Pflegenotstand auf der Insel

Arndt Striegler
Gesellschaft
Weil in vielen staatlichen Krankenhäusern in Großbritannien inzwischen "ein schlimmer Pflegenotstand" herrsche, schlagen ärztliche Berufsverbände Alarm: Die klinische Versorgung sei gefährdet.

Erst kürzlich hatte die größte britische Krankenpflegergewerkschaft (Royal College of Nursing, RCN) einen neuen Bericht vorgelegt, in dem die Zustände innerhalb des staatlichen britischen Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS) untersucht werden. Das Resultat ist wenig schmeichelhaft. Und bestätigt, was die Klinikärzte öffentlich anprangern.

"Die Kassen sind leer"

„Landesweit fehlen uns mindestens 20.000 qualifizierte Pflegekräfte“, so RCN-Sprecher Dr. Peter Carter vor Journalisten in London. Und: „Wir schätzen, dass inzwischen jede 20. Stelle im stationären Pflegebereich nicht mehr besetzt ist.“ Grund für den Pflegenotstand ist laut RCN eklatanter Geldmangel: „Die Kassen sind leer.“

Die Untersuchung der Krankenpflegergewerkschaft basiert auf Zahlen aus insgesamt 61 NHS Trusts. NHS Trusts sind Zusammenschlüsse staatlicher Krankenhäuser und anderer Gesundheitsdienstleister, die auf lokaler Ebene kooperieren. Die Londoner Regierung verteilt an diese Organisationen jährlich das Geld aus dem Gesundheitsetat, die Trusts wirtschaften damit in Eigenverantwortung.

Als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise fließen indes heute deutlich weniger Gelder aus London in die Regionen. Vielen Kliniken bleibt laut britischem Ärztebund (British Medical Association, BMA) nichts anderes übrig, als Stellen zu streichen. Das geschieht offenbar zusehends im krankenpflegerischen Bereich.

Erschwerend kommt laut RCN hinzu, dass in Großbritannien nicht mehr ausreichend Krankenschwestern und -pfleger ausgebildet werden. „Lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen auf den Stationen“ führten dazu, dass die Zahl der in der Ausbildung steckenden Pflegekräfte in den vergangenen Jahren „um 15 Prozent gesunken“ sei. Gleichzeitig steige der Bedarf an Pflegeleistungen nicht zuletzt als Folge demografischer Entwicklungen. Resultat: 22 Prozent aller NHS Trusts rekrutieren qualifizierte Pflegekräfte inzwischen im Ausland.

"Frustriert und ärgerlich und gestresst"

„Oftmals übernehmen die Klinikärzte Aufgaben, die eigentlich vom Pflegepersonal zu verrichten sind“, berichtete ein Londoner Krankenhausarzt. „Das ist schlecht, weil uns Ärzten sowieso die Zeit fehlt. Viele Kolleginnen und Kollegen sind sehr frustriert und ärgerlich und gestresst.“

Sowohl die Ärzteverbände als auch die beruflichen Vertretungen der Pflegeberufe und Patientenorganisationen verlangen daher vom Londoner Gesundheitsministerium die Einstellung von mehreren tausend qualifizierten Pflegekräften. Damit ist der gesundheitspolitische Konflikt programmiert. Das Gesundheitsministerium argumentiert nämlich, dass seit 2010 insgesamt 4.000 Ärzte und Pfleger zusätzlich eingestellt worden seien, während die Zahl der Verwaltungsposten um 22.000 gesunken sei. Diese Zahlen werden von Ärzten und Pflegern bestritten.

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