Bundesgerichtshof

Werbung für umfassende ärztliche Fernbe­handlung ist unzulässig

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Praxis
Zu pauschal angelegte Werbung für „digitale Arztbesuche“ verstößt gegen das Heilmittelwerbegesetz. Das hat der Bundes­gerichts­hof (BGH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale. Sie wollte wissen, ob Werbung für Geschäftsmodelle zulässig ist, bei denen eine Patientenbehandlung nur auf digitalem Wege erfolgt: In dem Fall hatte die private Krankenversicherung Ottonova aus München das Angebot einer Fernbe­handlung per App bei Ärzten in der Schweiz beworben.

"Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst!"


„Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst.“ So hatte Ottonova auf ihrer Internetseite ihren Kunden den „digitalen Arztbesuch“ über eine App angekündigt. Beworben wurde dabei nicht nur Diagnose und Therapieempfehlung, sondern auch die Krankschreibung per App.
Wörtlich hieß es: „Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Bei den sogenannten „eedoctors“, die die beworbene Fernbehandlung durchführen sollten, handelte es sich nach Angaben des Unternehmens um erfahrene Ärzte in der Schweiz.


Grundsätzlich gilt ein Werbeverbot für Fernbehandlungen


"Derartige, zum Teil hilfreiche Modelle von Arzt-Patienten-Kontakten unterliegen jedoch besonderen rechtlichen Regelungen", monierte die Wettbewerbszentrale  und verwies auf § 9 Heilmittelwerbegesetz, der grundsätzlich die Werbung für Fernbehandlungen verbietet.
Mit Blick auf das gelockerte Fernbehandlungsverbot ist Ärzten seit 2019 Werbung für Fernbehandlung im Ausnahmefall unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, nämlich dann „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist". Unklar war laut Wettbewerbszentrale jedoch bislang, in welchem Umfang die Werbung für Fernbehandlungen erlaubt ist und was die dort genannten Standards sind. Die Wettbewerbszentrale wollte daher wissen, ob rein digitale Primärversorgungsmodelle, also solche ohne jeglichen persönlichen Kontakt des Patienten mit dem Arzt, diesen Anforderungen genügen.

Standards können sich erst im Laufe der Zeit entwickeln


Die Karlsruher Richter urteilten nun, dass es nicht darauf ankommt, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards sei vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff im BGB, der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. So könnten sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und sich etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergeben.
Die Vorinstanzen hatten der Klage der Wettbewerbszentrale stattgegeben (LG München, Urteil vom 16. Juli 2019, Az. 33 O 4026/18 und OLG München, Urteil vom 9. Juli 2020, Az. 6 U 5180/19). Das OLG hatte die Revision nicht zugelassen. Auf die von der Versicherung eingelegte Beschwerde hin nahm der BGH den Fall zur Entscheidung an.

BundesgerichtshofAz.: I ZR 146/20Urteil vom 9. Dezember 2021 

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