Social Media sagt Krankheitsausbrüche voraus
Die Impfraten sinken vielerorts aufgrund weitverbreiteter Fehlinformationen, und in der Folge breiten sich ehemals ausgerottete oder unter Kontrolle befindliche Krankheiten wie Masern in den Vereinigten Staaten und Kanada wieder stark aus.
Forscher der Universität Waterloo haben nun ein neues Verfahren entwickelt, das Gesundheitsbehörden helfen könnte, den Ausbruch von Krankheiten vorherzusagen. Durch die Analyse von Beiträgen in sozialen Medien identifizierten sie frühe Anzeichen zunehmender Impfskepsis – ein Warnsignal, das auftreten könnte, bevor sich eine Krankheit überhaupt ausbreitet.
„In der Natur gibt es ansteckende Systeme wie Krankheiten“, sagte Dr. Chris Bauch, Professor für Angewandte Mathematik an der Universität Waterloo. „Wir haben uns entschieden, soziale Dynamiken wie ein ökologisches System zu betrachten und untersucht, wie sich Fehlinformationen über ein soziales Netzwerk ansteckend von Nutzer zu Nutzer verbreiten können.“
Entscheidend ist der Kipppunkt
Das Team trainierte ein Machine-Learning-Modell anhand des mathematischen Konzepts des Kipppunkts – dem Moment, in dem ein System plötzlich in einen neuen Zustand übergeht. „Ob man nun einen epileptischen Anfall bei einem Menschen betrachtet, ein Ökosystem wie einen von Algen überwucherten See oder den Verlust der Herdenimmunität in einer Bevölkerung“, sagte Bauch. „Mathematisch gesehen gibt es einen gemeinsamen zugrunde liegenden Mechanismus.“ Um ihr Modell zu testen, analysierten die Forscher Zehntausende öffentliche Beiträge auf X aus Kalifornien kurz vor einem großen Masernausbruch im Jahr 2014. Traditionelle Methoden – wie das einfache Zählen skeptischer Tweets – lieferten vor dem Ausbruch kaum Warnsignale.
„Die üblichen Methoden zur Vorhersage eines Ausbruchs durch statistische Analyse skeptischer Tweets liefern nur wenig Vorwarnzeit“, bestätigt Bauch. „Mithilfe der mathematischen Theorie der Kipppunkte konnten wir eine deutlich größere Vorwarnzeit erzielen und Muster in den Daten wesentlich effektiver erkennen.“
Herdenimmunität – mathematisch betrachtet
Die Genauigkeit der Kipppunktmethode wurde überprüft durch einen Vergleich der Posting-Muster in Kalifornien mit denen vergleichbarer Gebiete im selben Zeitraum, in denen keine Ausbrüche auftraten.
Das Modell wurde zwar ursprünglich für X getestet, lässt sich den Wissenschaftlern zufolge aber problemlos an TikTok oder Instagram anpassen; allerdings wären für die Analyse von Bildern und Videos im Vergleich zum überwiegend textbasierten Format von X mehr Rechenressourcen erforderlich.
„Letztendlich möchten wir daraus ein Instrument für Gesundheitsämter entwickeln, mit dem sie überwachen können, welche Bevölkerungsgruppen am stärksten von einem Kipppunkt bedroht sind“, sagte Bauch. „Angewandte Mathematik kann ein leistungsstarkes quantitatives Instrument sein, das dabei hilft, Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit vorherzusagen, zu überwachen und ihnen zu begegnen.“
Die Studie mit dem Titel „Forecasting infectious disease outbreak risks from vaccine sentiments on social media: A Data-driven dynamical systems approach“ erscheint in Mathematical Biosciences and Engineering.



