Umfrage zu den Folgen der EU-Medizinprodukteverordnung

So massiv belastet die MDR auch die Zahnmedizin!

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Politik
Explodierende Kosten, fehlende Medizinprodukte, schwindende Innovationskraft: Wie massiv die europäische Medizinprodukteverordnung deutsche Hersteller belastet, zeigt eine neue Studie. Besonders betroffen: die Zahnmedizin.

Eine aktuelle Befragung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der MedicalMountains GmbH und des Industrieverbands Spectaris von fast 400 Unternehmen zu den Auswirkungen der „Medical Device Regulation“ (MDR) kommt zu einem fatalen Ergebnis: Die Verordnung führe dazu, dass bereits heute schon viele Medizinprodukte vom Markt genommen werden – und bis 2027 zahlreiche weitere zu verschwinden drohen.

In knapp 20 Prozent der Fälle sind die eingestellten Produkte den Herstellern zufolge alternativlos beziehungsweise nicht mehr in gleichwertiger Qualität auf dem EU-Markt verfügbar. Weitere 45 Prozent sind nicht vollständig kompensierbar. Unterm Strich sind danach nur 36 Prozent der Produkte, die aufgrund der MDR auf dem EU-Markt eingestellt werden, vollständig durch Wettbewerber-Produkte ersetzbar und stehen der Patientenversorgung weiterhin zur Verfügung. Für Anwender und Patienten außerhalb der EU bleiben viele dieser Medizinprodukte allerdings weiterhin verfügbar. So vertreiben 58 Prozent der Unternehmen, die ihre Produkte in der EU einstellen, diese weiterhin in Ländern außerhalb der EU – vornehmlich in  den USA.

Jedes fünfte Produkt ist ohne Alternative

Generell stelle die MDR nahezu alle befragten Unternehmen vor große Umsetzungsprobleme: Drei Viertel der Betriebe sehen demzufolge negative Folgen für die Innovationstätigkeit, mehr als jede zweite Firma nehme einzelne Produkte oder komplette Produktionen und Sortimente vom Markt – tangiert seien davon alle 21 abgefragten Anwendungsgebiete.

Die Produktgruppe mit den meisten eingestellten Artikeln sind laut Befragung chirurgische Instrumente wie Scheren, Nadelhalter und Pinzetten. Hier geben 70 Prozent der Hersteller an, mindestens einzelne Produkte vom EU-Markt zu nehmen. In der Zahnmedizin sind es 67 Prozent, darunter vor allem orthodontische Brackets und Drahtbögen. In der Pneumologie und Schlafmedizin, Anästhesie und Intensivmedizin stoppen 63 Prozent der Betriebe die Produktion, zumeist von Beatmungsstativen, Notfallbeatmungsgeräten oder auch Schlafdiagnosegeräten. Bei der Thoraxchirurgie sind es 60 Prozent, in der Traumatologie und Unfallchirurgie 58 Prozent und in der Radiologie 58 Prozent der Firmen.

15 Prozent der Betriebe stellen zahnmedizinische Produkte her

Die für die Studie befragten Unternehmen sind in unterschiedlichen Produktbereichen und Anwendungsgebieten tätig, vielfach auch in mehreren Anwendungsgebieten oder Produktgruppen. Der Herstelleranteil von chirurgischen Instrumenten beträgt fast 30 Prozent. Knapp 26 Prozent sind im der Bereich „Orthopädie, Rehabilitation, Rheumatologie“ tätig. Weitere Anwendungsgebiete und Produktgruppen sind: „Neurologie und Neurochirurgie“ (17 Prozent), Zahnmedizin, Nephrologie und Urologie (jeweils 15 Prozent), Traumatologie und Unfallchirurgie (13 Prozent). „Kreislaufsystem und Kardiologie“, Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie, Medizinische Software/Apps und Ophthalmologie (jeweils zwischen 11 und 13 Prozent).

