Experten-Webinar zu den Folgen des GKV-FinStG

So wirkt sich die Budgetierung der PAR-Richtlinie auf die Versorgung aus!

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Zahnmedizin
Seit der Einführung der Parodontitis-Behandlungsstrecke (PAR-Richtlinie) am 1. Juli 2021 sind etwas mehr als zwei Jahre vergangen. Am vergangenen Mittwochabend informierten die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) per Webinar rund 1.700 Zahnärztinnen und Zahnarzte darüber, welche Folgen das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) auf die Versorgung hat.

Prof. Dr. Henrik Dommisch (Berlin), Präsident der DG Paro, stellte in seiner Einleitung eine Frage, die viele Zahnärztinnen und Zahnärzte aktuell bewegt: „Was passiert denn jetzt eigentlich nach Einführung des GKV-FinStG im Novemeber 2022 mit unseren Patientinnen und Patienten, die wir ausführlich parodontologisch betreut haben?“

DGZMK-Präsident Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang (Kiel) sieht die PAR-Richtlinie als einen Ausweis für die präventionsorientierte Ausrichtung der Zahnheilkunde und eie qualitativ hochwertige Versorgung, gerade vor dem Hintergrund, dass chronisch-entzündliche Krankheiten einen immensen Einfluss auf die Allgemeingesundheit haben. Das GKV-FinStG entziehe durch die verstärkte Budgetierung der neuen Parodontitisbehandlung nun die notwenigen Mittel. Die Fachgesellschaften und Körperschaften setzen sich dafür ein, eine tragfähige Lösung auf den Weg zu bringen, um die Versorgung weiterhin sicherzustellen, so Wiltfang.

Jurist Christian Nobmann (KZBV) gab eine kurze Rückschau über die PAR-Behandlungsstrecke: In Deutschland leiden demzufolge 11 Millionen Menschen unter einer schweren Form der Parodontitis und rund 30 Millionen haben eine Parodontalerkrankung. Prognostisch werde sich die Anzahl parodontal erkrankter Senioren bis 2030 fast verdoppeln.

Ein „Paro-Euro“ könnte rund 76 „Gesundheits-Euro“ einsparen

Die GKV-Leistungen deckten bis 2021 notwendige Präventionsmaßnahmen sowie insbesondere die Nachsorge in der Parodontitisversorgung (UPT) nicht ab. Die Einführung der PAR-Richtlinie 2021 ermöglichte eine systematische Behandlung nach aktuellen Stand zahnmedizinischer Erkenntnisse und ohne Zugangsbeschränkungen. Zwar bedarf es bei der PAR-Behandlungsstrecke nach Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit weiterhin einer Begutachtung und Genehmigung der Therapie, führte Nobmann aus. Danach sei aber der Weg frei für eine mehrjährige Behandlung inklusive der UPT. Die Behandlung könne umfassend und am individuellen Bedarf des Patienten ausgerichtet werden. Mit der PAR-Richtlinie konnte man der strukturellen Unterversorgung zielgerichtet entgegentreten, erklärte Nobmann. Die verbesserte Versorgung zeigte sich demnach in deutlich verbesserter Inanspruchnahme der Behandlung und erwartbarer und intendierter Zunahme der Neubehandlungsfälle entsprechend den Versorgungszielen der neuen präventionsorientierten PAR-Richtlinie.

BZÄK-Präsident Prof. Dr. Christoph Benz betonte in dem Zusammenhang, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte immer weniger auf den GKV Topf zugreifen. Seit 2000 sei der Anteil zahnärztlicher Leistungen an den GKV-Kosten um 31 Prozent gesunken, im Bereich der Prothetik sogar um 46 Prozent. „Der Zugang zur Parodontitistherapie ist heute barrierearm, der Knackpunkt ist die UPT, die einen zentralen Stellenwert im langfristigen Erfolg der Behandlung hat“, machte Benz klar.

Benz zufolge liegt der Schwerpunkt der Parodontitistherapie mit 64 Prozent im Bereich der UPT, während nur 36 Prozent der PAR-Leistungen auf das erste Behandlungsjahr entfallen,. 2022 wurden 360.000 Neupatienten mehr als im Durchschnitt der Vorjahre aufgenommen. Wie Benz anhand einer Folgekostenrechnung zeigte, könnte ein „Paro-Euro“ rund 76 „Gesundheits-Euro“ einsparen.

