TK Gesundheitsreport 2023

So krank sind Deutschlands Studierende

mg
Gesellschaft
Kopf- und Rückenschmerzen, Konzentrations- und Schlafprobleme – davon berichten heute deutlich mehr Studierende als noch 2015. Deutlich häufiger sind auch die Verschreibungen von Antidepressiva und Ritalin.

Jetzt liegt der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) vor, aus dem erste Eckpunkte bereits Ende Juni vorgestellt wurden (zm berichtete). Er stellt die Frage „Wie geht’s Deutschlands Studierenden?“ und gibt auf 122 Seiten ausführliche Antworten. Klar ist: Gegenüber 2015 berichten signifikant mehr Studierende über klassische Stressbeschwerden, was letztlich auch zu einer deutlichen Zunahme der Verschreibungen von Antidepressiva und Psychostimulanzien führt.

Der allgemeine subjektive Gesundheitszustand der Studierenden erscheint 2023 zunächst gut: 61 Prozent der Studierenden beschreiben ihre Gesundheit als „sehr gut“ oder „gut“, während nur zehn Prozent ihren Gesundheitszustand als „weniger gut“ oder „schlecht“ einschätzen. „Diese Ergebnisse sehen aber im Verglich zu 2015 weniger gut aus“, schreibt die TK und erklärt: Vor acht Jahren berichteten noch 84 Prozent von „guter“ oder „sehr guter“ Gesundheit und nur drei Prozent der Befragten von „weniger guter“ oder „schlechter“ Gesundheit. Im Vergleich zur letzten Umfrage dieser Art habe sich damit der allgemeine Gesundheitszustand deutlich verschlechtert.

Neun Erkrankungen beziehungsweise Beschwerden waren sowohl in der Befragung 2023 als auch in der Befragung 2015 enthalten: Stress, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Konzentrationsstörungen, Schlafprobleme, Magenbeschwerden, Erkältungskrankheiten, Allergien und Atembeschwerden. Beobachtung der TK: „Bei fast allen neun Erkrankungen beziehungsweise Beschwerden, die in beiden Jahren erhoben wurden, zeigt sich eine statistisch signifikante Zunahme zwischen 2015 und 2023.“

Mit 37 Prozent berichtet mehr als ein Drittel der Studierenden von einer „ziemlich“ oder „sehr hohen“ emotionalen Erschöpfung. In einer vergleichbaren Studie mit Daten aus dem Jahr 2017 (Grützmacher et al., 2018) unter Studierenden in Deutschland lag dieser Wert noch bei 25 Prozent, berichtet die TK. Bei Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen gibt es signifikante Unterschiede hinsichtlich der emotionalen Erschöpfung, die allerdings gering ausfallen, so die Krankenkasse. Diese geringen Unterschiede seien auch dann vorhanden, wenn man den unterschiedlichen Frauenanteil in den Fachrichtungen in der Analyse berücksichtigt.

Der Anteil derjenigen, die sich „häufig“ gestresst fühlen, hat sich von 23 Prozent auf 44 Prozent fast verdoppelt, zeigt der Report. Vor dem Hintergrund, dass in der Gesamtbevölkerung im Zeitraum von 2013 bis 2021 der Stress um lediglich drei Prozentpunkte zugenommen hat (Techniker Krankenkasse, 2021), sei dieser Anstieg besonders besorgniserregend. Von dieser Stresszunahme sind Studenten und Studentinnen gleichermaßen betroffen: Bei den Frauen stieg der Stress im Vergleich zu 2015 um signifikante 21 Prozentpunkte, bei den Männern um signifikante 20 Prozentpunkte.

Detailbetrachtung der Stressursachen kann das Phänomen nicht erklären

Die nachfolgende Grafik zeigt diese Stressursachen danach gestaffelt, wie viel Prozent der Studierenden diese als stark belastend wahrgenommen haben. Der Vergleich zeigt: Die Reihenfolge der in beiden Jahren erhobenen Belastungen ist beinahe gleich geblieben – nur die Angst vor schlechten Noten und die finanziellen Sorgen waren 2015 vertauscht. Und: Im Jahresvergleich falle positiv auf, dass die finanziellen Sorgen trotz der wirtschaftlichen und finanziellen Herausforderungen Anfang 2023 nicht signifikant zugenommen haben.

Die gleichbleibenden Ursachen könnten deshalb den berichteten starken Anstieg des Stresserlebens zwischen 2015 und 2023 nicht erklären, schlussfolgert die TK. Deshalb liege die Vermutung nahe, „dass mit Corona und den damit einhergehenden Veränderungen im Studienalltag eine neue Stressursache hinzugekommen ist, die zumindest in Teilen für den Anstieg des Stresses in den vergangenen Jahren mitverantwortlich ist.“

Der TK-Gesundheitsreport beobachtet auch das Verordnungsvolumen von Arzneimitteln und macht dabei vor allem zwei Auffälligkeiten aus: Die zunehmenden Verschreibung von Antidepressiva und Psychostimulanzien. 2022 erhielten 5,0 Prozent der Studierenden mindestens kurzzeitig Antidepressiva. Während von den Frauen 6,5 Prozent betroffen waren, lag die Verordnungsrate bei Männern bei 3,6 Prozent. 2019 hatten die entsprechenden Raten noch bei 4,7 Prozent und 3,1 Prozent gelegen. Hinweis der TK: Auch junge Erwerbspersonen erhielten 2022 deutlich häufiger Antidepressiva als 2019. Geschlechterübergreifend stieg die Verordnungsrate von 3,4 Prozent auf 4,3 Prozent um 27 Prozent.

