Deutscher Ärztetag

Reinhardt: „Pro-forma-Beteiligungen der organisierten Zivilgesellschaft sind demokratiegefährdend“

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In Essen hat am Dienstag der 127. Deutsche Ärztetag begonnen. Zur Auftaktveranstaltung in der Essener Philharmonie musste sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Kritik der Ärzteschaft stellen. Weitere Tagesordnungspunkte der viertägigen Veranstaltung sind die geplante Krankenhausreform, die ärztliche Weiterbildung sowie die Wahl des BÄK-Präsidenten.

Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt wählte für seine Eröffnungsrede deutliche Worte in Richtung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Ich halte es für einen schweren politischen Fehler, dass Sie dieses Engagement Ihrer eigenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen als Lobbyismus diskreditieren, statt dieses wertvolle Erfahrungswissen für Ihre Arbeit zu nutzen.“

Der BÄK-Präsident monierte vor allem die immer kürzeren Fristen zum Abgeben von Stellungnahmen und machte dies an Beispielen deutlich. So sei der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes am 9. März 2023 nachts um 1.08 Uhr eingegangen. Die Stellungnahme der BÄK sollte am selben Tag bis 10 Uhr erfolgen.

„Ich halte eine solche Pro-forma-Beteiligung des Parlaments und der organisierten Zivilgesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz politischer Entscheidungen für demokratiegefährdend“, machte Reinhardt seinem Ärger unter großem Applaus der Anwesenden Luft. Man könne und werde solche enge Fristsetzungen nicht mehr hinnehmen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sei man keine Lobby-Organisation.

Ärzte – für Lauterbach „Lobbyisten für eine bessere Versorgung“

Lauterbach versuchte sich in seiner anschließenden Rede mit einer Erklärung. „Die Organe der Selbstverwaltung sind für mich mehr als Lobbyismus“, sagte der SPD-Politiker. Die Ärztinnen und Ärzte seien vielmehr „Lobbyisten für eine bessere Versorgung“. Dies halte er nicht für ehrenrührig. Im Anschluss ging er in seiner Rede durch die umfangreiche Gesetzgebungsagenda seines Hauses. Dieser liege vor allem eine Absage an die weitere Ökonomisierung des Gesundheitswesens zugrunde. Bei der Digitalisierung sei viel Zeit verloren gegangen. Dies gelte es jetzt aufzuholen.

„Ich arbeite mit großem Tempo mit Praktikern zusammen, um die Gesetze auf den Weg zu bringen“, erklärte Lauterbach und fügte hinzu, dass man das Gesundheitsministerium erst einmal „ein gutes Werkstück“, sprich einen Gesetzentwurf, vorlegen lassen solle. Dann werde man „die Partner in der Selbstverwaltung“ einbinden. Ansonsten ließ Lauterbach viele von Reinhardt angesprochene Punkte unbeantwortet. Dazu gehörte auch der Abschluss einer neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).

Holocaust-Überlebender mit Paracelsus-Medaille geehrt

Zu einem besonders bewegenden Moment kam es bei der Eröffnungsveranstaltung, als der 97-jährige Gynäkologe Dr. Leon Weintraub mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet wurde. Er hatte als Jugendlicher mehrere Konzentrationslager überlebt und im Anschluss Medizin studiert. Bis heute klärt er Kinder und Jugendliche über den Holocaust und den Faschismus auf. Weintraub bedankte sich für die Medaille und erklärte, er nehme „die Ehrung nicht nur für mich persönlich an, sondern für alle Kollegen, die unter der wahnsinnigen Ideologie verfolgt wurden“. Dafür erhielt Weintraub minutenlangen stehenden Applaus. Weitere Paracelsus-Preisträger waren Dr. Cornelia Goesmann und Dr. Claus Vogel.

Auf dem 127. Deutschen Ärztetag ist außerdem eine Delegation aus ukrainischen Abgeordneten und Vertretern des ukrainischen Gesundheitswesens zu Gast, um sich über das System der ärztlichen Selbstverwaltung in Deutschland zu informieren. Reinhardt sicherte den ukrainischen Gästen die Solidarität der deutschen Ärzteschaft zu.

Wahl für Donnerstag geplant

Die Wahl eines neuen BÄK-Präsidenten oder -Präsidentin ist für Donnerstag geplant. Neben Amtsinhaber Klaus Reinhardt will sich die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, zur Wahl stellen. Weitere Kandidatinnen und Kandidaten sind bislang nicht bekannt.

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