Urteil präzisiert Auslegung der Patientenverfügung
Beim Umgang mit der Patientenverfügung eines schwer kranken Menschen muss nach einer Entscheidung des BGH auch der mutmaßliche Wille berücksichtigt werden. Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürften nicht überspannt werden, urteilten die Richter.
Im vorliegenden Fall geht es um eine 1940 geborene Frau, die seit einem Schlaganfall im Jahr 2008 im Wachkoma liegt. Bereits im Jahr 1998 hatte sie ein mit "Patientenverfügung" betiteltes Schriftstück unterschrieben. Darin war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollten. Zudem hatte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden.
Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sohn und den Ehemann der Betroffenen zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern. Der Sohn ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
Vorentscheidungen waren gegen Erfüllung des Patientenwillens
In Vorentscheidungen hatte das zuständige Amtsgericht den Antrag des Sohns auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abgelehnt. Das Landgericht Landshut hatte die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Es wies dabei insbesondere auf die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe hin. Zudem sei die Frau praktizierende Katholikin gewesen. Daraus ergebe sich ein "Wertesystem", wonach die Frau auch die Beendigung der künstlichen Ernährung ablehne.
Der BGH hob die beiden Urteile auf und verwies das Verfahren an das Landgericht zurück. Das Beschwerdegericht habe sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob sich der von der Betroffenen verfassten Patientenverfügung eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung entnehmen lässt. Denn die Betroffene hat nach Auffassung des BGH in der Patientenverfügung ihren Willen zu der Behandlungssituation unter anderem an die medizinisch eindeutige Voraussetzung geknüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht.
Nach dem BGH dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung zudem auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Der Sterbewunsch sei hier klar formuliert.
BGHAz.: XII ZB 604/15Urteil vom 8.2.2017
Vorentscheidungen:AG FreisingAz.: XVII 157/12Urteil vom 29.6.2015
LG LandshutAz.: 64 T 1826/15Urteil vom 17.11.2015