Auffällig hierbei ist laut TK, dass die Studierenden mit zunehmendem Alter stetig und deutlich ansteigende Verordnungsraten zeigen: „Bis zu einem Alter von 25 Jahren liegen dabei die Raten bei Studierenden unter denen von jungen Erwerbspersonen des gleichen Geschlechts. Erst ab einem Alter von 26 Jahren erhielten männliche und weibliche Studierende 2022 dann anteilig häufiger Antidepressiva-Verordnungen als gleichaltrige Männer und Frauen mit Erwerbspersonenstatus.“ Die insgesamt vergleichsweise hohen Antidepressiva-Verordnungsraten bei Studierenden resultierten demnach ausschließlich aus den hohen Raten bei älteren Studierenden, was sich in vergleichbarer Form bereits bei Auswertungen zum Gesundheitsreport 2015 zeigte.

Belastungen eines späten Studiums wiegen scheinbar schwer

Ein Grund für die mit zunehmendem Alter ansteigenden Verordnungsraten bei Studierenden könnte laut TK sein, dass mit einer parallel zum Alter zunehmenden Studiendauer auch der Druck im Hinblick auf einen (erfolgreichen) Studienabschluss steigt. Auch ein bereits höheres Alter bei Studienbeginn könnte zu mehr Belastungen führen. „Ein Studium in einem Alter, in dem eine Vielzahl von Personen – möglicherweise auch aus dem eigenen sozialen Umfeld – bereits erfolgreich in einem Beruf etabliert sind, kann sowohl zu Druck von außen als auch zu inneren Belastungen führen.“

Zugleich könne ein langes oder später begonnenes Studium auch auf besondere Belastungen hindeuten, die nicht primär mit den Studienanforderungen zusammenhängen müssen (beispielsweise Nebenjobs zur Studienfinanzierung, die Betreuung eigener Kinder oder von Angehörigen). Schließlich könnten eigene Erkrankungen – und dabei auch Depressionen – selbst die primäre Ursache eines verlängerten Studiums sein.

Auch Ritalin & Co. sind auf dem Vormarsch

Auch die Verordnungen von Psychostimulanzien haben insbesondere in den Jahren 2021 und 2022 sehr stark zugenommen, zeigt der Report. Im Jahr 2022 waren weibliche Studierende erstmals in annähernd gleichem Umfang wie männliche Studierende von entsprechenden Verordnungen betroffen. Dabei wurden fast ausschließlich (in 95,3 Prozent der Fälle) die beiden Substanzen Methylphenidat (Handelsnamen Ritalin, Medikinet, Concerta) sowie Lisdexamfetamin (Handelsname Elvanse) verordnet.

Verordnungen der Substanzen sind nur zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) zulässig und müssen auf einem speziellen Betäubungsmittelrezept getätigt werden. ADHS galt lange als eine weitgehend auf das Kindes- und Jugendalter beschränkte Erkrankung, erinnert die TK. Zwischenzeitlich werde aber davon ausgegangen, dass sich eine ADHS-Erkrankung mit Beginn in der Jugend auch im Erwachsenenalter noch in relevanter Form auswirken kann. Hinweis der TK: Eine Zulassung von Methylphenidat zur Therapie von Erwachsenen mit ADHS ist in Deutschland erst seit Juli 2011 zulässig, Lisdexamfetamin wiederum kann bei Erwachsenen mit ADHS erst seit dem 1. Mai 2019 verordnet werden.

Psychostimulanzien nehmen vor allem Studierende über 25

Während die Verordnungsraten bis zu einem Alter von 25 Jahren bei beiden Geschlechtern noch unterhalb von einem Prozent und zum Teil auch unter denen bei gleichaltrigen Erwerbspersonen lagen, zeigen sich bei Studierenden mit zunehmendem Alter deutlich ansteigende Verordnungsraten von Psychostimulanzien, die ab einem Alter von 31 Jahren bei beiden Geschlechtern oberhalb von zwei Prozent liegen.

Als denkbare Gründe für die mit zunehmendem Alter ansteigenden Verordnungsraten bei Studierenden ließen sich auch bei Verordnungen von Psychostimulanzien zunächst ähnliche Faktoren wie zur Begründung der mit dem Alter bei Studierenden ansteigenden Antidepressiva-Verordnungen anführen, vermutet die TK.

Werden die Präparate als Konzentrations-Booster missbraucht?

Doch während die Entwicklung einer depressiven Symptomatik durch Druck, Zwänge, Belastungen und/oder Misserfolge im Studium, situativ verstärkt auch durch die Umstände der Coronapandemie, intuitiv gut nachvollziehbar erscheint, ist es bei typischen ADHS-Symptomen weniger naheliegend, eine Zunahme der ADHS-Symptomatik mit zunehmendem Alter oder auch im Zuge der Coronapandemie zu erwarten.

„Hinzu kommt bei den hier betrachteten Psychostimulanzien wie Methylphenidat, dass bei ihnen grundsätzlich auch von einem Missbrauchspotenzial auszugehen ist – ansonsten würden die Verordnungen nicht dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterliegen.“ Der Verdacht: Bei Studierenden dürfte dabei die potenziell konzentrationssteigernde Wirkung von Substanzen wie Methylphenidat im Vordergrund stehen.

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