Zwar wurden Ende 2022 die Übergangsfristen für Bestandsprodukte bis 2027/2028 verlängert, dies ändere jedoch nichts an den strukturellen Problemen, heißt es in der Studie. Im Gegenteil: „Es manifestiert sich sogar die Einschätzung aus der ersten gemeinsamen Erhebung im Frühjahr 2022, wonach die MDR nach wie vor nicht praxistauglich ist“, bilanzieren die Autoren.

Allein die Dokumentationskosten steigen um 111 Prozent

Fast alle Betriebe (97 Prozent) haben nämlich nach wie vor Probleme bei der Umsetzung – insbesondere aufgrund der hohen Kosten- und Bürokratiebelastungen. Unter den Herausforderungen steht laut Umfrage mit 67 Prozent der Aufwand zur Anpassung der technischen Dokumentationen ganz oben. Hier seien die Kosten im Durchschnitt um 111 Prozent gestiegen.

Das Nadelöhr sind die „Benannten Stellen“

Die für den Marktzugang erforderliche Zusammenarbeit mit „Benannten Stellen“ stoße ebenfalls auf erhebliche Hindernisse. Die Unternehmen verzeichnen an dieser Stelle laut Befragung durchschnittliche Kostensteigerungen von 124 Prozent.

Die Hersteller gaben an, dass in 91 Prozent der Fälle die kompletten Zertifizierungskosten den Ausschlag dafür geben, Medizinprodukte vom EU-Markt zu nehmen. Gerade Nischenprodukte mit kleinem Absatzmarkt könnten somit nicht mehr wirtschaftlich vermarktet werden. Auch die Dauer der Verfahren verlängere sich für viele Betriebe drastisch: Bei 37 Prozent der Unternehmen sei die Verfahrensdauer sogar 3-mal so lange wie vor der MDR, wodurch sich die Bereitstellung der Produkte massiv verzögere.

Deutschland und die EU drohen abgehängt zu werden

„Die Politik muss die Wettbewerbs- und Innovationskraft der mittelständisch geprägten Medizintechnik-Branche erhalten und stärker in den Blick nehmen – das wäre auch wichtig für die zuverlässige Gesundheitsversorgung in der EU“, fordert der stellvertretende DIHK-HauptgeschäftsführerAchim Dercks angesichts dieser Trends. Diese Entwicklung berge zugleich Zündstoff für weitere gesellschaftliche Debatten – auch, weil die EU damit nicht mehr unbestrittene Nummer eins bei Neuzulassungen sei: Mehr als jedes fünfte Unternehmen weicht der Studie zufolge mit medizintechnischen Innovationen auf andere Märkte aus – meistens in die USA.

„Die MDR hat zu einem Sterben von Medizinprodukten geführt!“

Die Ergebnisse der DIHK-Studie zu den Auswirkungen der MDR bestätigen leider das, wovor wir seit Jahren auf europäischer und nationaler Ebene warnen. Der EU-Gesetzgeber ist mit der MDR von 2017 über das Ziel hinaus geschossen. Die MDR hat nicht mehr Produktsicherheit gebracht, sondern zu einem bedenklichen „Sterben“ von Medizinprodukten geführt. Die EU-Kommission muss schnellstmöglich den Vorschlag für eine grundlegende Korrektur der MDR vorlegen. Erneute Verschiebungen bringen nichts.

Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer

Gerade die Situation der vielen kleinen Unternehmen sei besorgniserregend, weil ihnen in der Regel weniger finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stünden. Dercks: „Unter dem Dauerdruck droht die mittelständisch geprägte Branche von der Basis her zu erodieren.“ Somit fordern die Initiatoren: „Die Zahlen müssen Brüssel nun zum schnellen Handeln bringen und kurzfristig zu pragmatischen, grundlegenden Schritten führen.“ Aussitzen sei keine Option mehr.

Aktuelle Bilanz der Hersteller von Medizinprodukten zu den Auswirkungen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR): Ungelöste Probleme schwächen die Gesundheits- und Innovationsstandorte Deutschland und EU. Ergebnisse einer bundesweiten Unternehmensumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der Clusterinitiative MedicalMountains und des Deutschen Industrieverbandes SPECTARIS, Dezember 2023

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