Welche Rolle spielt die Mundgesundheit bei SARS-CoV-2?
Dass die Mundhygiene Einfluss auf das Infektionsrisiko und den Krankheitsverlauf nehmen könne, sei eine naheliegende Hypothese. Es gebe jedoch noch keine klare Evidenz dazu, sehr wohl aber erste Ansätze und berechtigte Überlegungen, schilderte Dannewitz am 14. Juli zum Auftakt des Video-Interviews mit Quintessence News den Forschungsstand. Um die direkten Zusammenhänge von Mundgesundheit und COVID-19 zu erforschen und möglicherweise zu belegen, benötige die Wissenschaft mehr Zeit.
Die orale Immunkompetenz fehlt
"Jeder weiß 'Gesund beginnt im Mund'", führte Frankenberger aus. Dennoch fehle die orale Immunkompetenz. "Wenn 85 Prozent der Infizierten keine Symptome aufweisen, wie die Studie aus Ischgl zeigt, heißt das, dass das Immunsystem unwahrscheinlich wichtig ist", betonte er: "Hier haben wir Zahnärzte in der Mundhöhle einen ganz wichtigen Beitrag zu leisten.“
Die Frage, ob Mediziner die Rolle der Mundgesundheit für die allgemeine Gesundheit und den Immunstatus unterschätzen, beantwortete Frankenberger mit einem klaren Ja. Den Grund dafür sieht er vor allem darin, dass die Zahnmedizin im Medizinstudium zu kurz kommt. "Alles Intraorale ist für Ärzte ein Buch mit sieben Siegeln", verdeutlichte Frankenberger. "Und was sie nicht wissen, sagen sie auch nicht ihren Patienten."
Erhöhen Gingivitis und Parodonitits das Ansteckungsrisiko?
Über den Zusammenhang von Entzündungen im Mundraum und Influenza beziehungsweise bakteriellen Infektionen gebe es bereits Erkenntnisse, führte Moderatorin Dr. Marion Marshall, Chefredakteurin bei Quintessence News, an und fragte: "Inwieweit erhöhen Entzündungen im Mundraum wie Gingivitis oder Parodonititis das Ansteckungsrisiko mit COVID-19?"
"Die parodontale Tasche ist ein Virenreservoir", bestätigte Dannewitz. So könne Parodontitis zur Aktivierung latenter Viren, etwa HP-Viren, im Körper beitragen. Aber dass Entzündungen wie Gingivitis oder Parodontitis das Ansteckungsrisiko mit dem neuartigen Corona-Virus erhöhen, sieht sie nicht belegt.
Obgleich gerade die ACE-2-Rezeptoren des SARS-CoV-2-Virus in den Zellen der Mundhöhle sehr stark exprimieren, zeigten erste Studiendaten keine drastische Erhöhung des Infektionsrisikos mit SARS-CoV-2. Vielleicht weil diese Zellen besonders an der Zunge zu finden seien, ihr Vorkommen an Gingiva und Daumepithel aber deutlich geringer sei. Parodontitis sei jedoch ein Risikofaktor bei Diabetikern - insbesondere wenn diese übergewichtig sind – für schwere Corona-Verläufe.
Den finalen Beweis für direkte Zusammenhänge zwischen der Mundgesundheit und SARS-CoV2 gebe es aber noch nicht, machte Dannewitz klar. "Auf diese Studien müssen wir wahrscheinlich noch ein paar Wochen und Monate warten."
PZR/ UPT: ja oder nein?
PZR/UPT: Ja oder nein? Als Fachgesellschaft verweise die DG Paro auf die Behandlungsempfehlungen von IDZ und Bundeszahnärztekammer, sagte Dannewitz.
Grundsätzlich könne man aber sowohl die aktive als auch die unterstützende – die Nachsorge- Parodontitistherapie durchführen – mit Handinstrumenten, Kelch und Bürste, erklärte Dannewitz. Auch auf die Wasserkühlung könne verzichtet werden. "Das bringt uns allerdings sehr weit aus unserer Komfortzone heraus. Aber dieser Herausforderung müssen wir uns stellen, da wir noch lange mit diesem Virus zurechtkommen müssen“, prophezeite Dannewitz.
"Unsere Tätigkeit ist durch die starke Nähe zum Patienten geprägt, aber auch dadurch dass wir Aerosole produzieren, die potenziell infektiös sind – das war schon vor SARS-CoV2 der Fall", betonte Dannewitz. Da die Patienten während der Behandlung weiter atmen und über die Atemluft Viren in den Praxisraum verteilen, sei es Dannewitz zufolge sehr wichtig, infizierte Patienten zu identifizieren. Fakt sei: "Das Aerosolthema bleibt unsere Archillesferse!"
Fazit
Die Mundhöhle spiele beim Infektionsgeschehen bereits in der frühen asymptomatischen Phase eine Rolle, da zu diesem Zeitpunkt die Viruslast im Mund-Nasen-Rachenraums bereits besonders hoch sei. Die Mundgesundheit könne daher ein grundsätzlicher Risikofaktor für schwere Krankheitsverläufe sein – somit auch von COVID-19. Es sei daher grundsätzlich relevant, die Mundgesundheit bei Corona-Patienten zu untersuchen, bilanzierte Dannewitz.
"Ich glaube, dass wir – mit zeitlicher Verzögerung – recht gute Behandlungsmaßstäbe in Deutschland zugrunde gelegt haben, mit denen man gut arbeiten kann", resümierte Frankenberger.
Die von Prof. Roland Frankenberger im Interview genannte Literatur
Die von Prof. Roland Frankenberger im Interview genannte Literatur
onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/idj.12601
journals.sagepub.com/doi/10.1177/2380084420941777
doi.org/10.1016/j.mehy.2020.109969
onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/cen.14276