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Streit um Netzsperren

ck/dpa
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Sollen Internetanbieter Webseiten wie kino.to sperren, weil dort rechtswidrige Inhalte verbreitet werden? In Deutschland wurde heftig darum gestritten. Nun könnte der Europäische Gerichtshof die Netzsperren erlauben.

Webseiten, auf denen Filme illegal heruntergeladen werden können, sind der Filmindustrie ein Dorn im Auge. Doch die Betreiber sitzen oft im Ausland, außerhalb Europas. An sie kommt man nicht so leicht heran. Anders ist es bei den Internetprovidern, die ganz normalen Nutzern den Internetzugang bereitstellen. Nach dem Votum eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof (EuGH) könnten diese Internetanbieter rechtlich dazu gezwungen werden, illegale Webseiten zu blockieren. 

Genau das hatte der deutsche Constantin Filmverleih verlangt: Er wollte einen österreichischen Internetanbieter verpflichten, die Seite kino.to zu blockieren. Die Kunden der österreichischen UPC Telekabel hätten dann nicht mehr auf kino.to zugreifen können. Gegen eine Netzsperre wie diese haben Aktivisten in Deutschland bereits heftig protestiert. 

Die Büchse der Pandora 

Nach EU-Recht seien solche Sperren möglich, heißt es in dem Gutachten. Die Einschätzung von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón muss zwar nicht zwangläufig zu einem gleichlautenden Urteil führen. Doch meistens folgt der EuGH den Empfehlungen seiner Gutachter.  Damit wird die heftige Debatte um Netzsperren erneut befeuert. "Das ist die Büchse der Pandora", sagte der deutsche Netzaktivist Markus Beckedahl. Solche Sperren legten den Grundstein für eine Internetzensur.

In Deutschland wird seit Jahren heftig um das Thema gestritten. Im Jahr 2009 wollte die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen Webseiten mit Kinderpornografie sperren lassen, Netzaktivisten liefen Sturm gegen dagegen und verpassten der Ministerin den wenig zweifelhaften Spitznamen "Zensursula". 

Bürgerrechtler befürchten nämlich, dass auch legale Angebote gesperrt werden könnten. Sie wollen die rechtswidrigen Inhalte im Netz lieber an der Quelle löschen lassen. Das empfiehlt prinzipiell auch der Gutachter: Wenn möglich, sollten Rechteinhaber sich direkt an den Betreiber der illegalen Webseite wenden. 

Der Gutachter mahnte zudem an, dass nationale Gerichte Grundrechte wie Meinungsfreiheit berücksichtigen müssten, bevor sie eine Sperre anordnen. Auf die Gerichte könnte eine Klagewelle zurollen, "zahlreiche ähnliche Fälle gegen jeden Provider" könnten anstehen. 

Ein Katz-und-Maus-Spiel

Dabei verhindern auch die Netzsperren nicht unbedingt den Zugriff auf bestimmte Webseiten. Nutzer können mit einigen Klicks die Einstellungen ihres Internetzugangs ändern, dann können sie die vermeintlich gesperrten Webseiten doch wieder aufrufen. "Der Einstieg in die Netzsperren bedeutet ein Katz-und-Maus-Spiel, und auf lange Sicht werden da die Grundrechte verlieren", fürchtet Beckedahl. 

Dass Sperren ausgehebelt werden können, wissen auch die Gerichte. Das sei auch ohne besondere technische Kenntnisse möglich. Doch nach Einschätzung des Gutachters am EuGH bedeutet dies nicht, dass Sperren sinnlos sind. "Meines Erachtens reichen diese Erwägungen jedoch nicht aus, um jede konkrete Sperrmaßnahme als ungeeignet hinzustellen", schreibt der Jurist. 

Sperre soll hindern und sensibilisieren

So könne machen Surfern erst durch eine Sperre auffallen, dass es sich um ein illegales Angebot handelt. "Schließlich ist anzumerken, dass zwar nicht wenige Nutzer zur Umgehung einer Sperrung in der Lage sein mögen, aber bei weitem nicht alle", so der Gutachter. 

Entschieden ist der Fall mit dem Gutachten noch nicht. Das Urteil der Luxemburger Richter wird erst in einigen Monaten erwartet. Im konkreten Fall kino.to kommt das Urteil ohnehin zu spät: Die Website wurde im Juni 2011 von den Strafverfolgungsbehörden vom Netz genommen und die Betreiber wurden verhaftet. 

von Jessica Binsch und Martina Herzog, dpa

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