dieses gesunde Risikomix wäre in Frage gestellt, wenn jetzt die Parameter geändert würden, warnte , laut Washington Post zum Beispiel Robert Zirkelbach, ein Sprecher für die Industrie. “Wenn die Versicherungsbörsen zum “High-Risk Pool” verkommen, werden sich massive Beitragserhöhungen für die (dort) Versicherten ergeben”, sagte Zirkelbach.

Ein solches Szenario wollen vor allem Bundesstaaten verhindern, die ihre eigenen Versicherungsbörsen unterhalten. Washington und Minnesota ließen zum Beispiel sofort wissen, dass sie den Kompromiss Obamas ablehnen und eine Verlängerung der fraglichen Policen nicht erlauben werden.

Die Krise auszusitzen

Zu ihnen gesellte sich in der vergangenen Woche Kalifornien. Der bevölkerungsreichste Bundesstaat hat mittlerweile ausgewertet, wer sich in den ersten Wochen über die Versicherungsbörse “Covered California” krankenversichert hat. Das Ergebnis: Überproportional viele ältere Kalifornier haben sich um Versicherung auf dem individuellen Markt bemüht, während jüngere zögerten. Für das Funktionieren des Marktes ist es aber unerlässlich, dass sich genug gesunde junge Leute versichern. Sonst steigen die Beiträge unweigerlich. 

Eine Verlängerung nicht-reformkonformer Policen, so befand nun die Führung von “Covered California”, würde das Problem nur verschärfen. Obama bleibt nichts anderes übrig, als die Image-Krise auszusitzen und zu hoffen, dass am Ende in Sachen “Obamacare” doch noch alles gut wird. 

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