Der KZBV-Vorsitzende Martin Hendges schilderte die Auswirkungen des FinStG auf die PAR-Versorgung. Ziel des am 1. Januar 2023 in der Versorgung angekommenen GKV-FinStG war, die angebliche Finanzierungslücke von damals 17 Milliarden Euro zu schließen beziehungsweise Zusatzbeiträge zu verhindern, ohne dass es zu Leistungskürzungen kommt. „Für den zahnärztlichen Bereich bedeutete das aber konkret eine Begrenzung des Wachstums der Punktwerte und des Ausgabenvolumens“, erläuterte Hendges. „In der Begründung des Gesetzes war von einer finanziellen Beteiligung der Zahnärzteschaft von 120 Millionen Euro im Jahr 2023 und von 340 Millionen für 2024 die Rede.“

Die Neubehandlungen brechen massiv ein

Das GKV-FinStG verursachte dann einen deutlichen Einbruch bei PAR-Neubehandlungen: „Im ersten Halbjahr 2023 waren die Neubehandlungsfälle bundesweit signifikant und in hohem Maße rückläufig, bei weiterhin unveränderter Krankheitslast. Im September 2023 lag die Zahl der PAR-Neubehandlungen nur noch bei 80.975 Fällen und erlitt damit einen Rückfall auf ein niedriges Niveau, vergleichbar mit Zahlen vor Juli 2021. Der Trendverlauf deutet auf noch weiter zurückgehende Neubehandlungsfälle hin“, verdeutlichte Hendges. Dass insgesamt trotz rückläufiger Fallzahlen die Punktmengen über das Niveau von 2022 steigen, komme aber nur durch eine Kumulation der UPT-Phase mit den Neubehandlungsfällen zustande. „Hier verkennt die Politik die Überlagerung von Alt- und Neufällen, konkret der Folgeleistungen der Altfälle aus 2021/2022 und der bereits begonnenen neuen Behandlungsfälle. Beides führt zu steigenden Gesamtleistungsmengen“, kritisierte Hendges.

Die Prognose des PAR-Leistungsvolumens zeige ein Szenario mit 95.000 Neubehandlungsfällen pro Monat in 2023 und 80.000 in 2024. Dabei sei mit unterfinanzierten Leistungsvolumina zu rechnen: Hendges geht von 368 Millionen Punkten in 2023 und 430 Millionen in 2024 aus. Das Punktekontingent würde ihmzufolge 2024 nur ausreichen, wenn im Laufe des ersten Quartals keine weiteren Neubehandlungen mehr begonnen würden. „Das Problem ist, dass das GKV-FinStG das Jahr 2022 als Ausgangsbasis festschreibt“ sagte Hendges. „Das macht es so dramatisch, da die Folgeleistungen im Jahr 2022 in nur zu einem geringen Teil abgebildet sind.“ Regional könnten sich unterschiedlich starke Auswirkungen des Gesetzes zeigen, was durch heterogene Vertragskonstellationen bei KZVen begründet sein könnte. Hendges rechnet jetzt und in der Zukunft mit Honorareinbehalten im Bereich von rund 240 Millionen.

Er machte überdies auf die zahnärztlichen Folgekosten von rund 151 Millionen Euro pro Jahr aufmerksam, die durch unbehandelte PA-Patienten im konservierend-chirurgischen Bereich entstehen können – im Zahnersatz-Bereich summierten sich diese auf rund 52 Millionen Euro. Damit liegen die Folgekosten allein im vertragszahnärztlichen Bereich in der Größenordnung des für die Zahnärzteschaft vorgesehenen Einsparvolumens des GKV-FinStG – und das noch exklusive der Folgekosten durch Wechselwirkungen mit anderen Erkrankungen oder der indirekten Krankheitskosten.

Wie geht es nun weiter?

Wie geht es nun weiter? Bei unveränderten Rahmenbedingungen würden neue Versorgungsfälle nicht mehr behandelt werden können. Deshalb forderten Hendges und alle Anwesenden, dass die Leistungen der Parodontitistherapie für alle Versicherten von der Budgetierung des GKV-FinStG noch in diesem Jahr ausgenommen werden, so wie das bereits für andere Präventionsleistungen im GKV-FinStG umgesetzt wurde.

Nobmann bezeichnete das GKV-FinStG als Spargesetz und einen Anschlag – nicht nur auf die Mundgesundheit- sondern auch auf das Zahnarzt-Patienten Vertrauensverhältnis. Sein abschließender Appell: „Sprechen Sie mit ihren Patientinnen und Patienten und unterstützen Sie die laufenden Kampagnen!“

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